Derselbe Krebs, verschiedene Achillesfersen

Beim Kampf gegen Krebs sollte der Arzt seine Waffen mit Bedacht wählen: Sogar bei derselben Krebsart können Medikamente individuell völlig unterschiedlich wirken. Das zeigt eine Studie, die Mediziner der Universität Bonn zusammen mit Kollegen der kanadischen University of Alberta durchgeführt haben. Die Analyse umfasste 57 Patienten, bei denen so genannte neuroendokrine Tumoren gefunden worden waren. Sie wurden mit zwei Stoffen untersucht, die unterschiedliche Tumorzielstrukturen erkennen. Welche Substanz jeweils besser wirkte, hing unter anderem von der Aggressivität des Tumors ab. Bei mehr als der Hälfte der Patienten ließ sich durch den geeigneten Wirkstoff das Krebswachstum stoppen; bei manchen schrumpften die Tumoren sogar. Die Studie ist in der Februar-Ausgabe des renommierten Journal of Nuclear Medicine erschienen.

Durchfälle, Hitzewallungen, Asthma, Hautprobleme, Alkoholunverträglichkeit: Neuroendokrine Tumoren können sich auf völlig unterschiedliche Weise äußern. „Wenn die ersten Symptome auftreten, hat der Krebs meist schon gestreut“, erklärt der Bonner Nuklearmediziner Dr. Samer Ezziddin. „Operativ lässt sich die Erkrankung dann meist nicht mehr behandeln.“

Glücklicherweise wachsen die Tumoren in der Regel relativ langsam. Dennoch kann die Erkrankung den Betroffenen das Leben zur Hölle machen: Viele Geschwulste bilden nämlich Hormone, die beispielsweise das Verdauungssystem komplett durcheinander bringen können. „Die Patienten müssen dann 20 oder 30 Mal am Tag auf die Toilette“, sagt Ezziddin. „Es ist ihnen damit kaum möglich, ein einigermaßen normales Leben zu führen.“

Radioaktives Etikett für kranke Zellen

Die Krankheit ist relativ selten; in der Bundesrepublik werden weniger als 3.000 Neuerkrankungen pro Jahr registriert. Am häufigsten sind neuroendokrine Tumoren des Magen-Darm-Traktes. Sie entstehen durch Mutation aus bestimmten Zellen im Verdauungssystem, die Hormone produzieren und dadurch den Verdauungsvorgang regulieren. Manche Tumoren „erben“ diese Fähigkeit, andere dagegen nicht. Außerdem können sie sich in ihrer Teilungsrate deutlich unterscheiden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat daher die neuroendokrinen Tumoren in verschiedene Kategorien eingeteilt. „Wir konnten in unserer Studie feststellen, dass Tumoren aus verschiedenen Kategorien auch mit unterschiedlichen Medikamenten behandelt werden sollten“, erklärt Dr. Ezziddin.

Die meisten neuroendokrinen Tumoren haben eine schöne Eigenschaft: Sie tragen auf ihrer Oberfläche ungewöhnlich viele Rezeptoren für das so genannte Somatostatin. Mediziner machen sich das zunutze, indem sie an das Somatostatin eine Art radioaktives Etikett kleben. Die derart veränderte Substanz bindet in großen Mengen an die Krebszellen und wird von ihnen aufgenommen. Die strahlenden Zellen lassen sich dann sichtbar machen. Dieses Verfahren eignet sich sogar für die Therapie, da die radioaktive Strahlung die Tumorzellen schädigt oder gar vernichtet. „Und zwar wirklich fast nur die Krebszellen“, betont Ezziddin; „entsprechend gering sind die Nebenwirkungen. Viele Patienten merken von der Behandlung kaum etwas; andere klagen vorübergehend über Unwohlsein.“

Nachteil dieser Methode ist nur, dass sie nicht immer gleich gut funktioniert. Von den 57 Patienten, die der Nuklearmediziner zusammen mit Kollegen aus der Pathologie und der Abteilung für diagnostische Bildgebung aus Alberta untersucht hat, sprachen diejenigen mit einer besonders aggressiven Krebsvariante lediglich auf die Somatostatin-Präparate an. Bei langsamer wachsenden Tumoren half dagegen oft ein anderer Wirkstoff: Das ebenfalls radioaktive MIBG. „Krebszellen einer bestimmten Kategorie können noch Verdauungshormone bilden“, erklärt Ezziddin. „Dazu nutzen sie MIBG fälschlicherweise als Ausgangssubstanz, so dass sich die radioaktive Substanz ebenfalls in den Zellen anreichert und sie schädigt.“ Gegen langsam wachsende Tumorzellen, die Hormone produzieren können, ist MIBG daher sehr gut geeignet.

Verschwinden lassen die Medikamente die Tumoren zwar nicht. Sie schädigen die Geschwulste aber immerhin so stark, dass diese nicht mehr wachsen können. „Das klappt in mehr als der Hälfte der Fälle“, sagt der Mediziner. Mindestens ebenso wichtig ist aber, dass die Krebszellen nach der Behandlung fast keine Hormone mehr ausschütten. „Und damit verschwinden dann meist auch die quälenden Symptome.“

Kontakt:
Dr. Samer Ezziddin
Klinik für Nuklearmedizin der Universität Bonn
Telefon: 0228/287-6171 (Pforte; von dort aus kann man sich verbinden lassen)
E-Mail: samer.ezziddin@ukb.uni-bonn.de

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Frank Luerweg idw

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