LKW-Fahrer sind Opfer und Täter zugleich

Der Absolvent der TU Chemnitz, Michael Knoll, der inzwischen Mitarbeiter an der Professur für Wirtschafts-, Sozial- und Organisationspsychologie ist, untersuchte in seiner Diplomarbeit, wie sich die berufliche Identität der Fernfahrer auf ihr Risikoverhalten auswirkt. Zum Hintergrund: Fahrer reagieren auf Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit der Fahrzeuge mit einer höheren Risikobereitschaft. Juristische Ansätze, die versuchen, die Unfallgefahr durch Limits für Tempo und Lenkzeiten zu verringern, umgehen sie teilweise selbst.

In umfangreichen Interviews mit fünf Fernfahrern fand Knoll heraus, dass sich die Fahrer mit gegensätzlichen Anforderungen konfrontiert sehen: Sie sind oft auf sich allein gestellt. Obwohl ihnen die Familie viel bedeutet, verbringen sie die meiste Zeit alleine im Fahrerhaus. Einerseits übernehmen die Fahrer viel Verantwortung, andererseits sehen sie sich als letztes Glied einer Kette und unterliegen hohen Terminzwängen. Um mit dieser Situation zurecht zu kommen und sich von anderen Berufsgruppen abzugrenzen, entwickeln Fernfahrer eine besondere Berufsidentität: Sie sehen sich als unabhängig, hochgradig belastbar, männlich, verlässlich und sind zur Selbstaufopferung bereit.

„Dieses Selbstbild macht es LKW-Fahrern einerseits möglich, die widersprüchlichen Aspekte ihres Berufsalltags und die sowohl physisch als auch psychisch enorm belastenden Arbeitsbedingungen auszuhalten“, so Knoll. Andererseits berge diese Berufsidentität auch Risiken: „Wenn für Fernfahrer unbedingte Verlässlichkeit und hohe Belastbarkeit zu ihrem beruflichen Selbstverständnis gehören, haben es Spediteure leichter, ihre Angestellten über das Zumutbare und gesetzlich Zulässige hinaus zu beanspruchen. Häufig sind es aber auch die Fahrer selbst, die, um ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, Müdigkeit ignorieren und Risiken unterschätzen“, ergänzt der Chemnitzer Psychologe.

Damit lassen sich aus seiner Studie interessante Schlüsse auch für das Thema Verkehrssicherheit ziehen. Denn sie zeigt, dass es nicht ausreicht, noch bessere Fahrzeuge zu bauen und Fahrtzeiten und -geschwindigkeiten stärker zu reglementieren. „Um die Sicherheit auf den Straßen zu erhöhen, muss sich auch die Berufsidentität der Fernfahrer entscheidend wandeln“, meint Knoll. Dazu müssen diese allerdings erkennen, so sein Fazit, dass sie durch ihr eigenes Verhalten das System aufrechterhalten, dass sie in diesem schwierigen Beziehungsgeflecht „Opfer und Täter zugleich“ sind.

Mit seiner Arbeit zum Thema „Der Fahrer ist das letzte Glied in der Kette.
Ergebnisse einer empirischen Studie zum beruflichen Umgang mit der Gefährdung am Beispiel der Fernfahrer“ gewann der 29-Jährige einen zweiten Studienpreis der Körber-Stiftung. Unter 400 eingesandten Beiträgen wurde er von der Jury unter die besten zehn gewählt; den mit 2.000 Euro dotierten Preis erhielt Knoll am 21. Mai 2007 in der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Der Deutsche Studienpreis wird seit 1996 von der Körber-Stiftung vergeben. Der Wettbewerb für junge Forschung prämiert Beiträge, die sich durch hohe gesellschaftliche Relevanz und verständliche Darstellung auszeichnen. Das diesjährige Thema hieß „Mittelpunkt Mensch?“.

Weitere Informationen erteilt Michael Knoll, Telefon (03 71) 5 31 – 35 101, E-Mail michael.knoll@phil.tu-chemnitz.de.

Informationen zum Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung finden Sie unter http://www.koerber-stiftung.de.

(Autorin: Katharina Thehos)

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Mario Steinebach Technische Universität Chemnitz

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