Westeuropäische Unternehmen wollen Fertigung und F&E-Aktivitäten an Heimatstandorten zurückfahren

Westeuropäische Unternehmen wollen in den kommenden drei Jahren an heimischen Standorten ihre Produktion im unteren Bereich der Wertschöpfungskette sowie Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten (F&E) deutlich zurückfahren. Hauptgründe sind der Druck zur Rationalisierung und das Bestreben, die Arbeitskosten für weniger qualifizierte Tätigkeiten zu senken. Die Zukunft der westeuropäischen Produktion liegt auf Grund der hohen Produktivität zunehmend in der Herstellung von forschungsintensiven Hightech-Gütern. Das hat eine Umfrage im Auftrag von KPMG ergeben, bei der 172 Unternehmen des produzierenden Gewerbes (darunter 31 in Deutschland) aus den führenden westeuropäischen Industrienationen befragt wurden.

Während die befragten Produzenten heute durchschnittlich 48 Prozent ihrer Kapazitäten in den genannten Staaten fertigen, wird dieser Wert in drei Jahren auf 42 Prozent sinken. Auch der Anteil an den F&E-Aktivitäten wird nach Angaben der Unternehmen bis 2007 in Westeuropa von 55 auf 49 Prozent abnehmen. Vor allem Produzenten, die mehr als drei Viertel ihrer Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in Europa konzentriert haben, werden diese dort reduzieren: Während heute 44 Prozent in diese Kategorie fallen, gehen nur 31 Prozent davon aus, noch in drei Jahren dazuzugehören. Als Hauptgründe für eine Standortverlagerung nannten die Befragten die Arbeitskosten (65 Prozent) sowie den Zwang zu Rationalisierung und Effizienzsteigerung (48 Prozent). Auch die Nähe zu Schlüsselmärkten spielt eine entscheidende Rolle.

Theodor Kilgert, verantwortlicher Partner bei KPMG für den Bereich „Industrial Products“: „Zumindest mittelfristig werden die Unternehmen aus Westeuropa bei der Produktion besonders hochwertiger Güter immer noch einen klaren Wettbewerbsvorteil haben. Warum, wird klar, wenn man das Bruttoinlandsprodukt pro Arbeitsstunde einzelner Länder vergleicht. Es liegt in Frankreich und Deutschland bei über 47 US-Dollar und in Großbritannien bei knapp 40 Dollar. In Indien und China dagegen sind es nur 1 bis 1,50 Dollar. Die Produktivität in Westeuropa ist sehr hoch und gleicht die hohen Arbeitskosten teilweise aus. Diese sind ohnehin nur ein Faktor von vielen, wenn es um die Wahl des geeigneten Produktionsstandortes geht. Weiterhin zu beachten sind Logistik, Qualitätsniveau, Infrastruktur und die Transparenz gesetzlicher Rahmenbedingungen. Voraussetzung dafür sind allerdings ständige Produktinnovationen. Deutschland – mit einem 2,5 Prozent-Anteil der F&E-Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt – hält dabei dem Wettbewerbsdruck besser stand als viele andere westeuropäischen Länder, deren Anteil zwischen 0,7 Prozent (Griechenland) und 1,9 Prozent (Großbritannien, Niederlande, Österreich) liegt. Allerdings stimmt insbesondere die zunehmende Bereitschaft, wertschöpfungsintensive Bereiche wie F&E nach Asien oder Osteuropa zu verlagern, bedenklich.“

Neue Produktionsstandorte: Westeuropa gleichwohl vorn

Trotz der geäußerten Zurückhaltung wollen 45 Prozent der befragten Unternehmen innerhalb der nächsten drei Jahre neue Produktionsstätten für höherwertige Güter vorrangig in Westeuropa errichten. 18 Prozent planen die erwähnten Investitionen hingegen nach China zu verlagern, zehn Prozent nach Indien und in den Asien-Pazifik-Raum. Und 8,5 Prozent der Produzenten sehen Investitionen in den neuen osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten vor.

Theodor Kilgert: „Wenn die Ansiedlung bestimmter Aktivitäten an billigeren Standorten die Wettbewerbsfähigkeit der Hersteller aus Westeuropa insgesamt verbessert, werden diese wiederum eher in der Lage sein, in die hochwertigeren Bereiche zu investieren, die sie in den Westeuropa beibehalten wollen.“

Finanzierung: Klassischer Bankkredit überwiegt

Der Investitionsbedarf in weitere kostenintensive Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten ist größer denn je. Dennoch zeigen die europäischen Hersteller keine Anzeichen, ihre langfristigen Bankkredite zugunsten anderer, innovativer und potenziell günstigerer Finanzierungsquellen wie z.B. Private Equity, zu ersetzen. So gaben 59 Prozent an, sich derzeit vorwiegend auf lang-fristige Bankkredite zu stützen – ebenso viele gehen davon aus, dass dies auch in drei Jahren noch immer der Fall sein wird.

Theodor Kilgert: „Eine der zentralen Schlussfolgerungen aus der Umfrage ist, dass die Voraussagen mancher Pessimisten vom Niedergang der westeuropäischen Produktion nicht der Realität entsprechen. Allerdings beruht diese Schlussfolgerung auf der Annahme, dass unsere produzierende Basis weiterhin innovativ tätig bleibt und konsequent qualitativ hochwertige und technisch anspruchsvolle Produkte der „nächsten Generation“ herstellt. Dies erfordert erhebliche Investitionen und Anstrengungen. Effizienzsteigerungen, Produktinnovationen und Qualitätsoffensiven werden zunehmend überlebenswichtig. Bemerkenswert ist aber, dass die befragten Unternehmen offenbar einen Wechsel zu möglicherweise günstigeren Finanzierungsquellen scheuen.“

Economist Intelligence Unit (EIU): „The future of European manufacturing“. Befragt wurden Unternehmen in Belgien, Deutschland, Dänemark, Finnland, Frankreich, Italien, Niederlande, Norwegen, Schweden, Schweiz, Spanien, UK und in Europa ansässige Unternehmen mit Hauptsitz in den USA.

Media Contact

Thomas Blees KPMG

Weitere Informationen:

http://www.kpmg.de

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