Depressive Patienten entscheiden besser

Dies weisen Forschende der Universität Basel mit Kollegen aus Deutschland und den USA erstmals in einer Studie mit klinisch depressiven Patienten nach. Die positiven Effekte der Depression stehen im Gegensatz zur landläufigen Ansicht, wonach die Krankheit häufig mit einer schlechteren Leistung in Denkaufgaben zusammenhängt.

Depression ist eine schwerwiegende Stimmungserkrankung, die mit einer Störung des emotionalen Erlebens verbunden ist und viele Bereiche des Lebens beeinträchtigt. Häufig wird davon ausgegangen, dass sich eine depressive Erkrankung auch negativ auf die Fähigkeit auswirkt, Entscheidungen zu treffen.

Nun berichtet Bettina von Helversen vom Institut für Psychologie der Universität Basel zusammen mit ihren Kollegen Andreas Wilke (Clarkson University, USA), Tim Johnson (Stanford University, USA), Gabriele Schmid (Technische Universität München) und Burghard Klapp (Charité-Universitätsmedizin Berlin) in der Fachzeitschrift «Journal of Abnormal Psychology», dass eine Depression auch positive Konsequenzen haben kann.

In der Studie schnitten Patienten, die an einer Depression litten, bei einer Entscheidungsaufgabe besser ab – sowohl im Vergleich zu Gesunden als auch zu Patienten, die sich auf dem Weg zur Besserung befanden. Die 54 Probanden spielten ein Computerspiel, das alltagsnahe sequenzielle Entscheidungsprobleme wie die Vergabe eines Parkplatzes, einer Wohnung oder eines Jobs simuliert. Dabei hatten sie aus einer Reihe von Bewerbern von unterschiedlicher Qualität den besten auszuwählen. Die Bewerber wurden nacheinander in einer zufälligen Reihenfolge präsentiert, und bei jedem konnten sich die Teilnehmer entscheiden, ob sie ihn einstellen oder ablehnen und weitersuchen möchten. Die Studie ergab, dass die depressiven Teilnehmer bessere Entscheidungen trafen: Während sich nicht depressive Teilnehmer nur wenige Bewerber ansahen, bevor sie einen von ihnen akzeptierten, gaben sich Depressive nicht so schnell zufrieden – sie suchten länger und wählten im Mittel die besseren Bewerber aus.

Die Frage, ob eine Depression zu einer schlechteren Leistung bei Denkaufgaben führt, wird in der Psychologie seit Jahrzehnten diskutiert. Zum einen gibt es Befunde, die dafür sprechen, dass eine Depression die kognitive Leistungsfähigkeit wie etwa die Gedächtnisleistung verschlechtert. Zum andern vertreten Forscher vor allem aus den USA die Meinung, dass Depression als eine Anpassung an die Lösung von komplexen Problemen verstanden werden kann. Demnach fördert eine depressive Verstimmung eine analytische und beharrliche Herangehensweise an Probleme, die das Lösen von komplexen Aufgaben fördert – zum Beispiel in Entscheidungssituationen. Die nun erschienene Studie bringt nun erstmals einen Nachweis dieser Theorie, basierend auf einer Stichprobe mit klinisch depressiven Patienten. Ein besseres Verständnis der Konsequenzen von Depressionen kann dazu beitragen, die evolutionären Wurzeln dieser Erkrankung zu verstehen.

Originalbeitrag
von Helversen, B., Wilke, A., Johnson, T., Schmid, G., & Klapp, B. (2011)
Performance benefits of depression: Sequential decision making in a healthy sample and a clinically depressed sample

Journal of Abnormal Psychology, Apr 18, 2011. doi: 10.1037/a0023238

Weitere Auskünfte
Dr. Bettina von Helversen, Institut für Psychologie der Universität Basel, Tel. +41 61 267 35 28, E-Mail: bettina.vonhelversen@unibas.ch

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Christoph Dieffenbacher idw

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