Studie: Rückkehr in die Stadt ist keine Modeerscheinung

Aktuelle Difu-Studie belegt Trend zum „Innenstadtwohnen“. Menschen würden nicht ins Umland „flüchten“, wenn sie in der Stadt adäquaten Wohnraum fänden. Das Deutsche Institut für Urbanistik befragte Bewohner in Leipzig und München und untersuchte am Beispiel der Hamburger „Hafencity“ die Umnutzung des innenstadtnahen Hafengeländes auch für das Wohnen. Ein Erfahrungsbericht zum Wohnen am Potsdamer Platz in Berlin rundet die Studie ab.

Die räumliche Entwicklung der Städte wurde jahrzehntelang durch die Abwanderung ins Umland geprägt. Vor allem junge Familien gehörten zu den „Stadtflüchtern“. Eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) macht einen neuen Trend sichtbar: Insbesondere innenstadtnahe Quartiere werden wieder als attraktiver Wohnstandort entdeckt. Nach jahrelangen Bevölkerungsverlusten nimmt die Einwohnerzahl innenstadtnaher Quartiere in einigen Städten sogar bereits wieder zu. Aber nicht allen, die dort wohnen möchten, ist dies auch möglich.

Die Studie verdeutlicht, dass das Interesse am Wohnen in der Innenstadt keine Modeerscheinung ist. Offenbar fördert der grundsätzliche Wandel der Lebensbedingungen in den Städten diesen Prozess: So ist es in den Großstädten – meist im Innenstadtbereich – in den letzten Jahren wieder zu einem Anstieg an hochqualifizierten Arbeitsplätzen gekommen, was dort zu einer vermehrten Nachfrage nach entsprechendem Wohnraum führte. Die Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft und der Eintritt ins Informationszeitalter begünstigen einen Lebensstil, bei dem die Trennung von Wohnen und Arbeit obsolet wird und die Standorte wieder näher zueinander rücken. Vor allem die Attraktivität der Stadt und des innenstadtnahen Bereichs wurde bei Bewohnerbefragungen als Grund für den Wunsch zum Wohnen in der Stadt genannt. Bei freier Wahlmöglichkeit würden nur 3,8% der Bewohner des Untersuchungsgebiets in Leipzig und 6,8% in München im Umland wohnen wollen. Angesichts der obligatorischen Parkplatznot in Innenstädten konnten sich sogar 45% der Befragten in München vorstellen, auf ihren PKW zugunsten des Wohnens in der Innenstadt zu verzichten.

Das freistehende Einfamilienhaus gilt seit Jahrzehnten als das unangefochtene Wohnleitbild und ist mit Abstand die favorisierte Wohnform der Deutschen. Die Bedingungen, die dem Wohnleitbild „freistehendes Einfamilienhaus“ zum Durchbruch verhalfen, wie zum Beispiel die belastete Umwelt oder die enge Wohndichte in der Stadt, haben sich inzwischen verbessert. Daher ist zu erwarten, dass sich neue Wohnpräferenzen herausbilden. Vermutlich wird das freistehende Einfamilienhaus seine Dominanz als Wohnleitbild für bestimmte Bevölkerungsschichten verlieren. Es ist überwiegend die (gehobene) Mittelschicht, die in innenstadtnahe Quartiere wechselt und bestimmte Areale für sich wieder entdeckt: In beiden Untersuchungsgebieten ist das Bildungsniveau außerordentlich hoch und liegt – wie das Haushaltseinkommen – über dem jeweiligen städtischen Durchschnitt.

Aufgrund der sozialen Unterschiede der Gesellschaft bilden sich auch in der Innenstadt zunehmend Quartiere mit spezifischen sozialen Milieus: Gleiche Anschauung und gleicher Lebensstil führen Menschen in einem von ihnen bewusst gewählten Quartier zusammen. Die Studie verdeutlicht jedoch auch, dass das Wohnen in der Innenstadt nicht zwangsläufig einen bestimmten Lebensstiltypus anspricht, sondern dass die Innenstadt als Wohnstandort von Menschen unterschiedlichster Lebensstile bevorzugt wird.

Die Preise für Wohnraum im renovierten Bestand des innenstadtnahen Bereichs steigen jedoch weiterhin an. Zudem entsteht in den meisten Städten, die über innenstadtnahe Brach- und Recyclingflächen verfügen, und deren Wiedernutzung auch dem Wohnen dienen soll, vorrangig Wohnraum im hochpreisigen Sektor. Wenn sich die vorhandenen Areale mit einer wohlsituierten Bevölkerung in den Innenstädten weiter ausbreiten, wird mit einer weiteren Verdrängung finanziell schlechter gestellter Bevölkerungsgruppen aus innenstadtnahen Wohnquartieren zu rechnen sein.

Die Innenstadt und innenstadtnahe Gebiete sind auch bei jungen Familien beliebt. Die Befragungen aus den Untersuchungsgebieten verdeutlichten, dass junge Familien oder Haushalte, die vor der Familiengründung stehen, in ihrem innenstadtnahen Quartieren bleiben möchten und nur aus Gründen des steigenden Flächenbedarfs eine größere Wohnung suchen. Angemessenen Wohnraum finden sie aber meist nicht und schon gar nicht zu akzeptablen Preisen in ihrem bisherigen innenstadtnahen Wohnquartier. Das Innenstadtwohnen wird von diesen Personengruppen dabei keineswegs – wie vielfach unterstellt – von vornherein als familien- oder kinderfeindlich empfunden. Aus stadtentwicklungspolitischer Sicht ist die Abwanderung von Familien in das Umland nicht erwünscht und von den Familien ebenso wenig gewollt, sondern meist – finanziell – erzwungen. Es gilt daher, die Vorstellung vom familienfeindlichen Stadtleben – sowohl seitens der Stadtplanung als auch der Wohnungswirtschaft – zu korrigieren und ein neues Leitbild des „familien- und kindgerechten Wohnens“ für innenstadtnahe Gebiete zu entwickeln.

Die Geschichte des Wohnens in der Innenstadt ist bisher zumeist eine Geschichte der Verdrängung des Wohnens, jahrzehntelang begleitet von einem negativen Image der Innenstadt als Wohnstandort. Dieses Image scheint sich nun jedoch zu wandeln, so dass man heute – mit vorsichtigem Optimismus – von einer Wiederentdeckung des innenstadtnahen Wohnens sprechen kann.

Empirische Grundlagen

Die neue Difu-Studie ist die erste Untersuchung, die die Rückkehr des Wohnens in die Innenstadt als generellen Trend ausmacht und beschreibt. Wesentliche Grundlage der Untersuchung sind Bewohnerbefragungen in einem innenstadtnahen Wohnquartier in Leipzig (der Stadtteil Schleußig) sowie in München (das Glockenbach-/Gärtnerplatzviertel). Des Weiteren wurde am Beispiel des Projekts Hafencity in Hamburg der Frage nachgegangen, inwieweit innenstadtnahe Brachflächen oder Recyclingflächen wieder für das Wohnen erschlossen werden und welche Konzepte seitens der Stadtplanung und der Investoren dabei verfolgt werden (könnten). Ergänzt wird die Studie durch einen persönlichen Erfahrungsbericht über das Wohnen am Potsdamer Platz in Berlin, dem größten innerstädtischen Bauprojekt der 1990er Jahre.

Die komplette Studie mit allen Einzelergebnissen ist soeben erschienen:
Wohnen in der Innenstadt – eine Renaissance? Von Hasso Brühl, Claus-Peter Echter, Franciska Frölich von Bodelschwingh und Gregor Jekel, 2005. Difu-Beiträge zur Stadtforschung, Bd. 41, 336 S., Euro 29,-. ISBN 3-88118-392-2. Bestellung über den Buchhandel oder das Difu direkt: verlag@difu.de.
http://www.difu.de/publikationen/abfrage.php3?id=838

Weitere Informationen:
Dipl.-Sozialwirt. Hasso Brühl
Telefon: 030/39001-243, E-Mail: bruehl@difu.de

Pressestelle:
Sybille Wenke-Thiem
Ltg. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Institut für Urbanistik (Difu)
Ernst-Reuter-Haus
Straße des 17. Juni 112
10623 Berlin
S-Bahn: Tiergarten

E-Mail: wenke-thiem@difu.de
Internet: http://www.difu.de
Telefon: 030/39001-209/-208
Telefax: 030/39001-130

Kurzinfo: Deutsches Institut für Urbanistik

Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu), Berlin, ist als größtes Stadtforschungsinstitut im deutschsprachigen Raum die Forschungs-, Fortbildungs und Informationseinrichtung für Städte, Kommunalverbände und Planungsgemeinschaften. Ob Stadt- und Regionalentwicklung, Wirtschaftspolitik, Städtebau, Soziale Themen, Umwelt, Verkehr, Kultur, Recht, Verwaltungsthemen oder Kommunalfinanzen: Das 1973 gegründete unabhängige Institut bearbeitet ein umfangreiches Themenspektrum und beschäftigt sich auf wissenschaftlicher Ebene mit allen Aufgaben- und Problemstellungen, die die Kommunen heute und in Zukunft zu bewältigen haben. Rechtsträger ist der Verein für Kommunalwissenschaften e.V., der zur Sicherung und Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung durch Förderung der Kommunalwissenschaften gegründet wurde.

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