Studie zu Hochschulabsolventen: Knapp 40 Prozent machen nach dem Examen Praktika, die Hälfte davon unbezahlt

37 Prozent der frisch gebackenen Akademiker schließen nach dem Examen ein Praktikum an, elf Prozent sogar noch ein zweites, statt eine reguläre Berufstätigkeit aufzunehmen. Die Hälfte dieser Tätigkeiten ist unbezahlt. Stark betroffen sind Frauen: 44 Prozent aller Absolventinnen machen nach dem Abschluss mindestens ein Praktikum, bei den Männern sind es 23 Prozent.

Frauen machen auch deutlich häufiger zwei Praktika, und es sind ausschließlich Frauen, die mehr als zwei Praktika ableisten. Die Häufigkeit von Praktika nach dem Examen hängt auch von der Studienrichtung ab: Überdurchschnittlich verbreitet sind Praktika bei den Absolventinnen und Absolventen in geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Fächern.

„Praktika nach dem Studium sind zu einer Form der Übergangsarbeitslosigkeit von Hochschulabsolventen geworden“, resümieren Dr. Dieter Grühn und Heidemarie Hecht. Die Forscher an der Freien Universität Berlin haben im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung und der DGB-Jugend junge Frauen und Männer befragt, die im Wintersemester 2002/2003 in Berlin und in Nordrhein-Westfalen ihr Studium abgeschlossen haben. Mehr als 500 Fragebögen konnten sie für die Untersuchung „Generation Praktikum?“ auswerten, die am heutigen Donnerstag vorgestellt wird. Damit ist die Untersuchung nicht repräsentativ, erlaubt aber erstmals auf breiter Datenbasis Aussagen darüber, wie oft, wie lange und unter welchen Bedingungen Hochschulabsolventen als Praktikanten arbeiten – und wie ihr Einstieg ins Berufsleben aussieht.

Dabei wird deutlich, dass die Sucharbeitslosigkeit beim Übergang in das Beschäftigungssystem zugenommen hat. Allein der Vergleich zwischen Berliner Absolventen des Wintersemesters 2002/2003 und denen des Jahres 2000 zeigt: Die Quote der Diplomierten oder Magister in Praktikum ist um 16 Prozentpunkte gestiegen. Praktikanten sind vor allem in Medien, Kultur und außerschulischer Bildung anzutreffen, seltener in der Industrie, bei Banken oder im Handel. Und ihre Aufenthalte sind keine Stippvisiten: Die mittlere Dauer eines bezahlten Praktikums beträgt sechs Monate. Unbezahlte Praktika sind mit im Schnitt fünf Monaten kürzer, aber jedes vierte erstreckt sich über mehr als ein halbes Jahr.

Mehr als ein Drittel der befragten Absolventinnen und Absolventen erhielt durch eines seiner Praktika ein weiteres Beschäftigungsangebot. In etwa fünf Prozent aller Fälle wurde eine entsprechende Zusage nicht eingehalten. Während des Praktikums selber kann nur ein kleiner Teil der Jung-Akademiker davon leben. Die durchschnittliche Entlohnung der bezahlten Praktika (52 Prozent aller Praktika) liegt bei etwa 600 Euro. Frauen erhalten mit 543 Euro im Schnitt deutlich weniger als Männer mit 741 Euro. Die Vergütung für Geistes- und Kulturwissenschaftler sowie Juristen ist niedriger als die von Natur- und Wirtschaftswissenschaftlern. „Die Zeit der Praktika muss also – auch bei den bezahlten Praktika – finanziell überbrückt werden“, betonen die Forscher. Knapp zwei Drittel der Absolventinnen und Absolventen bitten dazu ihre Eltern um Unterstützung, 40 Prozent müssen zusätzlich zum Praktikum jobben.

Auf die Frage, ob das Praktikum eher zum Lernen und zum beruflichen Fortkommen diente oder dem Arbeitgeber als Möglichkeit, eine kostengünstige Arbeitskraft zu haben, gibt die Hälfte der Absolventen an, das Lernen und Fortkommen habe im Vordergrund gestanden. Bei Praktika in Industrie, Handel, Banken und Versicherungen geben das zwei Drittel an. Ein Viertel aller Befragten fühlte sich primär als „billige Arbeitskraft“. Trotzdem gibt es Indizien dafür, dass die Betriebe, Redaktionen und Kultureinrichtungen sich auf das Angebot gut ausgebildeter Praktikanten eingestellt haben und mit diesem „Probearbeitsmarkt“, so die Forscher, kalkulieren. So bemerkte jeder zweite Befragte: „Die Ergebnisse meiner Arbeit waren im Betriebsverlauf fest eingeplant.“ Jeder Dritte berichtete von Stress und Überstunden. Richtig genervt ist etwa jeder Zehnte: „Die vielen Praktika haben mich frustriert, ich hatte aber keine Alternative.“

Das Gros der Berufstätigen im Wartestand akzeptiere seinen prekären Status, weil es auf Orientierung und zusätzliche Qualifizierung hofft, so die Forscher Grühn und Hecht. Die relative Gelassenheit der Mehrheit „mag einer resignativen Anpassung an die Gegebenheiten auf dem Arbeitsmarkt geschuldet sein.“ Dabei spiele sicherlich eine Rolle, dass den Hochschulabgängern die größeren Probleme anderer Qualifikationsgruppen bekannt sind. „Sie wissen, dass immer noch deutlich gilt: Studieren lohnt sich.“

Dreieinhalb Jahre nach dem Studienabschluss sind unter den Befragten vier Prozent arbeitslos, 16 Prozent arbeiten als Freiberufler oder als Selbständige, drei Viertel sind abhängig beschäftigt. Über 90 Prozent sagen, dass sie sich wieder für ein Studium entscheiden würden. Allerdings würden sich etwa 40 Prozent nun in einem anderen Fach einschreiben.

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