Wie wird aus magnetischem Strom elektrischer Strom?

Spin-Hall-Effekt. Bei angelegtem elektrischen Feld (E) bewegen sich die Up- und die Down-Elektronen entgegengesetzt, d. h. es fließt ein Spinstrom senkrecht zur angelegten Spannung. © CC BY-NC: Sebastian Tölle

Das internationale Forscherteam, bestehend aus theoretischen Physikern aus Augsburg und Regensburg sowie experimentellen Physikern von der Tohoku University in Sendai (Japan), dem National Institute for Materials Science in Tsukuba (Japan) und der Dalian University of Technology (China), haben wichtige Hinweise auf die entscheidende Rolle von Grenzflächen in kleinsten „spintronischen“ Bauelementen gefunden.

Schon seit Längerem ist bekannt, dass für die Kopplung von magnetischen und elektrischen Phänomenen in bestimmten metallischen oder halbleitenden Materialien die Wechselwirkung zwischen den magnetischen Momenten der Elektronen („Spin“) und deren Bahnbewegung entscheidend ist.

Diese Spin-Bahn-Wechselwirkung ist eigentlich ein kleiner, relativistischer Effekt, der aber in Festkörpern, abhängig von den Details der Elektronenstruktur, deutlich erhöht sein kann. Die magnetischen Momente der Elektronen haben nur zwei Einstellmöglichkeiten, die oft zur Vereinfachung als „up“ und „down“ bezeichnet werden.

Einen (reinen) elektrischen Strom erhält man somit, wenn Up- und Down-Elektronen in gleicher Stärke in die gleiche Richtung fließen, während bei einem (reinen) Magnetstrom die beiden Elektronentypen in entgegengesetzter Richtung unterwegs sind.

Spintronik = Spin + Elektronik

Die Kopplung zwischen den magnetischen Eigenschaften und deren elektrischen Transporteigenschaften, kurz Spintronik, ist seit den 1980er Jahren international ein „heißes“ Thema. Denn die Steuerung magnetischer Effekte mithilfe elektrischer Methoden hat ein vielfältiges Anwendungspotential – nicht zuletzt für die Datenspeicherung auf Festplatten.

Ein vielversprechender Effekt für die Realisierung zukünftiger spintronischer Bauelemente ist u. a. der Spin-Hall-Effekt. Bei starker Spin-Bahn-Kopplung werden die Ladungsträger beim Anlegen eines elektrischen Stroms senkrecht zur Stromrichtung abgelenkt, abhängig von der Orientierung ihres Spins: Es entsteht ein reiner, prinzipiell reibungslos fließender Magnetstrom senkrecht zum elektrischen Strom.

YIG-NiMnSb-Schichtstrukturen

In den Experimenten untersuchten die Forscher ein Material, das eine spezielle magnetische Eigenschaft aufweist: Die Heusler-Verbindung NiMnSb ist ein Halb-Metall, in dem in guter Näherung nur die Elektronen einer Spin-Richtung beweglich sind; diese nennt man Majoritätselektronen.

Das heißt, wenn man einen Ladungsstrom durch dieses Material fließen lässt, kommt an der anderen Seite ein spinpolarisierter Strom heraus – das Material wirkt also wie ein Spinfilter. In dem Experiment wurde nun ein dünner Film der Heusler-Verbindung auf Yttrium-Eisen-Granat (Yttrium-Iron-Garnet, kurz: YIG) aufgedampft. Letzteres ist zwar magnetisch, hat aber keine beweglichen Ladungsträger.

Durch eine zeitliche Variation der YIG-Magnetisierung („spin pumping“) gelingt es jedoch, einen Spinstrom in den NiMnSb-Film zu injizieren. Aufgrund der Spin-Bahn-Wechselwirkung wird dieser Spinstrom in einen senkrecht dazu fließenden Ladungsstrom umgewandelt, der als Spannung abgegriffen werden kann. Die gemessene Spannung zeigte jedoch eine überraschende Abhängigkeit von der Temperatur – und dazu noch eine charakteristische Variation mit der Dicke des NiMnSb-Films.

Spin-Ladungs-Konversion an der Grenzschicht

Angesichts dieser unerwarteten Ergebnisse waren innovative theoretische Ideen gefragt. Glücklicherweise hatten sich Dr. Cosimo Gorini, Habilitand am Lehrstuhl von Prof. Dr. Klaus Richter der Universität Regensburg, und Dr. Sebastian Tölle, Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Ulrich Eckern der Universität Augsburg, bereits seit einigen Jahren theoretischen Untersuchungen zur Temperaturabhängigkeit von spintronischen Effekten gewidmet.

Dadurch konnten sie Zhenchao Wen, dem führenden Forscher der experimentellen Gruppe, theoretische Unterstützung leisten. Cosimo Gorini und Sebastian Tölle erklärten die experimentellen Befunde so: Die Injektion eines reinen Spinstroms in ein Halb-Metall ist nur möglich, wenn die halbmetallische Eigenschaft an der Grenzschicht deutlich vermindert ist.

Daraus ergibt sich eine Zusatzspannung, die nicht von der Dicke des Heusler-Films abhängt. Das konnten die Wissenschaftler im Experiment beobachten. Die theoretische Bestimmung der Temperaturabhängigkeit gelang ebenfalls, wobei die bereits vor einigen Jahren von anderen Autoren vorhergesagte Kopplung zwischen Majoritäts- und Minoritätselektronen aufgrund magnetischer Schwingungen entscheidend ist. Auch dies konnte durch die experimentellen Resultate bestätigt werden.

Das heißt, der beobachtete Effekt lässt sich nur durch die Modifizierung der untersuchten Heusler-Verbindung an der Grenzfläche zum Spinstrom-Injektor Yttrium-Eisen-Granat erklären. Auch wenn detaillierte mikroskopische Berechnungen noch ausstehen, ergeben sich wichtige Hinweise für den Mechanismus der Spin-Ladungs-Konversion, die auch für andere ferromagnetische Materialien – sowie für potenzielle Anwendungen – von Bedeutung sein dürften.

Dr. Cosimo Gorini
Institut für Theoretische Physik
Universität Regensburg
Telefon: 0941 943-2027
E-Mail: cosimo.gorini@ur.de

Z. Wen, Z. Qiu, S. Tölle, C. Gorini, T. Seki, D. Hou, T. Kubota, U. Eckern, E. Saitoh, K. Takanashi, „Spin-charge conversion in NiMnSb Heusler alloy films“, Science Advances (2019).
DOI: https://doi.org/10.1126/sciadv.aaw9337

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Christina Glaser idw - Informationsdienst Wissenschaft

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