Umweltstandards für den Bereich niedriger Dosen

Die Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen Bad Neuenahr-Ahrweiler GmbH stellt heute das Ergebnis der Arbeit ihrer interdisziplinären Projektgruppe „Umweltstandards“ in Berlin vor. Die Arbeitsgruppe mit interdisziplinärer Besetzung hat sich des Themas der Umweltstandards für toxische Agenzien (toxische Substanzen und ionisierende Strahlen) im niedrigen Dosisbereich angenommen und Empfehlungen für das Handeln unter Risiko bei der Setzung von Umweltstandards in diesem Bereich entwickelt.

Umweltstandards für toxische Agenzien sind notwendig, um schädigende Einflüsse auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu vermeiden bzw. in tolerablen Grenzen zu halten. Solche Umweltstandards bzw. in ihnen enthaltene Grenzwerte werden in einem Dosisbereich gesetzt, in dem keine messbaren Wirkungen festzustellen sind. Für viele Stoffe, vor allem diejenigen, die ohne Schwellendosis wirken, kann in diesem niedrigen Dosisbereich keine eindeutige Aussage über das Risiko gemacht werden. Um Aussagen über eventuelle Effekte im niedrigen Dosisbereich machen zu können, ist man auf eine Abschätzung der Wirkung durch Extrapolation von gemessenen Effekten bei höheren (in der Umwelt so gut wie nie auftretenden) Dosen angewiesen. Dieses Vorgehen ist mit Unsicherheiten verbunden. Bei der Umsetzung der wissenschaftlichen Daten in Gesetze und Verordnungen spielen Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz eine große Rolle, weil auch in diesen niedrigen Dosisbereichen mit einem Risiko, wenn auch einem geringen, nicht messbaren, gerechnet werden muss. Es werden daher normative, ethische und soziologisch-psychologische Fragen diskutiert.

Zur Risikoabschätzung wird bei Agenzien, die Krebs verursachen, häufig ein lineares Modell ohneSchwellendosis (LNT-Modell) angenommen, was durch wissenschaftliche Befunde untermauert wird. Allerdings muss in Betracht gezogen werden, dass das LNT-Modell experimentell nicht direkt bewiesen werden kann. Für die Risikobewertung ionisierender Strahlung wird von der Projektgruppe die Beibehaltung des LNT-Konzeptes empfohlen. Es gibt keine Hinweise, die rechtfertigen könnten, von diesem Konzept abzuweichen. Dies gilt auch für einige gentoxische Substanzen. Da die Mechanismen der Krebsentstehung für diese Substanzen und ionisierende Strahlen sehr ähnlich sind, wird eine Harmonisierung der Risikobewertung vorgeschlagen. Bei Chemikalien gibt es jedoch auch Karzinogene, für die das LNT-Konzept nicht gültig ist und für die verschiedene Typen von Schwellen identifiziert werden können. Diese Mechanismen werden in der Studie der Arbeitsgruppe im Einzelnen beschrieben.

Hinsichtlich des gesellschaftlichen Risikomanagements wirft der rechtliche Begriff der ’Vorsorge’ und seine Abgrenzung zum ’Restrisiko’, das von allen Bürgern toleriert werden muss, Probleme auf. Das Vorsorgeprinzip bezieht sich auf die Sachlage der ’Unsicherheit’. Jedoch erfordert die Einstufung eines ’Zustands der Unsicherheit’ als ’Risiko’, das verringert werden muss, ein angemessenes Verdachtsmoment. Ein bloß spekulativer Verdacht ist unzureichend. Aus juristischer Sicht erscheint eine normative Harmonisierung im Bereich der Extrapolation wünschenswert und sollte immer dort in Betracht gezogen werden. Die LNT-Hypothese ist legitim, solange es keinen starken Beweis dafür gibt, dass sie für ein bestimmtes Agens ungültig ist.

Die Präsentation der Studie findet statt am 3.5.2004 um 18 Uhr in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Leibnizsaal, Jägerstraße 22-34. 10117 Berlin

Veröffentlichung:

C. Streffer, H. M. Bolt, D. Follesdal, P. Hall, J. G. Hengstler, P. Jacob, D. Oughton, K. Prieß, E. REhbinder, E. Swaton (2004) Low Dose Exposures in the Environment. Dose-Effect Relations and Risk Evaluation. Band 23 der Schriftenreihe Wissenschaftsethik und Technikfolgenbeurteilung (hrsg. Von C. F. Gethmann). Springer-Verlag, Berlin Heidelberg. ISBN 3-540-21083-0

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Friederike Wütscher idw

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