Wie ernähren sich die Deutschen im Alltag?

Studie rückt verbreitete Vorurteile zurecht: Flexibel im Beruf sein, den Zeitrhythmen und Bedürfnissen der Haushaltsmitglieder gerecht werden und auch noch an die Gesundheit denken – die Ernährung im Alltag stellt hohe Anforderungen. Wie gehen die Deutschen damit um? Wie gestalten sie ihren Ernährungsalltag? Und stimmen weit verbreitete Annahmen über Außer-Haus-Ernährung und Mahlzeitengestaltung mit der Wirklichkeit überein?

Den Ernährungsalltag der Deutschen haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Frankfurter Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE) innerhalb des laufenden Verbundforschungsprojekts „Ernährungswende“ untersucht. In einer repräsentativen Studie haben sie 2.039 Personen über 18 Jahre, die in einem eigenen Haushalt leben, über ihre Ernährungsorientierungen und ihr Ernährungsverhalten befragt. Folgende Fragen standen im Zentrum: Wo und mit wem werden Mahlzeiten verzehrt? Wie viel Zeit nehmen sich die Deutschen für das Essen? Wer ist für die Versorgung verantwortlich?

Die Ergebnisse der Studie bieten ein differenziertes Bild der gewandelten Ernährungsgewohnheiten und relativieren verbreitete Vorurteile über eine zunehmende Enthäuslichung der Ernährung und einen Verlust der kommunikativen Esskultur.

Ausgewählte Ergebnisse im Überblick:

Trotz der wachsenden Bedeutung des Außer-Haus-Verzehrs in den vergangenen Jahren findet der überwiegende Teil der Ernährung nach wie vor in den eigenen vier Wänden statt. Die Mahlzeit, die am häufigsten außer Haus verzehrt wird, ist das Mittagessen an Werktagen. Doch auch diese Mahlzeit wird noch von 75 Prozent der befragten Personen zu Hause eingenommen. 8 Prozent suchen eine Kantine oder Mensa auf, ebenso viele verzehren am Arbeitsplatz einen Imbiss. Andere Außer-Haus-Angebote spielen eine geringe Rolle: 3 Prozent gehen mittags ins Restaurant (einschl. Fast Food-Restaurant), weitere 3 Prozent versorgen sich am Stehimbiss, beim Metzger oder Bäcker. Der hohe Anteil an Personen, die mittags zu Hause essen, relativiert die verbreitete Ansicht, dass die Außer-Haus-Ernährung immer stärker in den Vordergrund rückt. Auffällig ist, dass selbst viele Berufstätige mittags gemeinsam mit ihren Kindern zu Hause essen.

Auch die verbreitete Befürchtung, dass gemeinsame Mahlzeiten zunehmend an Verbindlichkeit verlieren, wird durch die Befunde der Studie entkräftet. „Die Deutschen sind keineswegs zu situativen Einzelessern geworden, wie schon vor 10 Jahren prophezeit wurde“, hebt Dr. Doris Hayn vom ISOE hervor. Im Gegenteil, wie ein Blick auf die unterschiedlichen Ernährungsstile verdeutlich. So sind die Außer-Haus-Orientierung und das Bedürfnis nach flexibler Mahlzeitengestaltung bei den „desinteressierten Fast Foodern“ zwar am stärksten ausgeprägt, doch geht dies einher mit dem Wunsch nach gemeinsamen Mahlzeiten: In dieser Gruppe frühstücken 74 Prozent an Werktagen allein. Dieser hohe Anteil ist aber vor allem eine Folge der Haushaltsform: Knapp zwei Drittel der desinteressierten Fast Fooder leben allein und frühstücken entsprechend auch alleine. An Werktagen essen mittags 65 Prozent in Gesellschaft, abends tun dies immerhin knapp 50 Prozent. Ein erheblicher Teil der allein Lebenden trifft sich also mit Freunden und Bekannten zum gemeinsamen Essen.

Die Mahlzeitengestaltung ist also sowohl von den Ansprüchen an die eigene Ernährung als auch von der Haushaltskonstellation abhängig. So frühstückt beispielsweise etwa ein Drittel der „gestressten AlltagsmanagerInnen“, die überwiegend in Haushalten mit Kindern leben, an Werktagen allein. Bei dieser Gruppe ist die flexible Gestaltung des Frühstücks an Werktagen vor allem ein Tribut an die unterschiedlichen Zeitrhythmen der Familienmitglieder. Dafür verlagert sich das gemeinsame Essen unter der Woche auf das Mittag- und vor allem auf das Abendessen, das annähernd 90 Prozent der gestressten AlltagsmanagerInnen zusammen mit anderen Haushaltsmitgliedern einnehmen.

Vor allem bei Erwerbstätigen zeigt sich, dass die Hauptmahlzeit heute vermehrt am Abend stattfindet: Ernährungsstile mit einem hohen Anteil an Berufstätigen verzehren wochentags überdurchschnittlich oft ein warmes Abendessen. Berufliche Eingebundenheit hat darüber hinaus auch Auswirkungen auf die Mahlzeitendauer: Erwartungsgemäß nehmen sich Personen, die nicht berufstätig sind, im Durchschnitt mehr Zeit als Erwerbstätige. Bemerkenswert ist jedoch, dass innerhalb der Gruppe der Erwerbstätigen die Dauer des Mittagessens mit zunehmendem Grad der beruflichen Einbindung nicht ab-, sondern zunimmt. Selbst im stressigen Berufsalltag nehmen sich die Deutschen Zeit fürs Essen.

„Die zunehmende flexible Gestaltung von Mahlzeiten und die Nutzung von Außer-Haus-Angeboten sind nicht selten das Ergebnis von Kompromissen. Es handelt sich also um pragmatische Lösungen, bei denen unterschiedliche Anforderungen des Alltags mit den eigenen Wünschen zusammengebracht werden,“ so Dr. Doris Hayn vom ISOE.

Ob dieser Kompromiss gelingt oder zu Überlastung und Unzufriedenheit führt, hängt auch von der Arbeits- und Verantwortungsteilung in den Haushalten ab. Trotz aller Veränderungen des Ernährungsalltags hat sich eines kaum gewandelt: die Zuständigkeit der Frauen. Egal ob Einkaufen oder Kochen, in den Mehrpersonenhaushalten verrichten mehrheitlich die Frauen die Ernährungsarbeit. Wenn Kinder im Haushalt sind, verschärft sich diese ungleiche Verteilung erheblich. „Die Ergebnisse der Studie machen eines sehr deutlich,“ so Dr. Doris Hayn, „im Außer-Haus-Bereich und für das Essen zu Hause besteht ein erhebliches Defizit an alltags-adäquaten und soziokulturell differenzierten Angeboten, mit deren Hilfe eine gesundheitsfördernde und umweltverträgliche Ernährung leichter im Alltag umgesetzt werden kann, trotz gestiegener Anforderungen.“

Die Studie „Ernährungsstile im Alltag – Ergebnisse einer repräsentativen Untersuchung“ ist als Download unter www.ernaehrungswende.de abrufbar oder kann als Druckversion beim Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) bestellt werden: E-mail: info@isoe.de, Tel.: 069-707 6919-10.

Im Rahmen des Forschungsvorhabens „Ernährungswende“ werden Strategien für eine nachhaltige Ernährung entwickelt. „Ernährungswende“ ist ein Gemeinschaftsprojekt des Forschungsverbundes Ökoforum, unter der Leitung des Öko-Instituts e.V., an dem das Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE), das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), das KATALYSE-Institut für angewandte Umweltforschung und das Österreichische Ökologie Institut für angewandte Umweltforschung beteiligt sind. Das Forschungsvorhaben wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Förderschwerpunkt „Sozial-ökologische Forschung“ gefördert.

Media Contact

Michaela Kawall idw

Weitere Informationen:

http://www.ernaehrungswende.de

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