Studie zur palliativen Versorgung in Hessen

Seit April 2007 ist die „spezialisierte ambulante Palliativversorgung“ im Rahmen der Gesundheitsreform in die Regelleistungen der Krankenkassen aufgenommen worden.

Begleitend zur Beschlussfassung dieser einschneidenden Reform hat das Hessische Sozialministerium das Institut für Soziologie der Universität Gießen beauftragt, eine Bestandsaufnahme der palliativen Versorgung in Hessen zu erstellen. Unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Reimer Gronemeyer und Dr. Charlotte Jurk wurden im qualitativen Teil der Studie mit einem partizipativen Ansatz bewusst neue Wege beschritten.

So wurden 124 Beschäftigte, Angehörige und Ehrenamtliche aus drei unterschiedlichen hessischen Regionen (Großstadt Frankfurt/Main, Stadt und Region Gießen und Umgebung, ländliche Region Waldeck-Frankenberg) zur Mitwirkung an der Forschung gewonnen, indem sie im Rahmen von Workshops über ihre Erfahrungen im Praxisfeld der palliativen Versorgung und hospizlichen Begleitung „von der Basis“ aus berichteten. Zudem schrieben die Sozialwissenschaftler niedergelassene Ärzte und Ärztinnen in Hessen wie auch die hessischen Plankrankenhäuser an und befragten sie zu ihren Leistungen und Einstellungen gegenüber schwerstkranken Patienten am Lebensende. Erhältlich ist die Studie über: Prof. Dr. Dr. Reimer Gronemeyer, Institut für Soziologie der Justus-Liebig-Universität Gießen, Karl Glöckner Str. 21 E, 35394 Gießen, Tel. 0641 99-23204 oder über E-Mail: palliativ@sozialforschung-hessen.de.

Im Folgenden sind die wichtigsten Ergebnisse der Studie, die bei einer Pressekonferenz heute im Institut für Soziologie der Justus-Liebig-Universität Gießen vorgestellt wurden, zusammengefasst:

Gute Versorgung heißt: Zeit und individuelle Zuwendung für Sterbende

Zeit und Zuwendung waren die am häufigsten geäußerten Stichworte, wenn es um die Bedürfnisse Sterbender ging. Gerade auf diesem Gebiet der Versorgung lässt sich Zuwendung nicht in Zeittakten bemessen. Zeit ist auch das Schlüsselwort, wenn es um die gelingende Kommunikationen mit anderen Diensten oder den Angehörigen geht. Gerade wenn die Lebenszeit begrenzt ist, wirkt es sich fatal aus, wenn Zeitnot der Beschäftigten den notwenigen Informationsaustausch verhindert. Der Sterbeort – ob zu Hause, im Krankenhaus oder Altenheim – wird nur dann von Bedeutung, wenn diese Rahmenbedingungen stimmen.

Angehörige werden zu häufig allein gelassen

Angehörige äußerten immer wieder ihre Unzufriedenheit darüber, mit ihrer Hilflosigkeit insbesondere am Wochenende allein da zu stehen. Eine zumindest telefonische Erreichbarkeit von Beratung und Beistand gerade auch in ländlichen Regionen könnte eine große Entlastung für die Angehörigen bedeuten.

Bedarf an Versorgung ist auch eine soziale Frage

Eine gute palliative Versorgung ist schon heute eine soziale Frage. Wenn Angehörige ausfallen, können sich nur wenige eine 24-Stunden-Pflege zu Hause leisten. Die drohende Brüchigkeit sozialer Netze dürfte zu einem zunehmenden Bedarf palliativer Versorgung führen.

Ehrenamtliche Hospizarbeit steht im Zentrum der Versorgung

Zurzeit arbeiten etwa 100 Hospizgruppen mit annähernd 5000 ehrenamtlich Engagierten in Hessen. Deren Arbeit hat auch ganz entscheidend die regionale Differenzierung der palliativen Versorgung geprägt. Hospizgruppen sind jedoch noch nicht überall und selbstverständlich Kooperationspartner der Krankenhausarbeit. Noch existiert in 40 % der Krankenhäuser kein ehrenamtlicher Besuchsdienst, obwohl 90 % der befragten Krankenhäuser angeben, eine ambulante Hospizgruppe vor Ort zu haben.

Regionale Unterschiedlichkeiten als Stärken der Versorgung

Stadt und Land haben mit unterschiedlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Während in der Stadt aufgrund der hohen Zahl der Single-Haushalte eher institutionelle Hilfesysteme einspringen, sind in ländlicher Gegend die vorhandenen Angehörigen mit der Bewältigung der Situation sehr oft überfordert und müssen bestärkt werden, ehrenamtliche oder institutionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Hessische Regionen haben den lokalen Anforderungen gemäß ganz unterschiedliche Strukturen der Versorgung entwickelt. Dies ist eine Stärke der regionalen Differenzierung, die auf der jahrelangen Entwicklung der ehrenamtlichen hospizlichen Initiativen basiert. Anstatt mit der Gesundheitsreform „von oben“ ganz neue Versorgungsstrukturen zu schaffen, sollten die vorhandenen Netze „von unten“ gestärkt und ausgebaut werden.

Eine Versorgung am Lebensende brauchen nicht nur Menschen mit einer Krebserkrankung

Die Beschränkung der palliativen Versorgung auf onkologische Patienten ist in der Praxis überholt. Hessische Hausärzte gaben in der Befragung an, durchschnittlich knapp 20 Patienten im Quartal palliativmedizinisch zu behandeln. Zu einem erheblichen Teil gilt diese palliative Behandlung älteren multimorbiden Patienten, zu weniger als der Hälfte Patienten mit einer Krebserkrankung. Ebenso im Krankenhaus: Rund 60 % der Krankenhauspatienten, die sich am Lebensende befinden und häufig eine palliative Versorgung benötigen, leiden nicht an einer onkologischen Erkrankung.

Palliativversorgung an Krankenhäusern verbessert, aber Weiterbildung der Mitarbeiter noch unzureichend

Zwar ergibt sich aus der Befragung eine Zahl von 127 Palliativbetten an hessischen Krankenhäusern, aber noch versterben die meisten Patienten auf „normalen“ Stationen. Knapp 17 % der Krankenhäuser sehen keine Möglichkeit zur Aufbahrung Verstorbener vor. Hessische Krankenhäuser arbeiten an einer Verbesserung der palliativen Versorgung, allerdings ist die Weiterbildung des Personals bislang noch unzureichend entwickelt. Immerhin 35 von 88 Krankenhäusern hatten noch keine palliative Weiterbildung im ärztlichen Bereich veranlasst.

Markt der Versorgung gefährdet Kooperation

Dem erkennbar zunehmenden Wettbewerb auf dem Gebiet der palliativen ambulanten Versorgung wird von Seiten der Praktikerinnen mit Skepsis begegnet. Er erhöhe die Gefahr, das wirtschaftliche Eigeninteresse der konkurrierenden Dienste in den Mittelpunkt zu stellen, statt die vorbehaltlose Zusammenarbeit untereinander.

Kontakt:

Prof. Dr. Dr. Reimer Gronemeyer
Institut für Soziologie
Karl Glöckner Str. 21 E
35394 Gießen
Telefon: 0641 99-23204
E-Mail: palliativ@sozialforschung-hessen.de

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Christel Lauterbach idw

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