Kleinwagen statt Limousine, Handarbeit statt Roboter: Westliche Automobilindustrie muss in China und Indien lokaler werden

Die Automobilindustrie Europas, Japans und der USA hat in den vergangenen Jahren ihre Aktivitäten in China und Indien rasant erhöht. Doch viele Automobilhersteller (OEMs) und -zulieferer nutzen die lokalen Kostenvorteile, Ressourcen und Absatzchancen in Fernost längst noch nicht im vollen Ausmaß, so die Studie „Winning the Localization Game“ der Unternehmensberatung The Boston Consulting Group (BCG). Beispielsweise ist das lokale Einkaufsvolumen noch gering oder die Produktion oft genauso teuer wie im Heimatland. Für die heute in Düsseldorf vorgestellte Untersuchung von Forschung, Einkauf, Produktion und Vertrieb von Automobilfirmen in China und Indien hat BCG 13 Automobilhersteller und 30 -zulieferer befragt.

„Westliche Automobilhersteller sind in China und Indien sehr aktiv. Doch die echte Vernetzung mit dem lokalen Umfeld ist ein langwieriger Prozess“, sagt Nikolaus Lang, BCG-Partner und Autor der Studie. „Auf der nächsten Stufe ihrer Internationalisierung müssen Hersteller und Zulieferer die lokal verfügbaren Fähigkeiten und Ressourcen stärker nutzen. Erfolgreiche Globalisierung heißt Lokalisierung.“ Dies bedeute den Einsatz lokaler Ingenieure statt teurer Expatriates, im Einkauf eine stärkere Zusammenarbeit mit originär asiatischen Zulieferern, in den Fabriken mehr Handarbeit anstelle von Robotern und lokal angepasste Kleinwagen statt westlicher Standardmodelle.

Im Vergleich, so die BCG-Analysen, ist die lokale Verankerung der westlichen Automobilindustrie in China, dem größeren und reiferen Markt, weiter fortgeschritten als in Indien; Zulieferer haben einen Vorsprung vor den OEMs, da sie unter dem Preisdruck der Hersteller bereits stärker mit lokalen Unternehmen kooperieren.

Hohe Stückkosten durch niedrige Volumina und geringe Lokalisierung In China und Indien haben westliche OEMs und Zulieferer in den vergangenen zehn Jahren mehr als 150 Fabriken auf- und ausgebaut.

Doch trotz niedriger Arbeitslöhne produzieren zwei Drittel der von BCG untersuchten Automobilunternehmen dort mit ebenso hohen oder sogar höheren Stückkosten wie in ihren Heimatmärkten. Dafür gibt es vielfältige Gründe:

– Niedrigere Produktionsmengen: Während in den USA pro Modell durchschnittlich 485.000 Fahrzeuge im Jahr hergestellt werden, laufen in China nur 210.000 und in Indien nur 110.000 Fahrzeuge vom Band. Entsprechend gering sind die Skaleneffekte für die ausländischen OEMs.

– Geringe Anpassung der Produktionsprozesse: Viele Hersteller und Zulieferer verlagern hochautomatisierte, standardisierte Produktionsanlagen aus den Heimatländern nach Asien und nutzen daher nicht die günstige lokale Arbeitskraft. Außerdem treibt der hohe Wartungsaufwand die Kosten in die Höhe. Darüber hinaus sind diese High-Tech-Anlagen selten flexibel genug, um sich an die lokalen Marktschwankungen anpassen zu können.

– Zusätzlicher Aufwand für Qualitätsmanagement: Um die Fehlerquoten auf ein akzeptables Niveau zu senken, sind intensives Qualitätstraining und -kontrolle notwendig.

Dazu BCG-Automobilexperte Lang: „In China und Indien sind einfache, flexible Produktionsanlagen, die eine bessere Auslastung erreichen und einen höheren Anteil an Handarbeit ermöglichen, in vielen Fällen wirtschaftlicher.“

Von der Produktentwicklung zum globalen Innovationsbeitrag

Noch unterentwickelt ist auch die lokale Forschung und Entwicklung. In China und Indien wurden 2007 mehr als 2 Millionen Ingenieure unterschiedlicher Fachrichtungen ausgebildet. Die von BCG befragten Automobilunternehmen beschäftigten in der Regel jedoch weniger als drei Prozent ihrer weltweiten F&E-Mitarbeiter in China oder Indien. Die dortigen Forschungsstätten sind klein und werden von der Zentrale gesteuert. Sie konzentrieren sich vor allem auf die technologische Anpassung westlicher Produkte für die Schwellenländer und liefern selten einen echten Innovationsbeitrag für das Mutterunternehmen.

Low-Cost-Country-Sourcing durch Lieferantenqualität beschränkt

Stark wachsend, aber immer noch auf geringem Niveau ist der Einkauf von Bauteilen aus China und Indien für die Automobilfertigung in den Heimatländern. Von 2000 bis 2006 stieg der Export wichtiger Teilegruppen für die Automobilindustrie aus China um 35 Prozent auf 15,7 Milliarden US-Dollar und aus Indien um rund 24 Prozent auf 1,6 Milliarden US-Dollar. Gleichwohl beziehen die meisten Hersteller und Zulieferer in der Regel nicht mehr als fünf Prozent ihres weltweiten Einkaufsvolumens aus den beiden Ländern. Um mehr Teile vor Ort zu beziehen, ist ein Lieferantenentwicklungsprogramm nach dem Vorbild japanischer OEMs sinnvoll.

Absatz: mehr Kleinwagen und Ausbau der Händlernetze

China und Indien locken westliche Automobilunternehmen mit hoher Nachfrage. Von 2001 bis 2007 wuchs der Markt in China jährlich um 25 Prozent auf rund 8 Millionen Fahrzeuge, in Indien um 15 Prozent auf 1,7 Millionen Fahrzeuge. Bis zum Jahr 2015 sollen in beiden Ländern insgesamt jährlich über 19 Millionen Autos verkauft werden – mehr als in ganz Westeuropa. „Den Absatz in China und Indien deutlich zu steigern ist eine strategische Notwendigkeit für alle Automobilhersteller. Dazu müssen Design, Ausstattung und Preis den Anforderungen der asiatischen Verbraucher angepasst werden“, betont Lang. So erwarten Chinesen bei Premiumwagen Bildschirme im hinteren Bereich des Fahrzeugs; Inder wünschen bessere Stoßdämpfer. In Asien wird zudem das Kleinwagensegment überdurchschnittlich stark wachsen.

Die Absatzsteigerung scheitert aber nicht nur am begrenzten Produktangebot – oft kommt das Auto gar nicht beim Kunden an. Denn das Vertriebsnetz jenseits der Metropolen ist häufig noch lückenhaft. „Während man in Peking und Schanghai Dutzende Händler der großen Marken findet, muss man in bevölkerungsreichen Provinzstädten lange nach Händlern suchen“, so Lang.

Zulieferer: Spagat zwischen westlichen und lokalen Kunden

Auch die Zulieferer können ihre Kundenbasis ausbauen, indem sie zusätzlich zu westlichen OEMs lokale Automobilhersteller wie Cherry oder Tata verstärkt beliefern. „Die Zulieferer müssen jedoch einen schwierigen Spagat bewältigen“, erklärt Lang. Während westliche Hersteller vor allem auf hohe Qualität und technologische Innovation achteten, zähle für die asiatischen OEMs in erster Linie der Preis und – mitunter – Technologietransfer.

„Der lange Marsch der Automobilindustrie nach China und Indien ist noch nicht am Ziel. Es wird noch einige Zeit dauern, bis Zulieferer und Hersteller dort wirklich lokalisiert sind“, so Lang. Zwar haben manche Zulieferer ihre chinesischen F&E-Zentren in ein globales 24/7-System integriert, und führende OEMs praktizieren intelligente Lokalisierung in ihren Fabriken – doch solche „Local Champions“ sind jedoch heute noch die Ausnahme.

The Boston Consulting Group (BCG) ist eine internationale Managementberatung und weltweit führend auf dem Gebiet der Unternehmensstrategie. BCG unterstützt Unternehmen aus allen Branchen und Regionen dabei, Wachstumschancen zu nutzen und ihr Geschäftsmodell an neue Gegebenheiten anzupassen. In partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den Kunden entwickelt BCG individuelle Lösungen. Gemeinsames Ziel ist es, nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu schaffen, die Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu steigern und das Geschäftsergebnis dauerhaft zu verbessern. BCG wurde 1963 gegründet und ist heute an 66 Standorten in 38 Ländern vertreten. Das Unternehmen befindet sich im alleinigen Besitz seiner Geschäftsführer. Die deutsche Geschäftseinheit, zu der auch die Büros in Wien und Athen beitragen, erzielte im Jahr 2006 mit 677 Beraterinnen und Beratern einen Umsatz von 305 Millionen Euro.

Media Contact

Heidi Polke presseportal

Weitere Informationen:

http://www.bcg.com

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