Supercomputer ohne Abwärme

Rastertunnelmikroskop verbaut in einem Helium-Kühlgerät. Ansicht von unten ohne Probenhalter. Zu sehen ist der Mechanismus zur Positionierung der Mikroskopspitze über der Probe (Bildmitte). Simon Diesch

Konventionell betrachtet sind Magnetismus und der widerstandsfreie Fluss elektrischen Stroms („Supraleitung“) konkurrierende Phänomene, die nicht zusammen in einem Material auftreten können.

Die Kombination der beiden Zustände wäre jedoch prinzipiell eine vielversprechende Möglichkeit, um die wegen ihrer hohen Wärmeentwicklung und entsprechendem Energieverbrauch unter Druck geratene Halbleitertechnologie beim Bau von Supercomputern abzulösen.

Forschende des Konstanzer Fachbereichs Physik haben nun direkt nachgewiesen, dass die elektrische Übertragung magnetischer Information ohne die Erzeugung von Abwärme möglich sein könnte.

Dadurch wäre es wiederum möglich, die Dichte der elektronischen Bauelemente zur Informationsverarbeitung auf dem Chip weiter zu erhöhen und gleichzeitig den Energieverbrauch von Rechenzentren stark zu verringern. Die Ergebnisse der Studie sind in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts „Nature Communications“ nachzulesen.

Die Miniaturisierung der modernen Halbleitertechnik ist kurz davor, ihre physikalischen Grenzen zu erreichen. Seit mehr als 70 Jahren geschieht der Informationstransport durch die Übertragung elektrischer Signale, zu deren Erzeugung und Verarbeitung Energie aufgebracht werden muss, die als Wärme wieder abgegeben wird.

Dies führt zum Aufheizen der Elemente und macht komplexe Kühlungssysteme notwendig. Durch die zunehmende Miniaturisierung wird das Wärmemanagement zu einem zentralen Problem. Deswegen wird weltweit daran geforscht, die lokale Wärmeerzeugung zu verringern.

Das Konstanzer Kooperationsprojekt zwischen den Arbeitsgruppen der Experimentalphysikerin Prof. Dr. Elke Scheer und dem Theoretischen Physiker Prof. Dr. Wolfgang Belzig nutzt einen Ansatz, der darin besteht, supraleitende Elemente zu verwenden, bei denen elektrische Ladungen ohne Wärmeerzeugung fließen können.

Zur Informationsspeicherung werden hingegen vorwiegend magnetische Materialien genutzt. Magnetische Information kann im Prinzip auch verlustfrei übertragen werden, indem man die magnetischen Eigenschaften der Elektronen, den Elektronenspin, ausnutzt.

Durch die Kombination dieser beiden Eigenschaften – des widerstandslosen Ladungstransports („Supraleitung“) mit der elektrischen Übertragung magnetischer Information („Spintronic“) – erhofft man sich grundsätzlich neue Funktionalitäten für eine zukünftige energieeffiziente Informationstechnik.

Die Konstanzer Zusammenarbeit konzentriert sich auf ein grundlegendes Problem dieses Ansatzes. Es besteht darin, dass in konventionellen Supraleitern der supraleitende Zustand durch Elektronenpaare getragen wird, deren magnetische Momente entgegengesetzt orientiert und die somit insgesamt unmagnetisch sind und deshalb keine magnetische Information übertragen können.

Der magnetische Zustand ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass die magnetischen Momente gleich ausgerichtet sind, was den supraleitenden Ladungstransport unterdrückt.

„Dass Supraleitung, die ohne Wärmeentwicklung funktioniert, und Spintronik, die magnetische Informationen überträgt, nicht miteinander vereinbar sind, widerspricht nicht grundlegenden physikalischen Prinzipien, sondern nur naiven Annahmen zur Natur der Materie“, sagt Elke Scheer.

Vor kurzem wurden Hinweise darauf gefunden, dass in Kombinationen von Supraleitern mit bestimmten magnetischen Materialien Elektronen mit gleichem Spin im Supraleiter aneinandergebunden werden und damit Supraströme über große Distanzen transportiert werden können. Dies könnte völlig neuartige, revolutionäre elektronische Bauelemente ermöglichen.

Unter der Leitung von Elke Scheer wurde in der Doktorarbeit von Dr. Simon Diesch ein Experiment realisiert, das den Erzeugungsmechanismus dieser Elektronenpaare mit paralleler Spinausrichtung aufklärt.

„Wir haben gezeigt, dass es möglich ist, diese parallel orientierten Elektronenpaare zu erzeugen und nachzuweisen“, erklärt Simon Diesch. Das Design der Struktur sowie die Interpretation der Messergebnisse beruhen auf der theoretisch-physikalischen Doktorarbeit von Dr. Peter Machon unter Anleitung von Wolfgang Belzig.

„Es gilt, Materialien zu finden, die solche parallel orientierten Elektronenpaare möglich machen. Insofern ist dies auch eine materialwissenschaftliche Fragestellung“, so Elke Scheer. Fachkollegen des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) gelang es, maßgeschneiderte Aluminium-Europiumsulfid-Proben herzustellen.

Bei Aluminium handelt es sich um einen sehr gut verstandenen Supraleiter, was eine wichtige Voraussetzung für einen quantitativen Vergleich mit der Theorie darstellt. Europiumsulfid ist ein magnetischer Isolator, ebenfalls eine bedeutende Eigenschaft zur Umsetzung des theoretischen Konzepts, und zudem behält es auch in nur wenigen Nanometer dünnen Schichten, wie sie hier verwendet werden, seine magnetischen Eigenschaften bei.

Mit einem im Haus entwickelten Rastertunnelmikroskop wurden räumlich und energetisch hochauflösende Messungen des Ladungstransports der Aluminium-Europiumsulfid-Proben bei tiefen Temperaturen durchgeführt. Das Rastertunnelmikroskop im Labor der Arbeitsgruppe Scheer wurde im Gegensatz zu kommerziellen Systemen darauf optimiert, vor allem höchste Energieauflösung zu liefern und dabei in veränderlichen äußerem Magnetfeldern einsatzfähig zu sein.

Die Spannungsabhängigkeit des Ladungstransports der Proben liefert die Energieverteilung der supraleitenden magnetischen Elektronenpaare und lässt damit präzise Aussagen über die genaue Zusammensetzung des supraleitenden Zustands zu. Dazu wurde eine maßgeschneiderte Theorie für die Grenzfläche zwischen Aluminium und Europiumsulfid angewendet, die kurz zuvor in der Arbeitsgruppe Belzig neu entwickelt worden war und die auch erlaubt, in Zukunft noch komplexere Probenzusammensetzungen zu beschreiben. Die durch die Theorie vorhergesagten Energiespektren sind im Einklang mit dem Experiment und bilden damit einen direkten Nachweis der magnetischen Elektronenpaare.

Darüber hinaus konnten durch die Zusammenarbeit der theoretischen und experimentellen Gruppen bis dahin bestehende Widersprüche hinsichtlich der Interpretation solcher Spektren geklärt werden. Mit diesen Ergebnissen hoffen die Konstanzer Physiker, das große Potential supraleitender Spintronik als potentielle Nachfolgetechnologie für die Halbleitertechnik aufzuzeigen.

Faktenübersicht:
• Originalpublikation: Simon Diesch, Peter Machon, Michael Wolz, Christoph Sürgers, Detlef Beckmann, Wolfgang Belzig, Elke Scheer: Creation of equal-spin triplet superconductivity at the Al/EuS interface, https://www.nature.com/articles/s41467-018-07597-w
• Konstanzer Physiker zeigen, wie die Kombination von Supraleitern und Magneten zur Informationsübertragung eingesetzt werden kann
• Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsgruppen der Experimentalphysikerin Prof. Dr. Elke Scheer und dem Theoretischen Physiker Prof. Dr. Wolfgang Belzig an der Universität Konstanz und Physikern des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT)
• Die Arbeit wurde gefördert durch ein Promotionsstipendium aufgrund des Landesgraduiertenförderungsgesetzes (Simon Diesch), durch die Baden-Württemberg Stiftung, durch das Exzellenznetz Funktionelle Nanostrukturen, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Schwerpunktprogramm 1538 „Spincaloric Transport“ und Deutsch-Israelischen Projekt „Nanostructured hybrids of superconductors and ferromagnets“ sowie den Leverhulme Trust (UK).

Hinweis an die Redaktionen:
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Bildunterschrift:
Rastertunnelmikroskop verbaut in einem Helium-Kühlgerät. Ansicht von unten ohne Probenhalter. Zu sehen ist der Mechanismus zur Positionierung der Mikroskopspitze über der Probe (Bildmitte).
Bild: Simon Diesch

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Simon Diesch, Peter Machon, Michael Wolz, Christoph Sürgers, Detlef Beckmann, Wolfgang Belzig, Elke Scheer: Creation of equal-spin triplet superconductivity at the Al/EuS interface, https://www.nature.com/articles/s41467-018-07597-w

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