Mehr Kopf- und Kieferschmerz bei hoher Bildung

Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Zahnfehlstellungen und einer Störung der Kiefergelenkfunktionen ist nicht nachweisbar. Zu diesem Ergebnis kam eine Forschergruppe unter Leitung von Prof. Dr. Dietmar Gesch, Lehrstuhlinhaber für Kieferorthopädie an der Universität Witten/Herdecke, bei der Auswertung einer Studie, an der über einen Zeitraum von zehn Jahren mehr als 4000 Erwachsene teilgenommen hatten. Erkennbare Risikofaktoren beziehen sich vor allem auf das Geschlecht und den sozioökonomischen Status: Frauen und Angehörige höherer Bildungsschichten leiden häufiger an Kieferbeschwerden und davon verursachten Kopf- und Gesichtsschmerzen.

Symptome, die in Verbindung mit Störungen der Kiefergelenkfunktionen auftreten, werden auch unter den Begriffen kraniomandibuläre oder temporomandibuläre Dysfunktionen (TMD) zusammengefasst. Dabei kann es sich um Schmerzen im Gelenk selbst oder den Gesichtsmuskeln handeln. Typische Zeichen sind auch Knack- und Reibegeräusche. Für das Auftreten von TMD wurden lange Zeit vor allem Fehlstellungen der Zähne verantwortlich gemacht – zum Beispiel zu große Lücken zwischen den Zähnen oder der Vorstand des Oberkiefers oder des Unterkiefers. In den vergangenen Jahren betonten allerdings immer mehr Mediziner, dass dieser angenommene Zusammenhang zwar nahe liegend erscheint, aber kaum beweisbar ist.

Inwieweit Zahnfehlstellungen wirklich Kiefer- und Gesichtsschmerzen verursachen, untersuchte der Kieferorthopäde Dietmar Gesch im Rahmen der umfassendsten bevölkerungsbasierten Feldstudie, die jemals in Deutschland durchgeführt wurde. Bei der Untersuchung „Study of Health in Pomerania“ (SHIP) ging es um den Gesundheitszustand der Bevölkerung in Vorpommern. Die repräsentative Studie verknüpfte human- und zahnmedizinische Fragestellungen. Professor Gesch, der bis zu seiner Berufung nach Witten im Frühjahr 2006 an den Universitäten Hamburg und Greifswald arbeitete, gehörte zu den Verantwortlichen für die zahnmedizinischen Erhebungen und ist auch weiterhin an der Analyse des umfangreichen Datenmaterials beteiligt.

Die Gesamtstudie umfasste ab dem Jahr 1997 zwei Erhebungsphasen. Die zweite Phase endete im Juni 2006. An der ersten Phase („SHIP-0“) nahmen 4310 zufällig ausgewählte Männer und Frauen im Alter von 20 bis 79 Jahren teil. Für die zweite Phase („SHIP-1“) wurden alle diese Teilnehmer zu einer Nachfolgeuntersuchung eingeladen. 3277 folgten dieser Einladung. Die Ergebnisse beider Untersuchungsstaffeln, zwischen denen ein Zeitraum von fünf Jahren lag, zeigen: Menschen mit Zahnfehlstellungen haben kein erhöhtes Risiko, auch Kiefer- und Gesichtsschmerzen zu bekommen.

Anders verhielt es sich bei der Schulbildung und dem Geschlecht. Hier ließ sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen diesen Faktoren und dem Auftreten von Kiefergelenksymptomen beobachten. Gut Ausgebildete leiden doppelt so häufig und Frauen 1,5-mal häufiger an TMD als die übrige Bevölkerung. Auf der anderen Seite – auch das ein Ergebnis der Studie – gibt es sogar Zahnfehlstellungen, die das TMD-Risiko senken können: Eine lückige Zahnstellung ohne Zahnverlust, aber auch das Zähneknirschen erweisen sich als Faktoren, die weniger häufig mit Kiefergelenkproblemen verbunden sind.

„Ganz offensichtlich sind andere Ursachen als Zahnfehlstellungen an der Entstehung von temporomandibulären Dysfunktionen beteiligt“, resümiert der Wittener Kieferorthopäde Dietmar Gesch, der seine Auswertungsergebnisse im Sommer bei einem internationalen Kongress in Wien der Fachöffentlichkeit vorgestellt hat. Welche Ursachen das sind, lässt sich aus den bisherigen Auswertungen nicht benennen. Die möglichen Ursachen sollen nun in einer bereits bestehenden wissenschaftlichen Kooperation mit der University of Michigan in Ann Arbor/USA erforscht werden.

Weiter Informationen: Prof. Dr. Dietmar Gesch
Lehrstuhl und Leitung der Abteilung für Kieferorthopädie
Fakultät für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Universität Witten/Herdecke
02302/926-642, Dietmar.Gesch@uni-wh.de, www.uni-wh.de/zmk/

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Dr. Olaf Kaltenborn idw

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