Der „Steckbrief“ von Neon wird genauer

Klein oder groß, schweigsam oder gesprächig – die grundlegenden Eigenschaften eines Menschen prägen sein Verhalten. Bei chemischen Elementen ist es im Prinzip nicht anders.

Und je besser der „Steckbrief“ eines Elementes bekannt ist, umso besser lässt sich auch sein Verhalten im praktischen Einsatz, etwa in der chemischen Industrie, verstehen und steuern. In den letzten Jahren sind solche „Steckbriefe“ immer öfter aufgrund von theoretischen Modellen entstanden.

Ob sie die Wirklichkeit auch gut abbilden, lässt sich jetzt mit einer Methode überprüfen, die nur in der metrologischen, also messtechnischen Spitzenforschung zu finden ist, in Deutschland in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB). Dort ist mit Hilfe der Dielektrizitätskonstanten-Gasthermometrie eine grundlegende Eigenschaft des Edelgases Neon, nämlich seine Polarisierbarkeit, präziser als je zuvor bestimmt worden.

Der ermittelte Wert zeigt, dass die letzen praktischen Messungen dieser Größe, die 40 Jahre zurück liegen, offenbar nicht so gut waren, neueste theoretische Modelle dagegen sehr gut passen. Die Ergebnisse der PTB-Physiker sind auf großes Interesse von Grundlagen-Chemikern gestoßen. Denn das Verfahren nutzt nicht nur in diesem speziellen Fall, sondern mit ihm lassen sich auch bei anderen grundlegenden Eigenschaften und auch bei anderen Elementen die entsprechenden theoretischen Modelle überprüfen. Daneben hat die experimentelle Bestimmung der Polarisierbarkeit von Neon auch eine große praktische Bedeutung für die Bestimmung einer Fundamentalkonstante, nämlich der Boltzmann-Konstante, die für die Thermodynamik von grundlegender Bedeutung ist.

Im Boltzmann-Projekt der PTB soll die bisherige Definition der Basiseinheit der Temperatur im Internationalen Einheitensystem (SI), Kelvin, auf eine noch solidere Grundlage gestellt werden. Zurzeit dient der sogenannte Tripelpunkt von Wasser, also jene Temperatur, bei der Wasser gleichzeitig fest, flüssig und gasförmig vorliegt, als Bezug. In ein paar Jahren könnte es eine Naturkonstante sein: die Boltzmann-Konstante. In ihrem Projekt setzen die PTB-Physiker die Dielektrizitätskonstanten-Gasthermometrie ein. Dabei wird die relative Kapazitätsänderung eines Kondensators durch das Messgas bestimmt. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Polarisierbarkeit des Messgases. Das ist bisher Helium, das als einzige Atomsorte eine Berechnung der Polarisierbarkeit auf dem notwendigen geringen Unsicherheitsniveau zulässt. Nach den neuesten Messungen an Neon, das eine höhere Polarisierbarkeit besitzt, haben die Physiker erstmals ein zweites Messgas zur Verfügung. Es ermöglicht unerlässliche Konsistenzchecks bei der Messung der Boltzmann-Konstante am Wassertripelpunkt.

Den Wissenschaftlern gelang die Messung der molaren statischen Polarisierbarkeit von Neon mit der bisher unerreichten relativen Unsicherheit von 0,00001. Neben der zentralen Bedeutung der Größe Polarisierbarkeit im Zusammenhang mit fundamentalen Wechselwirkungen, z. B. als Schlüsselgröße bei der sehr schwachen Van-der-Waals-Wechselwirkung, hat diese Bestimmung auch für die theoretische Chemie große Bedeutung. In den letzten Jahrzehnten hat sich die theoretische Berechnung physikalisch-chemischer Größen sehr rasch entwickelt. Dabei konnte sich eine große Zahl unterschiedlichster Berechnungsvarianten herausbilden. Eine Gruppe sehr leistungsstarker Methoden sind die sogenannten „Post-Hartree Fock“-Verfahren. Der neue Wert für die Polarisierbarkeit von Neon ermöglicht es nun, die unterschiedlichen Varianten zu vergleichen und ein objektives Kriterium für deren Güte zu bekommen.

Denn letztendlich entscheidet das Experiment, ob eine Theorie die Natur richtig beschreibt. Bei Neon liegt die letzte experimentelle Bestimmung der statischen Polarisierbarkeit allerdings schon über 40 Jahre zurück. Die Messungen in der PTB haben nun gezeigt, dass der erhaltene alte Wert deutlicher falscher ist, als nach der angegebenen Unsicherheit zu erwarten wäre. Im Gegensatz dazu zeigt der neue Wert der PTB eine nahezu perfekte Übereinstimmung mit neuesten theoretischen Werten. Die Messunsicherheit des Experimentes ist noch um fast zwei Größenordnungen geringer (also besser) als die der genauesten theoretischen Berechnungen.

Die Erfahrungen lassen sich auf andere Moleküle und andere physikalische Größen wie z. B. Wärmeleitfähigkeit und Viskosität übertragen.

Ansprechpartner:
Dr. Christof Gaiser, PTB-Arbeitsgruppe 7.43 Grundlagen der Thermometrie,
Tel. (030) 3481-7349, E-Mail: christof.gaiser@ptb.de
Originalveröffentlichung dazu:
Gaiser, C.; Fellmuth, B.: Experimental benchmark value for the molar polarizability of neon. EPL 90 (2010) 63002, 15.07.2010.

Media Contact

Erika Schow idw

Weitere Informationen:

http://www.ptb.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Physik Astronomie

Von grundlegenden Gesetzen der Natur, ihre elementaren Bausteine und deren Wechselwirkungen, den Eigenschaften und dem Verhalten von Materie über Felder in Raum und Zeit bis hin zur Struktur von Raum und Zeit selbst.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Astrophysik, Lasertechnologie, Kernphysik, Quantenphysik, Nanotechnologie, Teilchenphysik, Festkörperphysik, Mars, Venus, und Hubble.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Bakterien für klimaneutrale Chemikalien der Zukunft

For­schen­de an der ETH Zü­rich ha­ben Bak­te­ri­en im La­bor so her­an­ge­züch­tet, dass sie Me­tha­nol ef­fi­zi­ent ver­wer­ten kön­nen. Jetzt lässt sich der Stoff­wech­sel die­ser Bak­te­ri­en an­zap­fen, um wert­vol­le Pro­duk­te her­zu­stel­len, die…

Batterien: Heute die Materialien von morgen modellieren

Welche Faktoren bestimmen, wie schnell sich eine Batterie laden lässt? Dieser und weiteren Fragen gehen Forschende am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit computergestützten Simulationen nach. Mikrostrukturmodelle tragen dazu bei,…

Porosität von Sedimentgestein mit Neutronen untersucht

Forschung am FRM II zu geologischen Lagerstätten. Dauerhafte unterirdische Lagerung von CO2 Poren so klein wie Bakterien Porenmessung mit Neutronen auf den Nanometer genau Ob Sedimentgesteine fossile Kohlenwasserstoffe speichern können…

Partner & Förderer