Sternbewegungen liefern Bibliothek von Galaxien-Geschichtsbüchern

Vier Galaxien aus der CALIFA-Durchmusterung. Von oben nach unten: Bilder (SDSS-Katalog), Radialgeschwindigkeiten der einzelnen Regionen, und Streuung der Geschwindigkeiten Bild: CALIFA-Team / L. Zhu (MPIA)

Für Sterne in Galaxien gibt es zwei grundsätzlich unterschiedliche Arten von Bewegungen. Einige der Sterne umkreisen das Zentrum der Galaxie in geordneter Weise – genau wie unsere Sonne und Milliarden anderer Sterne, die das Zentrum unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, innerhalb einer flachen Scheibe umkreisen. Andere Sterne in anderen Galaxien haben dagegen zufällig orientierte, langgestreckte Bahnen.

Eine Gruppe von Forschern unter der Leitung von Ling Zhu (Max-Planck-Institut für Astronomie[MPIA]) konnte jetzt anhand von Daten aus einer groß angelegten Durchmusterung die typischen Umlaufbahnen von Sternen in hunderten von Galaxien bestimmen. Die Eigenschaften dieser Bahnen dokumentieren, wie die betreffende Galaxie entstanden ist, und sie erlauben es, Modelle der Galaxienbildung auf die Probe zu stellen.

Die Daten sind Teil der CALIFA-Durchmusterung, einer systematischen spektroskopischen Untersuchung von über 600 Galaxien, die mit dem PMAS-Spektrographen am 3,5-Meter-Teleskop des Calar-Alto-Observatoriums in Spanien durchgeführt wurde. Als Teil der Untersuchung erstellten die Astronomen Geschwindigkeitskarten von 300 Galaxien, die zeigen, wie sich Sterne in verschiedenen Regionen der Galaxie auf uns zu oder von uns weg bewegen.

Die Forscherinnen und Forscher unterschieden dabei zwischen nahezu kreisrunden Stern-Umlaufbahnen, die sie als „kalte Bahnen“ bezeichnen, und stark verlängerten „heißen Bahnen“, die für die zufällige, ungeordnete Bewegung von Sternen typisch sind. Durch den Vergleich ihrer Daten mit geeigneten Modellen konnten die Forscher zeigen, dass in weniger massereichen Galaxien, mit einer Gesamtmasse von bis zu 10 Milliarden Sonnenmassen, überwiegend kalte Bahnen zu finden sind. In den größten Galaxien, mit über 100 Milliarden Sonnenmassen, herrschen dagegen heiße Bahnen vor. Insgesamt befinden sich die Sterne der meisten Galaxien auf „warmen“ Bahnen zwischen den beiden Extremen.

Diese Bewegungsmuster enthalten Informationen über die Entstehungsgeschichte einer Galaxie. Galaxien wachsen über Milliarden von Jahren, indem sie mit anderen Galaxien verschmelzen. Hat eine Galaxie zwar wiederholt kleinere Galaxien „verschluckt“, ist aber nie mit einer anderen Galaxie von ähnlicher Größe wie sie selbst verschmolzen, dann weist sie typischerweise eine flache, rotierende Scheibe von Sternen auf. Unsere eigene Heimatgalaxie, die Milchstraße, ist eine solche Scheibengalaxie. Verschmelzen dagegen zwei Galaxien mit etwa gleicher Masse, dann entsteht eine sogenannte elliptische Galaxie, mit einem Wirrwarr von Sternbahnen, die in viele unterschiedliche Richtungen ausgerichtet sind.

Aufgrund der gemeinsamen Rotation ihrer Scheibensterne haben Scheibengalaxien einen höheren Anteil an kälteren Sternumlaufbahnen. Die Astronomen stellten außerdem fest, dass es sich bei den durcheinander gewürfelten Bahnen innerhalb elliptischer Galaxien nicht um kreisförmige Bahnen in verschiedenen Ausrichtungen handelt, sondern ganz überwiegend um langgestreckte, heiße Bahnen. Anhand der Sternbahnen lässt sich daher zwischen Scheibengalaxien und elliptischen Galaxien unterscheiden – auch in Fällen, in denen bloße Bilder der Galaxien keine eindeutige Beurteilung zulassen.

Anders ausgedrückt: Durch die Messung von Sternumlaufbahnen können die Forscher erkennen, ob die Vergangenheit einer Galaxie eine ruhige Abfolge kleinerer Verschmelzungen war oder ob sie von einer gewaltigen großen Galaxienverschmelzung geprägt wurde. Die Forscher hatten damit eine neuartige und genaue Methode gefunden, um die Geschichte einer Galaxie abzulesen – ihre Durchmusterung mit Datensätzen für 300 Galaxien entpuppte sich als die größte existierende Bibliothek von Galaxien-Geschichtsbüchern!

Für Forscher, die die Entstehung und Entwicklung von Galaxien simulieren, sind die neuen Ergebnisse eine Fundgrube neuer Beobachtungsdaten, mit denen ihre Simulationen vereinbar sein müssen. Die CALIFA-Durchmusterung war von Anfang an so geplant worden, dass sie eine repräsentative Stichprobe von Galaxien liefert. Mit Hilfe der neuen Daten können Astronomen, die die kosmische Geschichte simulieren, jetzt direkt nachprüfen, ob ihre Simulationen die richtigen Vorhersagen für die Häufigkeit von heißen, kalten und warmen Bahnen bei Galaxien unterschiedlicher Massen liefern oder nicht.

http://www.mpia.de/4457077/2018-02-sternbahnen – Online-Version der Pressemitteilung
https://www.nature.com/articles/s41550-017-0348-1 – zugehöriger Fachartikel

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Dr. Markus Pössel Max-Planck-Institut für Astronomie

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