Wirtschaftskriminalität: Kontrollen und Prävention in Handel und Konsumgüterindustrie noch Mangelware

Handelsunternehmen und Konsumgüterhersteller werden in Deutschland besonders häufig Opfer von Wirtschaftskriminalität. Rund 56 Prozent der Unternehmen dieser Branche erlitten von Frühjahr 2005 bis 2007 Schäden durch Betrug, Unterschlagung, Produktpiraterie, Korruption und andere Delikte, branchenübergreifend waren es 49 Prozent.

Deutsche Händler und Konsumgüterhersteller sind mit durchschnittlich zwölf Einzeldelikten je Unternehmen doppelt so häufig betroffen wie ausländische Wettbewerber. Allein die aufgedeckten Straftaten verursachten in der deutschen Handels- und Konsumgüterbranche pro Jahr einen Schaden von rund 1,35 Milliarden Euro, der Gesamtschaden je Unternehmen betrug durchschnittlich über eine Million Euro. Zu diesen Ergebnissen kommt die Studie „Wirtschaftskriminalität 2008 in Handel und Konsumgüterindustrie – Deutsche Unternehmen unterschätzen Risiken“ der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

„Diese Summen dürften jedoch nur einen Teil der Verluste durch Wirtschaftskriminalität erfassen. Systematische Kontrollmechanismen gibt es bei deutschen Handelsunternehmen und Konsumgüterherstellern deutlich seltener als bei ausländischen Wettbewerbern und auch inländischen Unternehmen anderer Branchen“, erläutert Gerd Bovensiepen, Partner bei PwC und Leiter des Competence Centers Retail & Consumer.

So wurden Wirtschaftsstraftaten in drei von vier der befragten Unternehmen eher zufällig entdeckt, beispielsweise durch Hinweise von Mitarbeitern oder Geschäftspartnern. Demgegenüber fielen Straftaten nur bei 7 Prozent der Geschädigten durch Kontrollen der internen Revision auf. „Dieser Wert ist im Vergleich zu anderen Branchen außergewöhnlich niedrig. Im Durchschnitt werden in Deutschland Wirtschaftsstraftaten bei 15 Prozent der Unternehmen von der internen Revision aufgedeckt“, kommentiert Steffen Salvenmoser, Partner bei PwC im Bereich Forensic Accounting Services und ehemaliger Staatsanwalt.

Für die Studie wurden im Rahmen des „Global Economic Crime Survey 2007“ weltweit 5.428 Unternehmen befragt, darunter 371 Unternehmen aus der Handels- und Konsumgüterbranche, 89 davon aus Deutschland. Die Erhebung umfasst alle entdeckten Straftaten zwischen dem Frühjahr 2005 und 2007 und ist damit umfassender als die Kriminalstatistik, die nur die zur Anzeige gebrachten Delikte berücksichtigen kann. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) der befragten deutschen Händler und Konsumgüterhersteller beschäftigten weniger als 200 Mitarbeiter, 35 Prozent weniger als 1.000.

Häufigste Delikte: Betrug und Unterschlagung

Betrug und Unterschlagung sind die häufigsten Straftaten in der Handels- und Konsumgüterbranche. Fast jedes zweite Unternehmen (45 Prozent) war von diesen Delikten mehrmals betroffen. Dennoch glaubt nicht einmal jeder fünfte Befragte (17 Prozent), in den kommenden zwei Jahren Betrugs- oder Unterschlagungsopfer zu werden.

„Der Widerspruch zwischen schwach ausgeprägter Risikowahrnehmung und tatsächlich bestehendem Kriminalitätsrisiko deutet darauf hin, dass es eine hohe Zahl unentdeckter Betrugs- und Unterschlagungsfälle gibt. Er erklärt auch, warum die meisten Unternehmen verstärkte Präventionsmaßnahmen nicht für notwendig halten“, erläutert Salvenmoser.

So will knapp jedes dritte Unternehmen der Branche keine neuen Schutzvorkehrungen gegen Betrug und Unterschlagung treffen. Die befragten Handels- und Konsumgüterunternehmen agieren damit deutlich sorgloser als ihre Wettbewerber im Ausland. So halten in Westeuropa nur 25 Prozent der Unternehmen ihre Abwehrmaßnahmen für ausreichend, in Nordamerika sogar nur 11 Prozent.

Produktpiraterie und Industriespionage treffen jeden vierten Hersteller

Produktpiraterie und Industriespionage treffen deutsche Handels- und Konsumgüterunternehmen im internationalen Vergleich überdurchschnittlich häufig. Gut jedes vierte Unternehmen (27 Prozent) deckte von Frühjahr 2005 bis 2007 mindestens ein Delikt dieser Art auf, in Westeuropa taten dies lediglich 17 Prozent und weltweit 18 Prozent der Branchenunternehmen.

Auch diese Straftaten werden in Deutschland unterschätzt: Nur 14 Prozent der befragten Unternehmen halten es für wahrscheinlich, in den nächsten zwei Jahren durch Produktpiraterie oder Industriespionage geschädigt zu werden. Entsprechend halten fast 60 Prozent ihre bestehenden Abwehrmaßnahmen in Deutschland für ausreichend. Die Risiken im Auslandsgeschäft werden zwar realistischer eingeschätzt, allerdings denkt auch jenseits der Landesgrenzen jedes dritte deutsche Unternehmen nicht an neue

Kontroll- und Schutzmechanismen.

Der geringe Stellenwert, den die Befragten der Abwehr von Produktpiraterie und Industriespionage einräumen, hängt möglicherweise auch mit den auf den ersten Blick niedrigen Schadenssummen zusammen. So beziffern die Unternehmen den durchschnittlichen Verlust auf 232.000 Euro, in gut jedem zehnten Fall lag die Schadensumme jedoch zwischen einer und zehn Millionen Euro. „Ein einziger Schadensfall kann die Existenz der branchentypischen Mittelständler bereits gefährden. Zudem wird leicht übersehen, dass mit diesen Delikten mittelbare Schäden für die Marke und andere Werte des Unternehmens entstehen“, erläutert Bovensiepen.

Über 90 Prozent der von Produktpiraterie oder Industriespionage betroffenen Unternehmen berichteten über indirekte Folgeschäden, bei 14 Prozent waren diese gravierend.

Mangelhafte Korruptionsbekämpfung

Etwa jedes zwölfte Unternehmen (8 Prozent) der deutschen Handels- und Konsumgüterbranche deckte in den vergangenen zwei Jahren einen oder mehrere Korruptionsfälle auf. Damit ist Korruption zumindest auf den ersten Blick ein weniger bedeutsames Delikt in Deutschland – weltweit meldeten 14 Prozent der Händler und Konsumgüterhersteller Korruptionsfälle. Alarmierend ist jedoch, dass 17 Prozent der Befragten in einer Situation waren, in der nach ihrer Einschätzung die Zahlung von Bestechungsgeld erwartet wurde.

Branchenübergreifend bestätigten dies in Deutschland lediglich 13 Prozent der Unternehmen, in der Handels- und Konsumgüterbranche in Nordamerika 8 Prozent und in Westeuropa 7 Prozent der Befragten.

„Umso unverständlicher ist es, dass es in Deutschland bislang kaum systematische Vorkehrungen gegen Korruption in Handels- und Konsumgüterunternehmen gibt“, kommentiert Salvenmoser. Gerade einmal sechs Prozent der befragten Branchenunternehmen verfügen über ein Anti-Korruptionsprogramm, in Westeuropa trifft dies hingegen auf 22 Prozent und weltweit auf 26 Prozent der Wettbewerber zu.

Täter sind selten unbekannt

Ebenso wie in anderen Branchen stammen die meisten Täter in der
Handels- und Konsumgüterbranche aus den geschädigten Unternehmen selbst. Bei knapp vier von zehn Befragten wurden die entdeckten Delikte von Mitarbeitern begangen, bei weiteren 10 Prozent waren Beschäftigte maßgeblich an Straftaten beteiligt. Überdurchschnittlich hoch ist dagegen der Anteil der Unternehmen, die durch Kunden, Lieferanten und andere Geschäftspartner geschädigt wurden. Externe, mit dem Unternehmen vertraute Täter schädigten 43 Prozent der Branchenunternehmen, aber nur 27 Prozent aller Befragten in Deutschland.

„Die Sicherheitsvorkehrungen der Handels- und Konsumgüterunternehmen werden dem besonderen Täterkreis kaum gerecht. Vor allem bei der Prävention gibt es Nachholbedarf“, betont Salvenmoser. So haben nur 18 Prozent der Branchenunternehmen in Deutschland ein Compliance-Programm zur Regelüberwachung und -durchsetzung, branchenübergreifend haben in Deutschland hingegen 37 Prozent der Unternehmen ein entsprechendes Regelwerk. Eine Hotline für Hinweise auf Straftaten haben nur 11 Prozent der Handels- und Konsumgüterunternehmen (alle Unternehmen in Deutschland: 22 Prozent), über ein systematisches Risikomanagement verfügen nur 31 Prozent (alle Unternehmen in Deutschland: 45 Prozent) der Befragten.

Die Studie „Wirtschaftskriminalität 2008 in Handel und Konsumgüterindustrie – Deutsche Unternehmen unterschätzen Risiken“ können Sie hier kostenlos herunterladen: www.pwc.de/de/wikri-handel-konsum

Die PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ist in Deutschland mit 8.390 Mitarbeitern und einem Umsatzvolumen von rund 1,35 Milliarden Euro eine der führenden Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften. An 28 Standorten arbeiten Experten für nationale und internationale Mandanten jeder Größe. PwC bietet Dienstleistungen an in den Bereichen Wirtschaftsprüfung und prüfungsnahe Dienstleistungen (Assurance), Steuerberatung (Tax) sowie in den Bereichen Transaktions-, Prozess- und Krisenberatung (Advisory).

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