Mikrowellen für ultrakalte Atome – Extrem präzise Messungen dank neuartiger Mikrochips

Das macht diese Chips zu einer Art Experimentierfeld der Quantenphysik, um grundlegende Fragen zu untersuchen, etwa den Welle-Teilchen-Dualismus. Gleichzeitig können Atomchips als präzise Sensoren für Kräfte wie die Gravitation oder schwache elektromagnetische Felder dienen.

LMU-Physikern um Dr. Philipp Treutlein und Professor Theodor W. Hänsch ist es nun erstmals gelungen, Mikrowellenfelder auf einem Atomchip zu integrieren und damit ein Interferometer, also ein Messgerät für Materiewellen, zu realisieren.

Die dabei verwendeten Mikrowellenpotentiale sind eine Schlüsseltechnologie für die Erzeugung neuartiger „gequetscher“ Quantenzustände.

Diese Zustände verringern das sogenannte Quantenrauschen der Atome und eignen sich damit für die extrem präzise interferometrische Messung von Kräften. Die Potentiale könnten außerdem eine Schlüsseltechnologie für die Herstellung mikrochip-basierter Quantencomputer darstellen. (Nature Physics online, 5. Juli 2009).

Eingefangen, tiefgekühlt und unter Strom gesetzt: Atome auf einem Mikrochip haben oft kein leichtes Schicksal. Sie erlauben aber grundlegende Einblicke in die Welt der Quantenphysik. Die Basis der chipbasierten Technologie ist ein Quantenzustand der Materie, der 1995 erstmals im Labor verwirklicht wurde: Im Bose-Einstein-Kondensat werden Atome bis auf wenige Millionstel Grad über dem absoluten Nullpunkt – also 0 Kelvin oder -273,15 Grad Celsius – abgekühlt.

Aufgrund der extrem kalten Temperaturen entsprechen die Bewegung, der interne Energiezustand und andere Eigenschaften der Atome dann einem genau definierten Quantenzustand. Dieser kann mit Hilfe eines Mikrochips in einer Vakuumkammer gezielt manipuliert werden. Strom erzeugt dabei Magnetfelder, die die Teilchen wenige Mikrometer über der Chipoberfläche schweben lassen.

„Diese Technologie ermöglicht, den Welle-Teilchen-Dualismus, die Verschränkung von Quantenzuständen und andere grundlegende Fragen der Quantenphysik zu untersuchen“, sagt Dr. Philipp Treutlein, Leiter der Arbeitsgruppe „Munich Atom Chip Group“ an der Fakultät für Physik der LMU München und dem Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching. „Unter Quantenverschränkung versteht man, dass zwei oder mehr Teilchen nicht mehr einzeln, sondern nur noch als Gesamtsystem beschrieben werden können.“

Atomchips werden auch als Interferometer genutzt. Dieses Messgerät für Materiewellen nutzt aus, dass sich das Bose-Einstein-Kondensat auf dem Chip zunächst räumlich aufspalten und anschließend wieder vereinen lässt. „Bei der Aufspaltung wird eine quantenmechanische Überlagerung der Atome in zwei Zuständen erzeugt. Bei der Vereinigung interferieren die Zustände dann, und ein charakteristisches Interferenzmuster entsteht“, erklärt Treutlein. „Wirken im aufgespalteten Zustand externe Kräfte auf die Atomwolke ein, kann man diese anhand der Veränderungen des Interferenzmusters messen.“

Treutlein und sein Team haben nun ein Interferometer auf der Basis von Bose-Einstein-Kondensaten entwickelt. Es soll extrem präzise Messungen ermöglichen und erzeugt zudem – dank integrierter Mikrowellenfelder – außerordentlich flexible Potentiale. „Wir konnten den Bewegungszustand und den internen Energiezustand der Atome unabhängig voneinander manipulieren“, berichtet Treutlein. Neu ist auch, dass das Interferenzmuster nicht mehr räumlich aufgelöst werden muss. Es genügt, die Anzahl der Atome in den verschiedenen Zuständen zu bestimmen.

Die mikrowellenbasierte Technologie ermöglicht zudem die Erzeugung „gequetschter“ Quantenzustände, mit deren Hilfe die Präzision bei interferometrischen Messungen – etwa von Gravitations- oder Rotationskräften – deutlich gesteigert werden könnte. Denn gequetschte Quantenzustände reduzieren das Quantenrauschen bei Messungen. Hierdurch wird die Genauigkeit beim Auslesen von Atomuhren und bei der interferometrischen Messung sehr schwacher Kräfte bislang begrenzt.

„Mikrowellenbasierte Atomchips könnten als kompakte und extrem empfindliche Messgeräte schwache elektromagnetische Felder, Rotations- und Gravitationkräfte bestimmen“, sagt Treutlein. Die Messung von Rotationskräften ist etwa bei Navigationsgeräten von Bedeutung, während das Aufspüren schwacher Gravitationsveränderungen für die Entdeckung unterirdischer Wasser- oder Erdölvorräte von Nutzen sein könnte.

In der Computertechnologie sieht der Physiker etwa in der Entwicklung eines Quantencomputers mögliche Anwendungen. „Hier sind Atomchips von Vorteil, weil sie sehr kompakt sind und viele Quantenbits und -gatter auf ihnen Platz haben“, so Treutlein. „Außerdem leben die Überlagerungszustände von ultrakalten Atomen lange und sind sehr stabil.“ (CA/suwe)

Publikation:
„Coherent manipulation of Bose-Einstein condensates with state-dependent microwave potentials on an atom chip“;
Pascal Böhi, Max F. Riedel, Johannes Hoffrogge, Jakob Reichel, Theodor W. Hänsch and Philipp Treutlein;
Nature Physics online, 5. Juli 2009;
DOI: 10.1038/NPHYS1329
Ansprechpartner:
Dr. Philipp Treutlein
Fakultät für Physik und Max-Planck-Institut für Quantenoptik
Munich Atom Chip Group
Tel.: +49-(0)89-2180-3937
Fax: +49-(0)89-2180-3938
E-Mail: treutlein@lmu.de

Media Contact

Luise Dirscherl idw

Weitere Informationen:

http://www.munichatomchip.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Physik Astronomie

Von grundlegenden Gesetzen der Natur, ihre elementaren Bausteine und deren Wechselwirkungen, den Eigenschaften und dem Verhalten von Materie über Felder in Raum und Zeit bis hin zur Struktur von Raum und Zeit selbst.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Astrophysik, Lasertechnologie, Kernphysik, Quantenphysik, Nanotechnologie, Teilchenphysik, Festkörperphysik, Mars, Venus, und Hubble.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neue universelle lichtbasierte Technik zur Kontrolle der Talpolarisation

Ein internationales Forscherteam berichtet in Nature über eine neue Methode, mit der zum ersten Mal die Talpolarisation in zentrosymmetrischen Bulk-Materialien auf eine nicht materialspezifische Weise erreicht wird. Diese „universelle Technik“…

Tumorzellen hebeln das Immunsystem früh aus

Neu entdeckter Mechanismus könnte Krebs-Immuntherapien deutlich verbessern. Tumore verhindern aktiv, dass sich Immunantworten durch sogenannte zytotoxische T-Zellen bilden, die den Krebs bekämpfen könnten. Wie das genau geschieht, beschreiben jetzt erstmals…

Immunzellen in den Startlöchern: „Allzeit bereit“ ist harte Arbeit

Wenn Krankheitserreger in den Körper eindringen, muss das Immunsystem sofort reagieren und eine Infektion verhindern oder eindämmen. Doch wie halten sich unsere Abwehrzellen bereit, wenn kein Angreifer in Sicht ist?…

Partner & Förderer