Eltern halten Schulen in Deutschland für ungerecht

Eltern schulpflichtiger Kinder stellen den Schulen in Deutschland ein durchwachsenes Zeugnis aus und bemängeln vor allem fehlende Gerechtigkeit. 51 Prozent der Mütter und Väter von Schulkindern halten das deutsche Schulsystem für ungerecht und kritisieren, dass sich ihre Kinder nicht entsprechend ihrer Möglichkeiten entwickeln können. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage der Bertelsmann Stiftung, die vom Institut Infratest dimap durchgeführt wurde. Besser schnitten die Schulen bei der Frage nach ihrer Leistungsfähigkeit ab: Hier gab es als Note von den Eltern eine schwache zwei.

Bei der Bewertung der Gerechtigkeit spielt der Umfrage zufolge der Schultyp eine große Rolle: Nur 39 Prozent der Eltern von Grundschülern halten das Schulsystem für ungerecht, hingegen aber 58 Prozent der Eltern von Real- oder Hauptschülern und immerhin noch 49 Prozent der Mütter und Väter von Gymnasiasten. Auch in der Gesamtbevölkerung schätzen vier von zehn das Schulsystem als ungerecht ein (38 Prozent).

Als Hauptgrund für mangelnde Gerechtigkeit von Schulen geben die Eltern die fehlende individuelle Förderung ihrer Kinder an. Vor allem Väter und Mütter von Grund-, Haupt- und Realschülern kritisieren, dass sich ihre Kinder nicht nach ihren Möglichkeiten entwickeln können und außerschulische Unterstützung benötigen. So helfen über 80 Prozent der Eltern mit einem mittleren oder ho¬hen Bildungsabschluss ihren Kindern bei schulischen Aufgaben, bei den Eltern mit einem niedrigen Bildungsabschluss sind es hingegen nur 57 Prozent.

Davon sehen sich 37 Prozent der Eltern mit einem niedrigen Bildungsabschluss nicht in der Lage, ihre Kinder ausreichend zu unterstützen. Zum Vergleich: Nur drei Prozent der Mütter und Väter mit einem hohen Schulabschluss sind dieser Ansicht. Ein ähnliches Bild zeigt sich, wenn das Haushaltseinkommen zugrunde gelegt wird: Die Hälfte der Eltern mit einem Haushaltseinkommen von unter 1.500 Euro, die ihr Kind bei schulischen Aufgaben nicht unterstützen, führen dies auf ihre fehlenden Möglichkeiten zurück. Von den Eltern mit hohem Haushaltseinkommen sehen sich hingegen lediglich fünf Prozent nicht in der Lage zu helfen.

Während die Schulen beim Thema Gerechtigkeit in der Gesamtbevölkerung besser abschneiden als bei den Eltern, verhält es sich bei der Leistungsfähigkeit von Schulen umgekehrt: Die Gesamtbevölkerung vergibt hierfür im Schnitt eine befriedigende Note, von den Eltern gibt es hingegen eine knappe zwei (2,4). Allerdings variiert auch hier die Einschätzung je nach Schultyp. Die Eltern von Haupt- und Realschülern bewerten die Leistungsfähigkeit der Schulen mit 2,6, die Eltern von Grundschülern hingegen mit 2,3. Beurteilt wurden die Qualität der Schulen insgesamt sowie die Vermittlung von Wissen, selbstständigem Lernen, Entfaltung der Persönlichkeit und sozialem Handeln.

„Unser Schulsystem muss nicht nur besser, sondern auch gerechter werden“, bewertet Dr. Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung, die Ergebnisse der Umfrage. Als Grund für die fehlende Chancengerechtigkeit nennt er die geringe individuelle Förderung der Kinder in den Schulen: „Es darf nicht sein, dass Eltern ihre Kinder bei schulischen Aufgaben unterstützen müssen oder Unterstützung in Form von Nachhilfe kaufen, aber nur Eltern mit höherem Einkommen und Bildungsstand sich diese Unterstützung leisten können.“ Die Befragten hätten deutlich unterstrichen, wie wichtig in Deutschland das Recht eines jeden Kindes auf bestmögliche Förderung seiner Begabungen sei. „Die individuelle Förderung ist die wichtigste Aufgabe des öffentlichen Schulsystems und ich hoffe, dass sich die Politik dieser Verantwortung auch in schwierigen Zeiten stellt“, so Dräger.

Um den Zusammenhang zwischen Bildungserfolg und Herkunft und die Entwicklung der Bildungschancen in Deutschland transparent zu machen, hat die Bertelsmann Stiftung eine Zusammenar¬beit mit Professor Wilfried Bos und dem Institut für Schulentwicklung der TU Dortmund vereinbart. Die beiden Kooperationspartner wollen ab 2011 jährlich einen „Chancenspiegel“ herausgeben, der auch mögliche Unterschiede bei den Bundesländern benennt (http://www.chancen-spiegeln.de).

Zur Befragung:
Die Umfrage wurde durch das Institut Infratest dimap durchgeführt. Die repräsentative Befragung berücksichtigte 1.400 Personen, darunter 650 Eltern von Schulkindern, die vertiefend befragt wurden. Die Grundgesamtheit bildete die deutschsprachige Bevölkerung ab 18 Jahren bzw. die Eltern von Schulkindern in Deutschland. Die Teilnehmer wurden durch eine repräsentative Zufallsauswahl (Randomstichprobe) ausgewählt und vom 10. bis 21. März 2010 per computergestützten Telefoninterviews (CATI) befragt.

Rückfragen an: Carina Schnirch, Telefon: 0 52 41 / 81-81456; E-Mail: carina.schnirch@bertelsmann-stiftung.de

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Ute Friedrich idw

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