Subjektives Befinden messbar

Klinische Studien sollten nicht nur medizinische Fakten erfassen

Rezidive, das ist der medizinische Ausdruck für Rückfälle, sind ein typischer Messwert einer klinischen Studie. Wie viele Tumore bildeten sich nach zunächst erfolgreicher Operation oder Strahlentherapie neu? Trat nach einer Infektionskrankheit eine erneute Infektion mit dem ursprünglichen Erreger auf? Angaben über Verabreichungsmengen und -zeiten, Messungen von Verläufen etc. gehören zum Standardrepertoire einer Studie. Doch was ist mit subjektiven Aussagen der Patienten? Soll man sie vernachlässigen? Und wenn man das nicht will, kann man sie in eine aussagekräftige Metrik bringen?

Die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA hat in ihrer Denkschrift „Innovation or Stagnation: Challenge and Opportunity on the Critical Path to New Medical Products“ die routinemäßige Einbeziehung subjektiver Outcome-Maße für klinische Studien gefordert (FDA, 2004). Für Privatdozent Dr. Peter Brieger von der Universitätsklinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg war dies der Anlass, sich im Rahmen eines von der DFG geförderten Projektes dem Thema „Subjektive und vermeintliche objektive Maße bei chronischen psychischen Erkrankungen“ zu widmen.

„Die Pole `Subjektivität? und `Messung? scheinen sich zu widersprechen“, erläutert Dr. Brieger. „In unserem Projekt haben wir jedoch gezeigt, dass es relativ einfach möglich ist, die subjektive Sicht der Patienten als Nutzer und Kunden zu erfassen. Wie die FDA anregt, sind wir der Meinung, dass es wünschenswert wäre, subjektive Outcome-Maße in jeder klinischen Studie zu berücksichtigen.“

Positive oder negative Aussagen eines Patienten hängen nicht nur von seiner Persönlichkeitsstruktur und damit von seiner Sicht der Welt ab. „Diese These dient oft nur als Schutzbehauptung, sich nicht mit den subjektiven Aussagen befassen zu müssen“, vermutet Dr. Brieger. „Im Verlauf einer Studie kann man ganz klar Veränderungen des Befindens nachweisen.“

Nur was man messen und vergleichen kann, kann man in einer Studie auswerten. Eine Arbeitsgruppe um Professor Dr. Stefan Priebe vom Barts College of Medicine, University of London, hatte in früheren Arbeiten diskutiert, dass sich viele relativ komplexe Konstrukte zur Erfassung subjektiver Outcome-Maße (z.B. für Angst oder Depression, für Bedürfnisse – „needs“, subjektive Lebensqualität oder Zufriedenheit) auf einen zugrunde liegenden Generalfaktor hinreichend reduzieren lassen. „Wenn es also gar nicht so kompliziert ist, das subjektive Befinden zu messen, sollten wir es auch viel öfter tun“, folgert Dr. Brieger.

Während eines Forschungsaufenthaltes in London validierte er die These und wertete Daten zweier Studien aus: zum einen bezog sich Dr. Brieger auf eine Studie über Patienten mit bipolaren Störungen, zum zweiten befaßt er sich mit einer Studie über berufliche Rehabilitation psychisch Kranker.

Nach einem intensiven inhaltlichen und methodischen Diskussionsprozess erfolgte die abschließende Auswertung der Daten in enger Kooperation zweier Arbeitsgruppen in Halle und London. Im ersten Datensatz untersuchte Dr. Brieger unterschiedliche Outcome-Variablen auf eine zugrunde liegende gemeinsame Struktur. Im zweiten Datensatz führte er verschiedene subjektive Outcome-Maße auf einen „Meta-Faktor“ zurück. „Unsere Analysen bestärken uns in der Ansicht, dass es möglich ist, besser und kürzer in klinischen Studien patientenbestimmte Outcome-Kriterien zu erfassen“, bekräftigt Dr. Brieger. „Die Konsequenzen würden über das Fach Psychiatrie hinaus gehen: durch die Vereinfachung und Beschränkung auf wesentliche Aspekte werden vielleicht weniger Kollegen abgeschreckt, auch die subjektiven Faktoren in ihren klinischen Studien zu berücksichtigen. Und damit kämen sie den Wünschen der FDA nach.“

Jens Müller
Pressereferent
Klinikum der Medizinischen Fakultät
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
06097 Halle (Saale)
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