Zahlenstrahl zündet Geistesblitze

Max-Planck-Institut für Bildungsforschng hat untersucht, wie Kinder Mathematik lernen / Neue Ausgabe von MaxPlanckForschung erschienen

Mathematik ist nicht nur für viele Schüler, sondern auch für die Pädagogik seit jeher ein problematisches Fach – und lange galt, dass mathematisches Denken vor allem Sache einer angeborenen Begabung, ansonsten aber nur begrenzt zu vermitteln sei. Dem widersprechen Untersuchungen an Grundschülern, durchgeführt am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung unter Leitung von Elsbeth Stern: Sie zeigten, dass auch schwächere Schüler, sofern sie richtig angeleitet werden, mathematische Konzepte begreifen und richtig gebrauchen lernen. Über die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studie berichtet MaxPlanckForschung (1/2005) in ihrer neuesten Ausgabe.

Rund 200 Kinder aus den fünften Klassen von Berliner Grundschulen nahmen an dem Projekt teil. Elsbeth Stern, Kognitionspsychologin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, und ihre Mitarbeiter hatten verschiedene Lernexperimente entworfen, die aufzeigen sollten, wie Kinder neue mathematische Zusammenhänge erfassen und welche Schwierigkeiten sie dabei zu überwinden haben.

So ging es beispielsweise darum, Zahlen auf einem Zahlenstrahl richtig zu positionieren – eine Versuchsreihe, die Wechselwirkungen zwischen dem so genannten prozeduralen und dem konzeptuellen Wissen der Kinder aufzeigen sollte. Prozedurales Wissen besteht darin, bestimmte „Kochrezepte“ routinemäßig und ohne tiefere Einblicke in dahinter liegende Sachverhalte anzuwenden; konzeptuelles Wissen hingegen beruht auf Einsicht in grundlegende Zusammenhänge und ist letztlich das, was mathematisches Denken auszeichnet.

Dieses konzeptuelle Wissen muss und kann gelernt werden. Denn ohne Lernen kommen zum einen auch mathematisch Begabte nicht sonderlich weit, und zum andern erzielen auch nur durchschnittlich intelligente Menschen durch entsprechende Motivation und Übung sehr gute Leistungen.

Vertiefendes Verständnis zu wecken, trägt am meisten zu einem dauerhaften Lernerfolg bei. Ein Unterricht, der mit Rücksicht auf die Schwächeren auf ein einfaches, alltagsnahes Programm abzielt und abstrakte mathematische Konzepte ausspart, ist verfehlt. Elsbeth Stern: „Denn das Gegenteil von gut ist in dem Fall nicht schlecht, sondern gut gemeint: Gerade bei schwächeren Kindern bewirkt ein alltagsnaher Unterricht am wenigsten, bringt vielmehr ein abstraktes Programm den größten Fortschritt. Das liegt daran, dass leistungsstarke Schüler in einfachen Aufgaben auch von allein mathematische Strukturen erkennen, dass die Schwächeren hingegen dafür gezielte Unterstützung und Anregung benötigen.“

Die falsche Schonhaltung gerade im Mathematik-Unterricht geht wesentlich auf Arbeiten des Kinderpsychologen Jean Piaget (1896 bis 1980) zurück, nach dessen Ansicht Grundschul-Kinder in allen Wissensgebieten auf der konkret-operativen Stufe verharren und unfähig zur Abstraktion sein sollten – ein Vorurteil, das inzwischen durch mehrere Untersuchungen widerlegt ist.

Wenn es zuträfe, dass Kinder sich programmiert entfalten, bräuchte es keinen anregenden Unterricht, so Elsbeth Stern: „Dann würden die Begabten alles von selbst lernen, und bei den übrigen wären Hopfen und Malz verloren. Es sollte sich aber allmählich herumsprechen, dass Wissen, Motivation und Übung entscheidend für jeglichen Lernerfolg sind – und dass guter, will sagen anspruchsvoller Unterricht gerade in Mathematik den Kindern wertvolle Denkwerkzeuge an die Hand gibt.“

Denn die Mathematik, so urteilte schon Francis Bacon zu Anfang des 17. Jahrhunderts, ist eine Sprache, mit der sich Gebiete beschreiben lassen, die man sonst nur wortlos bestaunen müsste. Dabei konnte der englische Philosoph und Schriftsteller noch nicht ahnen, um wie viel mehr seine Einsicht am Beginn des 21. Jahrhunderts gelten würde.

Media Contact

Dr. Antonia Rötger Max-Planck-Gesellschaft

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