Neuer Sonderforschungsbereich für nichtlineare Dynamik

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat die Einrichtung des Sonderforschungsbereiches 910 (Sfb) zur Kontrolle nichtlinearer Systeme an der TU Berlin bewilligt. Damit wird Berlins Stellung als führender Forschungsstandort auf dem interdisziplinären Gebiet der nichtlinearen Dynamik national und international weiter ausgebaut. Sprecher des Sfb ist Prof. Dr. Eckehard Schöll, PhD vom Institut für Theoretische Physik der TU Berlin.

Unter dem Titel „Kontrolle selbstorganisierender nichtlinearer Systeme: Theoretische Methoden und Anwendungskonzepte” werden 17 Teilprojektleiterinnen und Teilprojektleiter aus drei Berliner Universitäten und drei außeruniversitären Forschungseinrichtungen an innovativen Kontrollstrategien und -methoden forschen. Der Sonderforschungsbereich ist theoretisch-methodisch orientiert und hat seinen Schwerpunkt in der Entwicklung neuartiger theoretischer Konzepte. Als Anwendungen werden Halbleiterquantenstrukturen und Nanokavitäten, weiche Materie im Nichtgleichgewicht, wie Kolloidsysteme und aktive Biomembranen, und neuronale Systeme und Netzwerke betrachtet.

Laufzeit und Fördermittel
Während der ersten Förderperiode von vier Jahren fließen rund sieben Millionen Euro Drittmittel von der DFG in den Sonderforschungsbereich. Geplant ist eine Gesamtlaufzeit von zwölf Jahren in drei Förderperioden mit einem Gesamtfördervolumen von mehr als 22 Millionen Euro.
Thematische Schwerpunkte und Zielsetzungen
Selbstorganisation, das heißt die spontane Bildung zeitlicher, räumlicher oder raum-zeitlicher Strukturen fern vom thermodynamischen Gleichgewicht, ist weit verbreitet in dissipativen, nichtlinearen, dynamischen Systemen in Physik, Chemie und Biologie. Das Ziel des Sfb ist es, solche dissipativen Strukturen wie Spiralwellen im Herzen und Gehirn gezielt zu kontrollieren und zu generieren. Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen angewandten Mathematikern, theoretischen Physikern und Neuro-Informatikern werden neue Kontrollkonzepte und Kontrollmethoden entwickelt und auf ausgewählte Modellsysteme angewendet. Diese reichen von kondensierter Materie bis zu biologischen Systemen und um-fassen räumliche Skalen von Nanometer bis Mikro- und Millimeter. Dabei sollen verschiedene Kontrollbegriffe aus der nichtlinearen Dynamik und Chaoskontrolle, der klassischen Steuerungs- und Optimierungstheorie und der Quantenkontrolle zusammengeführt werden. „Ein wichtiges Konzept stellen Rückkopplungsschleifen dar, um instabile Zustände zu stabilisieren. Ein Beispiel hierfür ist die zeitverzögerte Rückkopplungskontrolle, die vielseitige Anwendungen finden kann zum Beispiel bei Lasern, in komplexen Netzwerken, in chemisch aktiven Systemen oder in der Biologie und Medizin, etwa bei Herzrhythmusstörungen und der Bekämpfung von Parkinson und Epilepsie“, erklärt Eckehard Schöll, dessen Arbeitsgruppe in den vergangenen Jahren Pionierarbeit bei der Entwicklung der zeitverzögerten Rückkopplungskontrolle geleistet hat.

Eine Langzeitvision dieses Sonderforschungsbereichs sind völlig neuarti-ge Anwendungen der Kontrollkonzepte der nichtlinearen Dynamik, etwa in der verschlüsselten optischen Kommunikation mit chaotischen Lasern oder bei neuartigen Therapien für Migräne und Schlaganfall. Weiterhin betreten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Bereich der weichen Materie mit ihren Kontrollkonzepten Neuland, aus dem beispielsweise neuartige intelligente weiche Materialien erwachsen können.

Mutige Berufungspolitik und hervorragende Rahmenbedingungen
Durch eine mutige und wegweisende Berufungspolitik am Institut für Theoretische Physik der TU Berlin während der vergangenen Dekade ist die nichtlineare Physik als ein profilgebender Schwerpunkt etabliert worden. Dadurch wurden die Weichen gestellt, die diesen Forschungsverbund ermöglichten. Die international führende Rolle des Standorts Berlin auf dem Gebiet der nichtlinearen Dynamik ist durch das ausgezeichnete interdisziplinäre wissenschaftliche Umfeld gekennzeichnet, in dem Wissenschaftler der TU Berlin, der FU Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin und zahlreicher außeruniversitärer Einrichtungen bereits seit Jahren zusammenarbeiten; stellvertretend sei der im Juni 2010 ausgelaufene Sonderforschungsbereich 555 „Komplexe nichtlineare Prozesse” genannt. Dessen Gründungsmitglied war Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Gerhard Ertl, Nobelpreisträger Chemie 2007.
Struktur des neuen Sonderforschungsbereiches
Der Sfb gliedert sich in zwei Projektbereiche: (A) Theoretische Methoden und (B) Anwendungskonzepte. Dabei beschäftigt sich der Bereich A mit grundlegenden, theoretischen Untersuchungen selbstorganisierender nichtlinearer Systeme. Durch seine interdisziplinäre Zusammensetzung bündelt er Expertise aus den Forschungsgebieten Theoretische Physik, Mathematik und Numerik sowie Neuroinformatik. Ziel ist ein fundamentales Verständnis erfolgreicher Kontrolle von selbstorganisierenden Prozessen.

Projektbereich B konzentriert sich auf die Anwendung der in Bereich A entwickelten Kontrollprinzipien auf beispielhaft ausgewählte innovative Modellsysteme mit einer großen Bandbreite unterschiedlicher Zeit- und Raumskalen. Die zu untersuchenden Modellsysteme stammen aus der Physik, Chemie und Biologie.

Die Mehrheit der 14 Teilprojekte ist in der Fakultät II Mathematik und Naturwissenschaften der TU Berlin angesiedelt. Dabei sind mit sieben Teilprojekten alle sechs Fachgebiete des Instituts für Theoretische Physik beteiligt. Ergänzt wird das Forschungsfeld durch drei Arbeitsgruppen des Instituts für Mathematik und eine Arbeitsgruppe des Instituts für Software-technik und Theoretische Informatik der Fakultät IV Elektrotechnik und Informatik der TU Berlin sowie je eine Arbeitsgruppe der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin, des Fritz-Haber-Instituts der Max-Planck-Gesellschaft, der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt und des Weierstraß-Instituts für Angewandte Analysis und Stochastik.

Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
Ein besonderes Anliegen des Sfb ist die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie spezielle Maßnahmen zur Gleichstelllung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und zur Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie. Dazu plant der Sfb Fördermaßnahmen auf allen Stufen von Bachelor- und Master-Studierenden über Doktorandinnen und Doktoranden bis zum Postdoktorandenstadium. Durch Mentorenprogramme soll versucht werden, Frauen für die Naturwissenschaften aktiv zu gewinnen und zu fördern. In internationale Kooperationen mit führenden Forschergruppen in aller Welt sollen die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon frühzeitig durch Austausch- und Kooperationsprogramme eingebunden werden. Eine enge Zusammenarbeit und die Nutzung von Synergieeffekten ist auch mit dem kürzlich an der TU Berlin eingerichteten Graduiertenkolleg 1558 „Nonequilibrium Collective Dynamics in Condensed Matter and Biological Systems” geplant (Start: 1. Oktober 2009, Sprecher: Prof. Dr. Holger Stark, Institut für Theoretische Physik der TU Berlin), dessen strukturiertes Doktorandenprogramm auch die Doktorandinnen und Doktoranden des Sfb 910 nutzen können.
Beteiligte Institutionen des neuen Sonderforschungsbereiches
• Technische Universität Berlin (Sprecherhochschule)
• Freie Universität Berlin
• Humboldt-Universität zu Berlin
• Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft
• Physikalisch-Technische Bundesanstalt
• Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik
Weitere Informationen erteilt Ihnen gern: Prof. Dr. Eckehard Schöll, PhD,
Institut für Theoretische Physik, TU Berlin, Hardenbergstraße 36,10623 Berlin, Tel.: 030/314-2 35 00, Fax: -21130, E-Mail: schoell@physik.tu-berlin.de
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Stefanie Terp idw

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