Anzeichen für Engpässe auch am Steinkohlenweltmarkt

Inzwischen hat sich auch herumgesprochen: Weltweit findet, wie es der SPIEGEL vor kurzem in einer Serie und einem Sonderheft ausgedrückt hat, ein „Kampf um Rohstoffe – die knappen Schätze der Erde“ statt. Die globale Nachfrage nach Rohstoffen wächst schneller als das Angebot, der westlichen Welt drohen dramatische Verteilungskämpfe mit den wirtschaftlich aufstrebenden Schwellenländern, allen voran China.

Das betrifft Minerale und Metalle ebenso wie Energierohstoffe. Und es betrifft zunehmend auch die Kohle. Erst recht gilt das bei einer immer größeren Importabhängigkeit, die bei einem Auslaufen des heimischen Steinkohlenbergbaus – was bedeutende politische Kräfte im Land anstreben – bei der Steinkohle auf 100 % steigen würde. Und das, obwohl es große heimische Vorkommen gibt. Das Argument der Versorgungssicherheit durch heimische Steinkohle stützt sich mehr denn je auf stichhaltige Fakten. Auch am Steinkohlenweltmarkt sind Engpässe möglich. Darauf hat der GVSt in Bezug auf die Kraftwerkskohle schon vor kurzem hingewiesen (FAA Nr. 30). Sogar unabhängige Wissenschaftler, die der deutschen Steinkohle und ihrer weiteren staatlichen Unterstützung mehrheitlich nicht freundlich gesinnt sind, geben mittlerweile zu: Auch Kohle könnte an den internationalen Märkten knapp werden.

So heißt es in der im Mai 2006 vorgelegten Denkschrift der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften „Die Energieversorgung sichern“ wörtlich (S.10): „Im Gegensatz zu Erdöl wird Kohle, die 55 % der weltweiten Reserven aller nicht erneuerbaren Energierohstoffe stellt, zumindest noch einigen Generationen zur Verfügung stehen, selbst wenn ihr Verbrauch auch infolge der weitaus schneller versiegenden Erdölreserven zunehmen wird. Dennoch gibt es auch hier Anzeichen für Engpässe. Nur einige zehn Millionen Tonnen Mehrbedarf in China führten in den letzten Jahren zu einer Verdopplung des Importpreises und sogar bis zu einer Vervierfachung des Kokspreises. Engpässe bei Transportschiffen und Verladeanlagen taten ihr Übriges. Die Angebotskonzentration ist weit fortgeschritten. Rund 50 % der weltweiten seewärtigen Kohlenexporte werden von nur 10 Unternehmen durchgeführt. Deren Möglichkeiten zur Beeinflussung von Mengen und Preisen nehmen zu.“

Wenn diese Einschätzung zutrifft, könnten Engpässe und Preissteigerungen, wie man sie 2004/2005 im Kokskohle- und Kokssektor erlebt hat, dann auch im Kraftwerkskohlensektor auftreten – mit möglicherweise gravierenden Folgen für die nationale Stromversorgung.

Diese Sorge treibt nun auch Dienststellen der Europäische Kommission um, die sich derzeit darum bemüht, eine langfristig nachhaltige Kohlenverstromung in der EU durch Forcierung von Clean-Coal-Technologien sicherzustellen. Solche Einschätzungen decken sich auch mit den Befunden der jüngsten aktualisierten Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) über „Reserven, Ressourcen und Verfügbarkeit von Energierohstoffen“ vom Oktober 2006.

Darin wird durch viele Fakten belegt, dass der Energieträger Kohle künftig „eine herausragende Rolle in der Weltenergieversorgung spielen wird“. Denn die BGR geht davon aus, dass in den nächsten 10-15 Jahren der Scheitelpunkt der weltweiten Erdölförderung erreicht wird („Peak Oil“) und auch die Verfügbarkeit von Erdgas dann „vermutlich eingeschränkter sein wird als nach heutigen Maßstäben erwartet“. Die Kohle könnte dann weltweit zum Energieträger Nr. 1 avancieren – was sie in der Stromerzeugung längst schon ist. Langfristig geht an der Kohle, die neben den 55 % der globalen Reserven gut 60 % der globalen Ressourcen an Energierohstoffen repräsentiert, sowieso kein Weg vorbei. Neben ihrer anhaltend großen Bedeutung für die Stromerzeugung wie ebenso für die Stahlproduktion sieht die BGR große Chancen für die Steinkohle auch als Ölsubstitut (mittels Vergasung oder Verflüssigung) insbesondere im Transportsektor, dies vor allem dann, wenn die Klimaproblematik der Kohle durch die neuen Clean-Coal- bzw. „Zero-Emission“-Technologien in den nächsten 20 Jahren befriedigend gelöst wird.

Die BGR geht unter Bezugnahme auf andere Prognosen in jedem Fall davon aus, dass der Weltmarkt für Steinkohle wie in den letzten Jahren auch in der absehbaren Zukunft sehr dynamisch wachsen wird, möglicherweise sogar mit steigenden Zuwachsraten.

Dabei gibt es allerdings auch etliche Hindernisse für die weitere Expansion. „Engpässe“ und „Verknappungen“ sind daher nach Einschätzung der BGR (Studie 2006, S. 24) auch im internationalen Kohlehandel durchaus möglich. Neben der Frage, ob die Angebotskapazitäten mit der weltweit rasanten Nachfrageentwicklung mithalten können, zeichnen sich Friktionen in der weiteren Kohlekette durch begrenzte Hafen-Umschlagskapazitäten und Seefrachtkapazitäten ab. Derzeit ist z. B. auch der Markt für Bergbauausrüstungen „teilweise leer gekauft“. Die BGR verweist auf den anhaltenden „Rohstoffhunger“ Chinas und prognostiziert, dass China künftig kaum noch Kohle exportieren wird, sondern sich zusammen mit Indien zur wichtigsten Importnation für Steinkohle entwickelt.

Explizite Hoffnungen einiger Politiker, dass die VR China als weltgrößter Kohleproduzent andere Länder dauerhaft mitversorgen würde und die Steinkohlenproduktion für Deutschland sozusagen nach China verlagert werden könnte, sind daher nicht berechtigt.

Nicht zu übersehen sind überdies, worauf auch die BGR ähnlich wie die vorgenannte Denkschrift der Nordrhein-Westfälischen Akademie für Wissenschaften nachdrücklich hinweist, die „Konzentrationstendenzen bei den auf dem Weltmarkt tätigen Unternehmen“. Die BGR beziffert den Anteil der „Big Four“ unter den multinationalen Rohstoffunternehmen, das ist die sog. RBXA-Gruppe (Rio Tinto, BHP Billiton, XStrata/Glencore und AngloAmerican), an der weltweiten Exportproduktion für Steinkohle auf etwa ein Drittel. Zugleich gehen rd. 50 % der Ausbauprojekte auf ihr Konto. Innerhalb dieser marktmächtigen Gruppe verfügt ein einziges Unternehmen, BHP Billiton, über 30 % der weltweiten Exportkapazitäten speziell bei der Kokskohle.

Ohnehin außerordentlich hoch und – entgegen weit verbreiteten Behauptungen – höher noch als bei Erdöl und Erdgas ist die Konzentration der weltweiten Förderung, der Reserven und Ressourcen an Steinkohle in einigen wenigen Ländern. Zwar gibt es im Kohlesektor keine vergleichbare Organisation wie die OPEC, keine so starke regionale Reservenkonzentration wie bei Öl und Gas im Nahen Osten und kein russisches Produktionsmonopol wie bei Gasprom, doch hat auch bei der Kohle die Geologie geopolitische Konsequenzen: Die langfristigen Perspektiven des Weltkohleangebots werden von vier Großmächten – USA, China, Indien und Russland – bestimmt werden, auf die nach Stand 2005 gemäß den BGR-Angaben 77 % der Förderung, 70 % der Reserven und 81 % der Ressourcen an Kohle in der Welt entfallen.

Wenn in Deutschland politisch entschieden werden sollte, die heimische Steinkohlenförderung und damit den Zugriff auf die größten nationalen Energierohstoffvorkommen völlig aufzugeben und sich demzufolge in der Steinkohlenversorgung zu 100 % von Importkohle abhängig zu machen, würde dies neben allen sonstigen Konsequenzen bedeuten, hier trotz der verfügbaren Option auf einen eigenen Bergbau über kurz oder lang in ökonomische und politische Risiken hineinzulaufen, für die es deutliche Anzeichen bereits gibt. Es würde gleichzeitig bedeuten, der international führenden deutschen Bergbautechnologie, die durch die wachsende Weltkohlenproduktion große Marktchancen hat, die heimische Absatz- und Referenzbasis und die damit verbundenen Beschäftigungs- und Wertschöpfungspotenziale am Standort Deutschland zu entziehen. Kann dies sinnvoll und verantwortbar sein?

Media Contact

Andreas-Peter Sitte GVST

Weitere Informationen:

http://www.gvst.de

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