Neue OECD-Analyse stützt Bedenken gegen Arbeitszeitverlängerungen

In einer Stellungnahme zum diesjährigen Beschäftigungsausblick der OECD, der heute in Paris veröffentlicht wurde, machen Prof. Gerhard Bosch, Vizepräsident des Instituts Arbeit und Technik, und Dr. Steffen Lehndorff, Direktor des Forschungsschwerpunkts Arbeitszeit und Arbeitsorganisation, auf einige Anregungen für die aktuelle Arbeitszeitdebatte in Deutschland aufmerksam.

Die OECD untersucht die längerfristigen statistischen Zusammenhänge zwischen Arbeitszeit, Arbeitsproduktivität und Beschäftigung. Wichtig für die deutsche Diskussion sei zunächst, so Bosch und Lehndorff, dass im OECD-Vergleich kurze Arbeitszeiten mit hoher Arbeitsproduktivität einhergehen. Dies bestätige die Untersuchungsergebnisse des IAT zum Zusammenhang von Arbeitszeit und Arbeitsproduktivität in der EU (Abbildung 1): „Kurze Arbeitszeiten wirken als ’Produktivitätspeitsche’, weil sie die Phantasie anregen, wie in knapper Zeit besser gearbeitet werden kann. Lange Arbeitszeiten dagegen führen eher dazu, dass Manager zu Denkfaulheit verleitet werden und zu der trügerischen Illusion, sie könnten ihre Marktposition durch eine Lohnkostenkonkurrenz mit Niedriglohnländern sichern. Daraus entsteht nur ein aussichtsloser Unterbietungswettlauf bei Lohn und Arbeitszeit in Europa. Wenn ausgerechnet der Exportweltmeister den Rückwärtsgang bei Arbeitszeit und Lohn einlegen will, wird die Reaktion der Konkurrenten nicht lange auf sich warten lassen. In Frankreich, Österreich, den Niederlanden und anderen Ländern hat die Debatte über Arbeitszeitverlängerungen schon begonnen, und bedauerlicherweise geben deutsche Unternehmen dabei die Richtung vor.“

Es dürfe nicht übersehen werden, so Bosch und Lehndorff, dass die OECD selber ausdrücklich darauf aufmerksam mache, dass ihre Arbeitszeitberechnungen nicht für internationale Arbeitszeitvergleiche geeignet seien. Die Berechnungen dienten dem Zweck der Analyse von Produktivitäts- und Beschäftigungstrends und bezögen deshalb sinnvollerweise die Teilzeitbeschäftigten in die Berechnung der durchschnittlichen Arbeitszeiten ein. Aus den von der OECD veröffentlichten Zahlen dürfe also auf keinen Fall geschlossen werden, dass die Arbeitszeiten der Vollzeitkräfte in Deutschland besonders kurz seien. Wörtlich erklärten Bosch und Lehndorff: „Da die gegenwärtige Diskussion über die 40-Stunden-Woche in Deutschland sich nur um die Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten dreht, darf man für diese Debatte auch nur die Arbeitszeiten der Vollzeitbeschäftigten miteinander vergleichen. Sonst vergleicht man Äpfel mit Birnen.“ Wie eine diesbezügliche Analyse des IAT kürzlich gezeigt hat, liegen die tatsächlichen Jahresarbeitszeiten der Vollzeitbeschäftigten in Deutschland im Mittelfeld der EU-Länder (Abbildung 2). Deshalb sei es schlicht irreführend, wenn die Forderung nach längeren Arbeitszeiten immer wieder mit den angeblich besonders kurzen Arbeitszeiten in Deutschland begründet werde.

Die OECD-Analyse zeige eindrucksvoll, dass in vielen Ländern kurze Arbeitszeiten und hohe Arbeitsproduktivität mit hohen Beschäftigungsniveaus einhergingen. Umso bedauerlicher sei die Oberflächlichkeit der aktuellen Arbeitszeitdebatte in Deutschland, in der Arbeitszeitverlängerungen als Beitrag zur Beschäftigungsförderung ausgegeben würden, kritisieren die beiden Arbeitsmarktforscher. „Bezeichnenderweise ist ’zurück’ das gegenwärtig am häufigsten verwendete Wort – nämlich zurück zur 40- oder sogar 48-Stunden-Woche. Ein Land, das wie kaum ein anderes vom Wissen seiner Beschäftigten abhängt und das zudem einen rasch wachsenden Bedarf an qualifizierten Dienstleistungen hat, sollte besser nach vorne blicken und Vorauswirtschaft betreiben.“ Gerade auf zentralen Zukunftsfeldern seien große Defizite auszumachen. Deutschland sei beim Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt international nur Mittelmaß (Abbildung 3). Auch bei der Entwicklung sozialer Dienstleistungen (Bildung, Gesundheit, Pflege) liege Deutschland lediglich im EU-Mittelfeld, ebenso wie bei der Frauenerwerbstätigkeit (Abbildung 4). Anstatt den Blick auf die größten potentiellen Beschäftigungsmotoren für Deutschland zu lenken, halte sich die Öffentlichkeit mit einer rückwärtsgewandten Diskussion über die angebliche Notwendigkeit von Arbeitszeitverlängerungen auf. Die beiden Forscher betonten: „Die aktuelle Arbeitszeitdebatte verstellt einmal mehr den Blick auf die eigentlichen Reformaufgaben, nämlich die Stärkung des Innovationspotentials und die Entwicklung qualifizierter gesellschaftlicher Dienstleistungen.“

Für weitere Fragen stehen Ihnen zur Verfügung:

Dr. Steffen Lehndorff, Durchwahl: 0209/1707-146
Prof. Dr. Gerhard Bosch, Durchwahl: 0209/1707-147

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Claudia Braczko idw

Weitere Informationen:

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