Mehr Quanten sind anders

Die rote Kurve zeigt die theoretische Vorhersage aus Freiburg, die schwarzen Messpunkte das Experiment. Der Übergang von klassischem Verhalten (obere graue gestrichelte Linie) zu quantenphysikalischem Verhalten (untere graue gestrichelte Linie) verläuft nicht gleichförmig, sondern weist bei endlichen Werten der Beobachtungsstärke einen Extremalwert auf. Dieser liegt außerhalb des erwarteten Bereichs zwischen klassischem und quantenmechanischem Verhalten.<br>Universität Freiburg<br>

„Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein“: Mit dieser Devise legt das Matthäus-Evangelium die Grundlage für die klassische Aussagelogik. Eine Behauptung ist demnach entweder wahr oder falsch – eine dritte Möglichkeit kann es nicht geben. Die Quantenmechanik erschüttert diesen Leitsatz jedoch in seinen Grundfesten, denn einander ausschließende Alternativen können in der Welt der Quanten gleichzeitig vorkommen.

Dies hat neben erkenntnistheoretischen Einsichten auch praktische Konsequenzen, zum Beispiel für die Entwicklung hochpräziser Uhren, bei der Verschlüsselung geheimer Daten oder für die Konstruktion von Quantencomputern mit bisher ungeahnter Rechenleistung. Solch quantenmechanisches Sowohl-als-auch, unter Fachleuten als kohärente Superposition bekannt, ist jedoch äußerst empfindlich. Bereits die Beobachtung eines quantenmechanischen Superpositionszustands führt rasch zu dessen Kollaps. Mit zunehmender Größe eines physikalischen Systems geht die Superpositionsfähigkeit nach und nach verloren – dieser „quanten-klassische Übergang“ gilt als Grund dafür, dass die oben genannte, klassische Aussagelogik im täglichen Leben dennoch Bestand hat.

Bisher war der quanten-klassische Übergang lediglich für ein oder zwei Quantenteilchen systematisch untersucht worden. Man ging davon aus, dass die Superpositionsfähigkeit mit zunehmender Beobachtungsstärke, das heißt bei stärkerer Wechselwirkung mit einem Messapparat, stetig abnehmen müsse. In enger Zusammenarbeit mit Experimentatoren um Prof. Dr. Yoon-Ho Kim an der Pohang University of Science and Technology/Südkorea haben nun die Freiburger Theoretischen Physiker Dr. Malte C. Tichy, Dr. Florian Mintert und Prof. Dr. Andreas Buchleitner gezeigt, dass dies für Superpositionszustände von mehr als zwei Teilchen in der Regel nicht mehr zutrifft. Der quanten-klassische Übergang verläuft meist nicht gleichförmig, legen die Wissenschaftler in ihrer Studie dar, die in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „PNAS“ erschienen ist. Geeignet definierte Maße der Superpositionsfähigkeit können mit zunehmender Beobachtungsstärke überraschenderweise auch zunehmen.

Die Ursache hierfür liegt in einem neuen strukturellen Element, das lediglich Superpositionszustände mit mehr als zwei Teilchen aufweisen und das bisher unbeachtet blieb: Bei maximal zwei Teilchen sind klassisch unvereinbare Alternativen wie links oder rechts immer eindeutig unterscheidbar, wenn nur die Teilchen als solche durch eine geeignete Messung unterscheidbar werden. Diese Eindeutigkeit geht bei größerer Teilchenzahl verloren, wie die Freiburger Theorie und das Experiment in Pohang zeigen. Die Erkenntnisse eröffnen somit neue Wege für ein tieferes Verständnis des Grenzverlaufs und -übergangs zwischen der Welt der klassischen Aussagelogik und der Welt der Quanten. Die gemeinsamen Ergebnisse aus Pohang und Freiburg wurden vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und der National Research Foundation im Rahmen des German-Korean Partnership Program gefördert.

Originalveröffentlichung:

Young-Sik Ra, Malte C. Tichy, Hyang-Tag Lim, Osung Kwon, Florian Mintert, Andreas Buchleitner, Yoon-Ho Kim: Nonmonotonic quantum-to-classical transition in multiparticle interference. doi: 10.1073/pnas.1206910110. PNAS 2013

Kontakt:
Prof. Dr. Andreas Buchleitner
Physikalisches Institut
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-5830
Fax: 0761/203-5967
E-Mail: abu@uni-freiburg.de

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