Anatomie einer wissenschaftlichen Revolution

Mit „Genesis of General Relativity“ hat das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin, soeben die bisher umfassendste Untersuchung zu den Strukturen einer wissenschaftlichen Revolution vorgelegt. Danach ist eine wissenschaftliche Revolution kein einfacher radikaler Neuanfang, sondern das Ergebnis einer Neuorganisation überlieferten Wissens. Nach mehr als zehnjähriger Arbeit erscheint das vier Bände und mehr als 2000 Seiten umfassende Werk zur Entstehung von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie, einer der wichtigsten physikalischen Theorien des 20. Jahrhunderts, im Springer-Verlag. Jürgen Renn, Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, wird das von ihm herausgegebene Werk während des 11. Marcel Grossmann Meetings, das vom 24. bis 29. Juli 2006 in Berlin stattfindet, der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vorstellen. Das von einem internationalen Autorenteam verfasste Werk enthält neue Einsichten in die Voraussetzungen und Bedingungen von Einsteins wissenschaftlicher Revolution, wie z.B. in die Rolle weitgehend unbekannter Vorläufer und Mitstreiter Einsteins für die Formulierung einer Theorie, die heute die Grundlage der modernen Kosmologie darstellt.

„Einstein hat diese Revolution nicht durch einen einsamen Geniestreich bewirkt, er stand vielmehr auf den Schultern von Riesen und Zwergen“, sagt Jürgen Renn. Die Bände 1 und 2 enthalten sowohl Faksimile und Transkription wie auch einen wissenschaftlichen Kommentar zu Einsteins berühmtem Züricher Notizbuch von 1912-1913. Die im Züricher Notizbuch dokumentierten Forschungen stellen einen entscheidenden Bestandteil der Entwicklung der Relativitätstheorie dar.

Verdeutlicht wird dies insbesondere auch durch die Essays, die das Schlüsselmaterial ergänzen und die Entstehung von Einsteins Theorie im Lichte der Analyse seines Notizbuches neu interpretieren. Die Bände 3 und 4 beinhalten zusätzliche Quellentexte Einsteins und seiner Zeitgenossen, die vom späten 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert zur dieser Bahn brechenden Entwicklung mit beigetragen haben. Die Quellen, von denen die Mehrzahl hier zum ersten Mal in einer Übersetzung vorliegt, werden durch Essays führender Historiker der Relativitätstheorie erschlossen, die neue Einsichten in den weiteren wissenschaftlichen Kontext bieten, in welchem Einsteins Theorie entstand. Als Ergebnis von mehr als einer Dekade Forschungsarbeit bieten diese vier Bände eine tiefgreifende Untersuchung einer der wichtigsten Revolutionen in der Geschichte der Wissenschaft.

Die Bände werden durch weitere Quellen ergänzt, die im Internet frei verfügbar gemacht werden – als Teil der virtuellen Einstein-Ausstellung des Max-Planck-Instituts (http://einstein-virtuell.mpiwg-berlin.mpg.de/intro). Wesentliche Ergebnisse der jahrzehntelangen Forschungen – vor allem die Einsichten in die Mechanismen einer wissenschaftlichen Revolution – sind auch in einer dem breiteren Publikum zugänglichen Darstellung in dem kürzlich im Wiley-Verlag erschienenen Buch von Jürgen Renn „Auf den Schultern von Riesen und Zwergen – Einsteins unvollendete Revolution“ zu finden.

Schon vorab hat diese Tiefenanalyse einer wissenschaftlichen Revolution breite Anerkennung unter Physikern und Wissenschaftshistorikern gefunden. Bernard Schutz, Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, meint: „Dieses Werk verändert unsere Vorstellung davon, wie Einstein zur Allgemeinen Relativitätstheorie fand und welche physikalische Bedeutung sie für ihn und seine Zeitgenossen hatte. Als Physiker, der selbst in einer Zeit lebt, in der Physiker die Gravitation ein weiteres Mal neu entdecken, halte ich diese Darstellung nicht nur für faszinierend und dringend notwendig, sondern auch für höchst wichtig.“

Auch William Unruh, Professor für Physik an der University of British Columbia, ist überzeugt: „Die Verbindung von Aufsätzen, die die historische und theoretische Situation interpretieren und erklären, mit den Übersetzungen der wichtigsten Quellenartikel der Zeit macht diese Bände für alle diejenigen unverzichtbar, die sich auch nur entfernt für den phänomenalen Aufbruch interessieren, welchem wir letztlich die Allgemeine Relativitätstheorie verdanken.“ Roger Stuewer, Professor an der University of Minnesota, preist die Bände als eine „außergewöhnliche intellektuelle Leistung, die in der Wissenschaftsgeschichte keine Parallele“ findet.

Bibliographie:

Renn, Jürgen (Hrsg.). 2006. The Genesis of General Relativity, 4 Bde. Dordrecht: Springer:
Bd.1: Michel Janssen, John Norton, Jürgen Renn, Tilman Sauer und John Stachel Einstein’s Zurich Notebook: Introduction and Source.
Bd. 2: Michel Janssen, John Norton, Jürgen Renn, Tilman Sauer und John Stachel Einstein’s Zurich Notebook: Commentary and Essays.
Bd. 3: Jürgen Renn und Matthias Schemmel (Hrsg.). Gravitation in the Twilight of Classical Physics. Between Mechanics, Field Theory, and Astronomy.

Bd. 4: Jürgen Renn und Matthias Schemmel (Hrsg.). Gravitation in the Twilight of Classical Physics. The Promise of Mathematics.

Renn, Jürgen. 2006. Auf den Schultern von Riesen und Zwergen. Einsteins unvollendete Revolution. Berlin: Wiley-VCH.

Renn, Jürgen (Hrsg.). 2005. Albert Einstein – Ingenieur des Universums. Einsteins Leben und Werk im Kontext. Berlin: Wiley-VCH.
Renn, Jürgen (Hrsg.). 2005. Albert Einstein – Ingenieur des Universums. Hundert Autoren für Einstein. Berlin: Wiley-VCH.

Renn, Jürgen (Hrsg.). 2005. Albert Einstein – Ingenieur des Universums. Dokumente eines Lebensweges. Berlin: Wiley-VCH.

Media Contact

Dr. Andreas Trepte Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de

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