Doppelte Last

Starkes Übergewicht ist eine große Belastung für die Gesundheit. Aber auch im sozialen Miteinander spielt es eine Rolle. Die große Mehrheit der Bevölkerung belegt fettleibige Menschen mit negativen Stereotypen und bewertet sie deutlich schlechter als normalgewichtige Mitbürger.

Zu diesem Ergebnis kommt ein Forscherteam des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums (IFB) AdipositasErkrankungen an der Universität Leipzig in einer bundesweiten, repräsentativen Studie. Die Wissenschaftler wollten wissen, wie die Bevölkerung über Menschen mit starkem Übergewicht denkt und worin sie die Ursachen von Fettleibigkeit sieht. Sie befragten dazu über 3.000 Bürgerinnen und Bürger in ganz Deutschland. Als fettleibig oder adipös (Body-Mass-Index über 30 kg/m2) gelten in Deutschland bereits über 20 Prozent der Frauen und Männer.

Befragungsergebnisse
Zwei Drittel der Befragten nannten Bewegungsfaulheit und ein Übermaß an Essen als Hauptgründe für starkes Übergewicht. Anhand von Fallbeispielen normalgewichtiger und stark übergewichtiger Kinder, Erwachsener und Senioren, sollten die Befragten diesen Personen außerdem Eigenschaften zuordnen. Dabei schnitten adipöse Menschen durchgehend schlechter ab. Die am häufigsten gewählten Eigenschaften waren „unförmig“ (27,4 Prozent), „langsam“ (26,7 Prozent), „untätig“ (23,4 Prozent) und „schwach“ (12,7 Prozent).

Claudia Sikorski, Psychologin und Wissenschaftlerin am Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP) koordinierte die IFB-Studie. Sie erläutert: „Die negative Haltung gegenüber adipösen Menschen geht teilweise darauf zurück, dass die Befragten annehmen, Fettleibigkeit sei selbst verschuldet und somit ein kontrollierbarer Faktor. Nur rund 28 Prozent der Befragten sahen auch in genetischen oder Stoffwechsel-Störungen einen Grund für Übergewicht.“

Erstaunlicherweise wurden normal- und übergewichtige Fallbeispiele von keinem Befragten mit identischen Eigenschaften belegt. Junge und ältere Menschen, Frauen und Männer urteilten ähnlich hart. Nur die Befragten mit eigenem Übergewicht zeigten etwas mehr Milde. Fettleibige Kinder wurden besonders stigmatisiert, häufig als „langsam“ und „unattraktiv“ bezeichnet. Im Mittel wurden ihnen noch öfter negative Eigenschaften zugeschrieben als erwachsenen und älteren Adipösen. Als Ursachen für das kindliche Übergewicht erkannten die Befragten im Gegensatz zu den Beispielen adipöser Erwachsener auch äußere Faktoren, wie das soziale Umfeld und die Erziehung an.

Negativspirale
ISAP-Direktorin Prof. Steffi Riedel-Heller erforscht im IFB AdipositasErkrankungen die Stigmatisierung adipöser

Menschen: „Ablehnung und Missbilligung führen dazu, dass Betroffene diskriminiert werden und oft mit sozialer Ausgrenzung leben müssen.“ So werden stark übergewichtige Menschen etwa bei der Jobvergabe benachteiligt. Eine weitere Erhebung des IFB belegte außerdem, dass auch medizinische Berufe adipöse Patienten ähnlich negativ bewerten. „Deshalb sind Studien wie diese wichtig. Sie können helfen, gezielte Kampagnen zu entwickeln, um die bestehende Stigmatisierung und Diskriminierung in der Bevölkerung abzubauen“, so Riedel-Heller. Anders als lange angenommen, führt die ablehnende Haltung gegenüber adipösen Menschen nämlich nicht dazu, dass diese Gewicht verlieren. Im Gegenteil – sie bewirkt, dass sich die Betroffenen weiter zurückziehen und eher zu Frustessen neigen.

Hintergrundinformationen
Studie: Sikorski C, Luppa M, Brähler E, König H-H, Riedel-Heller SG (2012) Obese Children, Adults and Senior Citizens in the Eyes of the General Public: Results of a Representative Study on Stigma and Causation of Obesity.
PLoS ONE 7(10): e46924. doi:10.1371/journal.pone.0046924
http://www.plosone.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0046924
Das IFB AdipositasErkrankungen ist eines von acht Integrierten
Forschungs- und Behandlungszentren, die in Deutschland vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert werden. Es ist eine gemeinsame Einrichtung der Universität Leipzig (Med. Fakultät) und des Universitätsklinikums Leipzig (AöR). Ziel der Bundesförderung ist es, Forschung und Behandlung interdisziplinär so unter einem Dach zu vernetzen, dass Ergebnisse der Forschung schneller als bisher in die Behandlung adipöser Patienten integriert werden können. Am IFB AdipositasErkrankungen gibt es derzeit über 40 Forschungsprojekte. Zur Patientenversorgung stehen eine IFB AdipositasAmbulanz für Erwachsene und eine für Kinder und Jugendliche zur Verfügung. Das IFB wird das Feld der Adipositasforschung und -behandlung in den nächsten Jahren kontinuierlich ausbauen.
Weitere Informationen:
Dipl.-Psych. Claudia Sikorski und
Prof. Dr. Steffi Riedel-Heller
Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health
Telefon: +49 341 97-15408
E-Mail: steffi.riedel-heller@medizin.uni-leipzig.de
www.uniklinikum-leipzig.de/r-adressen.html?modus=detail&id=49
Doris Gabel
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit IFB
Telefon: +49 341 97-13361
E-Mail: presse@ifb-adipositas.de
www.ifb-adipositas.de

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Diana Smikalla Universität Leipzig

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