Jülicher Forscher untersuchen Ursachen für Farbenblindheit

Wenn die Welt farblos ist

Nachts sind alle Katzen grau, doch mit der Morgendämmerung werden sie wieder farbig. Für Menschen mit angeborener Farbenblindheit – Achromatopsie – erscheint die Welt immer in Grautönen, ähnlich einem Schwarz-Weiß-Film. Bisher war bekannt, dass Farbenblindheit durch Mutationen in Genen entsteht. Dieses führt zu einer Fehlfunktion in bestimmten Lichtsinneszellen – den Zapfen. Jetzt haben Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich und der Universitäts-Augenklinik Tübingen herausgefunden, dass ein Ionenkanal im Zapfen bei Farbenblinden andere Eigenschaften zeigt als bei Gesunden. Die Forscher vermuten, dass der Einstrom von Kalziumionen durch diesen Kanal in die Zelle gestört ist und deshalb die Zapfen weniger lichtempfindlich sind. Lichtreize können nicht mehr optimal verarbeitet werden. Die Ergebnisse sind in der Januar-Ausgabe des „Journal of Neuroscience“ veröffentlicht.

In der Netzhaut des Auges kommen zwei Gruppen von Photorezeptoren vor, die Zapfen und die Stäbchen. Die Zapfen sind für das Sehen bei Tageslicht und für das Farbsehen zuständig. Stäbchen ermöglichen das Sehen in der Dämmerung. Bei Menschen mit Farbenblindheit – nicht zu verwechseln mit der Rot-Grün-Blindheit – arbeiten nur die Stäbchen einwandfrei. Bei Tageslicht offenbart sich die erblich bedingte Sehstörung: Die Betroffenen können keine oder fast keine Farben erkennen, leiden unter mangelnder Sehschärfe und sind extrem blendempfindlich. Für sie ist intensives Licht oft schmerzhaft.

Lichtreize werden im Auge von den Photorezeptoren in elektrische Impulse umgewandelt. Dazu sitzen Ionenkanäle in den Zellmembranen der Zapfen und lassen im geöffneten Zustand Natrium- und Kalziumionen ins Innere der Zellen. Der Kanal wird von einem zellulären Botenstoff gesteuert. Im Dunkeln ist die Konzentration dieses Botenstoffes hoch und die Ionenkanäle sind geöffnet. Im Licht wird der Botenstoff abgebaut, die Ionenkanäle schließen und lassen keine geladenen Teilchen mehr ins Zellinnere. Dadurch ändert sich die elektrische Spannung an der Membran. Die Zapfen wandeln diese Spannungsänderung schließlich in ein chemisches Signal um, das von nachgeschalteten Zellen in der Netzhaut weiterverarbeitet wird.

Die Jülicher Wissenschaftler Dr. Dimitri Tränkner, Dr. Reinhard Seifert und Prof. U. Benjamin Kaupp untersuchten, welche Eigenschaften der Ionenkanal von Farbenblinden hat und wie er sich von dem eines Gesunden unterscheidet. Die Biophysiker vom Institut für Biologische Informationsverarbeitung (IBI 1) befassten sich mit einer besonderen Form der Achromatopsie, die bei zwei Schwestern auftritt. Beide können kräftige, gesättigte Farben gut erkennen und unterscheiden, sie verwechseln jedoch blasse Farben (Pastelltöne).

Die Ionenkanäle in den Zapfen sind aus A- und B- Untereinheiten aufgebaut. Zwei Gene sind für den Bauplan verantwortlich. Achromatopsie entsteht durch Mutationen in diesen Genen. In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universitäts-Augenklinik Tübingen gelang es den Jülicher Forschern, die Ionenkanäle der Schwestern nachzubauen. „Dazu haben wir die Gene der gesunden und mutierten Kanäle in Ammenzellen eingeschleust und konnten dort die menschlichen Kanäle sehr genau untersuchen“, erläutert Tränkner die Vorgehensweise. „Mit einer feinen Glaspipette habe ich Membranflecken isoliert, welche die Kanäle enthielten, Botenstoff dazugegeben und die elektrischen Ströme gemessen.“ Die Wissenschaftler bauten zunächst funktionsfähige Ionenkanäle nur aus mutierten A-Untereinheiten auf. Diese besaßen stark veränderte Eigenschaften gegenüber gesunden Kanälen. Im nächsten Schritt gaben die Wissenschaftler die B-Untereinheit dazu. Bis auf eine Ausnahme wurden nun alle veränderten Eigenschaften durch diesen Baustein wieder aufgehoben. „Das Ergebnis hat uns überrascht“, erklärt Dimitri Tränkner. „Umso mehr, da sich der Kanal aus drei mutierten A-Untereinheiten und nur einer gesunden B-Untereinheit zusammensetzt. Das erklärt jedoch, warum die beiden Schwestern nur an einer milden Ausprägung der Farbenblindheit leiden.“

Der Ionenkanal aus den Patienten unterschied sich von dem Gesunder nur noch durch eine geringere Bindungsstärke für Kalziumionen. Die Kalziumionen konnten den Ionenkanal schneller passieren, so dass der Ionenstrom größer war als in normalen Kanälen. „Wir haben dann diskutiert, welche Auswirkungen diese Eigenschaft für Zapfen haben könnte“, erläutert der Biologe. Kalzium ist wichtig für die Sinneszellen, weil es die Lichtempfindlichkeit reguliert. Durch diese veränderte Eigenschaft des Ionenkanals ist der Kalzium-Haushalt in der Zelle gestört. Außerdem kommt es zu größeren Stromschwankungen in den Zapfen der Patienten. Um dieses Stromrauschen zu überwinden, sind höhere Lichtreize nötig, um die Sehzellen zu erregen. Die Zapfen benötigen mehr Licht und eine höhere Farbintensität, um Farbkontraste entstehen zu lassen. „Das könnte erklären, warum die Schwestern nur gesättigte Farben unterscheiden und zuordnen können“, fasst Dimitri Tränkner die Überlegungen zusammen.

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Peter Schäfer idw

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