"Krankheitsverleugnung": Niedrige Fehlzeiten Indiz für neue Gesundheitsrisiken

Die Fehlzeiten wegen Krankheit sind so niedrig wie nie. Doch diese auf den ersten Blick positive Entwicklung könnte Vorbotin eines neuen Gesundheitsrisikos sein – wenn Beschäftigte Erkrankungen zunehmend verdrängen, statt sie auszukurieren.

In Betrieben lassen sich Formen von „Krankheitsverleugnung“ beobachten. Das zeigt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte qualitative Studie von Dr. Hermann Kocyba und Dr. Stephan Voswinkel, Soziologen am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main. Gerade in einer alternden Gesellschaft stelle „Krankheitsverleugnung“ eine große Herausforderung für die betriebliche Gesundheitspolitik dar, schreiben die beiden Forscher in der aktuellen Ausgabe der WSI-Mitteilungen. „Wahrscheinlich ist, dass künftige Erkrankungen ihre Ursachen darin haben, dass heute Erkrankungen institutionell „verleugnet“ werden.“

In Interviews mit Betriebsräten und anderen betrieblichen Experten in 12 Unternehmen verschiedener Branchen haben die Wissenschaftler untersucht, wie Betriebe und Beschäftigte mit Erkrankungen umgehen. Dabei zeigt sich „Krankheitsverleugnung“ als Zusammenspiel von individuellem Verhalten und betrieblichen Verhältnissen. Drei Beispiele:

– „Verantwortungsabwehr“ nennen die Wissenschaftler einen der beobachteten Typen. Arbeitsunfähigkeit wird zwar im Betrieb nicht direkt sanktioniert, aber individualisiert, belastende Arbeitsbedingungen oder Prävention sind kein Thema im Unternehmen.

– Eine „Ignorierung der betrieblichen Gesundheitsbelastung“ diagnostizieren die Forscher als typisch für die untersuchten modernen Dienstleister wie IT-Firmen, Banken oder ein Krankenhaus. Die Unternehmen bieten zwar Gesundheitsförderung an. Zugleich ist die Arbeit aber so organisiert, „dass Krankheit nicht vorkommen darf“. Termindruck, knappe Personaldecke und das Aufeinanderangewiesensein in Teams sorgen dafür, dass sich bei den Beschäftigten „von selbst Mechanismen der Krankheitsverleugnung entwickeln“.

– Mit Kontrolle operieren einige andere Betriebe. Beschäftigte, die häufiger krank sind, müssen Fehlzeitengespräche führen. Diese sind Teil einer erklärten Strategie, über niedrigere Ausfallzeiten Personalkosten zu sparen. Das Management rechtfertigt sie aber auch damit, dass Ursachen von Belastungen geklärt werden sollen – was aus Sicht der Forscher den „Doppelcharakter einer kontrollierenden Fürsorge“ deutlich macht. Umso wichtiger sei eine aktive Rolle des Betriebsrats, der an solchen Gesprächen teilnehmen darf.

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Rainer Jung idw

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