"Selbstüberweisung" macht nicht glücklich

Studie des Universitätsklinikums Heidelberg zeigt, dass nur wenige Patienten ihrem Hausarzt eine Überweisung zum Spezialisten vorschlagen / Gute und kostensparende Zusammenarbeit von Haus- und Fachärzten


„Selbstüberweisungen“ von Patienten, das selbst initiierte Aufsuchen von Fachspezialisten ohne oder entgegen Anraten des Hausarztes, tragen nicht zur höheren Zufriedenheit des Patienten bei. Die Patienten sind zufriedener, wenn der Hausarzt die Überweisung veranlasst hat. Reguläre Überweisungen durch den Arzt sparen zudem erhebliche Kosten. Die meisten Überweisungen sind fachlich und zeitlich angemessen; die Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Fachärzten klappt in der Regel gut.

Dies sind die Ergebnisse einer Studie, die Dr. Thomas Rosemann, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Heidelberg, beim dem „Tag der Allgemeinmedizin“ Anfang Mai 2006 in Heidelberg vorgestellt hat. Bislang war vermutet worden, dass „Selbstüberweiser“ erhebliche Kosten im deutschen Gesundheitswesen verursachen. Die Studie ist im „Biomed Central Health Services Research Journal“ (BMC Health Services Research 2006, 6:5) veröffentlicht und wird demnächst im „Deutschen Ärzteblatt“ erscheinen.

Der „Heidelberger Tag der Allgemeinmedizin“ wurde bereits zum vierten Mal von der Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Heidelberg (Leitung Professor Dr. Joachim Szecsenyi) veranstaltet. Mit einem attraktiven Mix aus der Präsentation von Forschungsergebnissen der ambulanten Versorgung und praxisnahen Workshops für Ärzte und Arzthelferinnen hat diese Veranstaltung mittlerweile überregionale Bedeutung erlangt; mehr als 250 Teilnehmer wurden gezählt.

Die Heidelberger Studie zur „Selbstüberweisung“ umfasst eine akribische Dokumentation von 56 Einzelfaktoren sämtlicher Patienten über 18 Jahren mit Überweisung in 25 Arztpraxen mit Spezialisierung bzw. bei 26 Hausärzten inklusive fünf getrennter Fragebögen (2 x Hausarzt, 2 x Patienten, 1 x Facharzt) über einen Zeitraum von 5 Wochen.

Patienten kommen beim Facharzt gut vorbereitet an

Die Ergebnisse: Mehr als 90 Prozent der regulären Überweisungen waren nicht nur angemessen, sondern belegbar zielführend. Nur 10 Prozent der Patienten hätten früher überwiesen werden können, bei knapp 6 Prozent wäre eine Überweisung nicht notwendig gewesen. Weit über 80 Prozent der Patienten kamen beim Facharzt gut vorbereitet an, so konnten die Fachärzte in knapp 65 Prozent der Fälle schwere Erkrankungen unmittelbar ausschließen (bei gerade 15 Prozent zusätzlichen Untersuchungen).

Lediglich bei 55 Prozent der Patienten war eine Therapieunterstützung durch den Facharzt gefragt. Bei 60 Prozent genügten Therapieempfehlungen, die bei 51 Prozent in Therapieverbesserungen mündeten. Auf der Strecke blieb auch das alte Vorurteil der mangelhaften Informationsübermittlung zwischen niedergelassenen Ärzten: Fast 80 Prozent der Befunde landeten zeitnah beim Kollegen.

Bei knapp 70 Prozent aller überwiesenen (und zurück überwiesenen) Patienten war ein klarer diagnostischer und bei etwas über 60 Prozent ein therapeutischer Nutzen klar darstellbar. Den endgültigen Todesstoß für den Mythos der angeblich so beliebten Selbstüberweisung lieferte ein „Nebenergebnis“: Über 90 Prozent der Patienten waren zufriedener mit der Behandlung, wenn die Überweisung vom Hausarzt – und nicht von ihnen selbst – initiiert wurde.

Ansprechpartner:
Dr. Thomas Rosemann
Telefon: 06221 / 56 5213
E-Mail: thomas.rosemann@med.uni-heidelberg.de

Weitere Informationen und Literatur finden Sie online unter:
www.klinikum.uni-heidelberg.de/Abteilung-Allgemeinmedizin-und-Versorgungsforschung.7452.0.html
www.biomedcentral.com/1472-6963/6/5

Bei Rückfragen von Journalisten:
Dr. Annette Tuffs
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Universitätsklinikums Heidelberg
und der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 672
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