Auf die Richtung kommt es an!

&quot;Experimenteller Clou&quot;: Die richtungsabhängige Messung der effektiven Massen in schematischer Darstellung. Die Krümmung der gelben Fläche ist ein Maß für die effektive Masse in der jeweiligen Richtung. Im Experiment beschleunigt ein Terahertz-Puls die Elektronen (roter Punkt), bevor der „probe pulse“ die effektive Masse misst – entweder parallel zur Bewegungsrichtung (entlang der roten Linie) oder senkrecht dazu (entlang der blauen Linie). Die unterschiedliche Krümmung der beiden Linien spiegelt die Anisotropie der Massen wider. Abbildung: Philipps-Universität / AG Koch<br>

Das postulieren Marburger Physiker, die mit einer neuen Theorie verblüffende experimentelle Daten erklären können. Das Team um Professor Dr. Stephan W. Koch von der Philipps-Universität veröffentlicht seine Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift „Physical Review Letters“, die am kommenden Freitag, den 2. September 2011 erscheint.

Elektronen im Halbleiter haben eine im Vergleich zu freien Elektronen veränderte Masse. Diese sogenannte „effektive Masse“ resultiert aus der quantenmechanischen Wechselwirkung der Elektronen mit den Gitteratomen, die den Kristall aufbauen. Sie hängt von der Geschwindigkeit der Elektronen ab, genauer: vom Impuls. „Ein sich schnell bewegendes Elektron hat im Halbleiter eine andere Masse als ein langsameres“, erklärt Mitautor Koch. „Die effektive Masse kann sogar davon abhängig sein, in welche Richtung sich das Elektron durch den Halbleiter bewegt – wie ein Gegenstand, der schwerer ist, wenn er nach Norden fliegt, als wenn er sich nach Osten bewegt!“ Man spricht in diesem Fall von „Anisotropie“.

Die genaue Kenntnis der effektiven Masse für alle Geschwindigkeiten und Richtungen ist essentiell für das Verständnis der elektronischen und optischen Eigenschaften von Halbleitern. Die aktuelle Veröffentlichung fußt auf einer erstaunlichen Entdeckung kanadischer Physiker: Die Wissenschaftler um Professor Dr. Frank Hegmann von der University of Alberta hatten sich ein besonders raffiniertes Experiment ausgedacht, um die Richtungsabhängigkeit der effektiven Masse für verschiedene Geschwindigkeiten direkt zu beobachten.

Sie bedienten sich hierzu der Terahertz (THz)-Strahlung, einer unsichtbaren elektromagnetischen Strahlung im Wellenlängenbereich zwischen infrarotem Licht und Mikrowellen. Herzstück des kanadischen Versuchs sind zwei aufeinanderfolgende THz-Pulse, deren Polarisationen (die Richtungen der zugehörigen elektrischen Felder) relativ zueinander gedreht werden können. Ein erster starker Puls, der sogenannte Pump-Puls, beschleunigt die Elektronen im Halbleiter auf eine gewisse Geschwindigkeit.

Der zweite, schwächere Abfrage-Puls kann nun die Masse der zuvor beschleunigten Elektronen messen. Dabei macht man sich einen alltäglichen Effekt zunutze: leichte Gegenstände lassen sich aufgrund der geringeren Trägheit leichter bewegen als schwere. Ebenso reagieren leichte Elektronen stärker als schwere auf das THz-Feld. Misst man nun das Feld des durch den Halbleiter hindurch gelaufenen Abfrage-Pulses, so lassen sich Rückschlüsse auf die Masse der Elektronen ziehen. „Der eigentliche Clou an diesem Experiment ist jedoch, dass es eine richtungsabhängige Messung der Massen erlaubt, da die Polarisationen von Pump- und Abfrage-Puls gegeneinander gedreht werden können“, erläutert Mitautor Daniel Golde.

Die kanadischen Wissenschaftler machten die unerwartete Beobachtung, dass die Masse der sich bewegenden Elektronen in Bewegungsrichtung größer ist als senkrecht dazu. Mit anderen Worten, es ist leichter, die Elektronen seitlich abzulenken als sie noch weiter in Bewegungsrichtung zu beschleunigen oder abzubremsen.

Koch sowie seine Marburger Kollegen Professor Dr. Mackillo Kira und Dr. Daniel Golde konnten mit ihrer Theorie eindeutig nachweisen, dass die gemessenen Ergebnisse sich auf eine bisher noch nicht beobachtete Art der Anisotropie zurückführen lassen, die nur dann auftritt, wenn die Elektronen zuvor beschleunigt wurden (wie in diesem Fall durch die Terahertzbestrahlung). Wie die Forscher weiter zeigen konnten, ist dieser Effekt die Folge einer allgemeinen geometrischen Eigenschaft des Elektronensystems; es tritt somit in nahezu allen Halbleitern auf, selbst in vollkommen isotropen, also symmetrischen Materialien. Die Ergebnisse wurden am heutigen Mittwoch, den 31. August 2011 vorab in der Online-Ausgabe der Physical Review Letters veröffentlicht.

Originalpublikation: F. Blanchard & al.: Effective mass anisotropy of hot electrons in nonparabolic conduction bands, Phys. Rev. Letters 107/10,

2. September 2011

Weitere Informationen:
Ansprechpartner: Professor Dr. Stephan W. Koch,
Fachgebiet Theoretische Halbleiterphysik
Tel.: 06421 28-21336
E-Mail: stephan.w.koch@physik.uni-marburg.de

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Johannes Scholten idw

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