Licht auf krummen Touren

Gravitationslinse an der Grenze zur Sichtbarkeit: Das Licht des massereichen Objekts, das als Linse wirkt, benötigt 9,4 Milliarden Jahre, um uns zu erreichen. Die Vordergrundgalaxie (Linsenmasse) erscheint orange gefärbt, die Hintergrundgalaxie, die in Form eines Einsteinrings vergrößert wird, bläulich. Der Einsteinring misst nur 0,7 Bogensekunden im Durchmesser, entsprechend einem Durchmesser von 19000 Lichtjahren am Ort der Linse. Das Farbbild wurde aus drei separaten Aufnahmen mit zwei Teleskopen an Bord des Weltraumteleskops Hubble erstellt: aus zwei nahinfraroten Bildern der Wide Field Camera 3 und einem Bild der Advanced Camera for Surveys.<br><br>© MPIA / Arjen van der Wel<br>

Ein Astronomen-Team um Arjen van der Wel vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg hat die bisher am weitesten entfernte Gravitationslinse aufgespürt: eine Galaxie die – wie von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie vorhergesagt – das Licht eines deutlich ferneren Objekts ablenkt und verstärkt.

Der Fund ermöglicht es, die Masse einer Galaxie direkt zu bestimmen. Aber sie gibt auch ein Rätsel auf: Linsen dieser Art müssten äußerst selten sein! Gemessen an der Zahl der bekannten Beispiele hatten die Astronomen entweder phänomenales Glück oder, wahrscheinlicher: Sie haben die Anzahl kleiner, sehr aktiver junger Galaxien im frühen Universum erheblich unterschätzt.

Licht wird von der Gravitation beeinflusst: Läuft es an einer entfernten Galaxie vorbei, wird es durch deren Schwerkraft ein wenig abgelenkt. Seit dem ersten Fund im Jahr 1979 wurden viele solcher Gravitationslinsen entdeckt. Sie stützen nicht nur Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, sondern haben sich auch als wertvolles Werkzeug erwiesen.

Insbesondere lässt sich mit ihrer Hilfe die Masse der Materie bestimmen, die das Licht ablenkt – und zwar die Gesamtmasse, einschließlich der nach wie vor rätselhaften Dunklen Materie, die kein Licht emittiert oder absorbiert und sich daher nur über ihre Gravitationswirkung nachweisen lässt. Darüber hinaus verstärkt die Linse die Lichtquelle im Hintergrund. So agiert sie als natürliches Teleskop, das den Astronomen einen detaillierteren Blick auf weit entfernte Galaxien gewährt als das normalerweise möglich ist.

Gravitationslinsen bestehen aus zwei Objekten: der weiter entfernten Lichtquelle und der eigentlichen Linse, die zwischen uns und der Lichtquelle sitzt und das Licht ablenkt. Liegen Beobachter, Linse und Lichtquelle exakt auf einer Linie, kann der Beobachter einen Einsteinring sehen: einen perfekten Kreis aus Licht, das verzerrte und deutlich verstärkte Bild der entfernten Lichtquelle.

Jetzt haben Astronomen die bisher am weitesten entfernte Gravitationslinse gefunden. Laut Arjen van der Wel vom Max-Planck-Institut für Astronomie gelang die Entdeckung zufällig: „Ich war gerade dabei, Beobachtungen eines früheren Projekts durchzusehen. Dessen Ziel war es gewesen, die Massen alter, weit entfernter Galaxien anhand der Bewegung ihrer Sterne zu bestimmen.“

Inmitten der Galaxienspektren – der regenbogenähnlichen Auffächerungen des Lichts in Myriaden unterschiedliche Farbtöne – bemerkte van der Wel eine höchst eigenartige Galaxie. „Sie sah aus wie ein extrem junges Milchstraßensystem und schien in einer Distanz zu liegen, die sogar noch größer war als jener Bereich, auf den wir es abgesehen hatten. Dieses Objekt hätte eigentlich gar nicht Teil unseres Beobachtungsprogramms sein dürfen.“

Bei den Daten handelte es sich um Spektren, die mit dem Large Binocular Telescope in Arizona aufgenommen worden waren. Um herauszufinden, was er da gesehen hatte, nahm van der Wel sich Aufnahmen der betreffenden Galaxie vor, die im Zuge der CANDELS- und COSMOS-Durchmusterungen am Weltraumteleskop Hubble entstanden waren. Auf den Bildern ähnelte das Objekt nun wiederum einer alten Galaxie – so, wie es dem geplanten Beobachtungsprogramm nach zu erwarten war.

Bei näherem Hinsehen fand Arjen van der Wel allerdings einige Unregelmäßigkeiten – Hinweise darauf, dass dies eine Gravitationslinse sein könnte. Nachdem der Forscher alle verfügbaren Bilder miteinander kombiniert und weite Teile des Sternenlichts der Vordergrundgalaxie subtrahiert hatte, war das Ergebnis eindeutig: ein fast perfekter Einsteinring, der auf eine sehr präzise in Linie liegende Linse und eine Hintergrundquelle schließen ließ; die Abweichung betrug weniger als 0,01 Bogensekunden.

Die Gravitationslinse ist so weit entfernt, dass das Licht, nachdem es abgelenkt wird, noch 9,4 Milliarden Jahre unterwegs ist, bis es die Erde erreicht (Rotverschiebung z = 1,53). Zum Vergleich: Das Alter des Universums beträgt 13,8 Milliarden Jahre. Den bisherigen Rekordhalter hatten die Astronomen vor rund 30 Jahren entdeckt; bei ihm benötigt das Licht acht Milliarden Jahre, um nach seiner Ablenkung zu uns zu gelangen.

Das ist nicht nur ein neuer Rekord, sondern das Objekt erfüllt auch einen wichtigen Zweck: Das Ausmaß der Verzerrung durch die Gravitationslinse erlaubt die direkte Bestimmung ihrer Masse. Die üblichen Methoden zur Abschätzung der Masse weit entfernter Galaxien beruhen auf den Eigenschaften uns näher liegender Galaxien – und extrapolieren diese zu größeren Abständen. Mithilfe der neuen, direkten Messungen lassen sich diese Methoden auf die Probe stellen. Und die Astronomen können aufatmen: Die Methoden bestehen den Test.

Die Entdeckung gibt den Astronomen aber auch ein Rätsel auf. Der Gravitationslinseneffekt wird nur sichtbar, wenn Lichtquelle, Linsenmasse und Beobachter mit großer Genauigkeit in einer Reihe stehen. In diesem speziellen Fall, in dem ein Einsteinring erscheint, ist die Genauigkeit sogar besonders groß. Damit nicht genug: Die Lichtquelle ist eine sogenannte Starburst-Zwerggalaxie, also ein vergleichsweise massearmes Sternsystem mit nur etwa 100 Millionen Sonnenmassen, die zudem sehr jung ist (ungefähr zehn bis 40 Millionen Jahre alt) und mit einer enorm hohen Rate neue Sterne gebiert.

Die Wahrscheinlichkeit, diese spezielle Sorte von Galaxie als Lichtquelle für eine Gravitationslinse zu finden, erscheint äußerst gering. Dennoch haben die Astronomen damit schon die zweite Starburst-Zwerggalaxie in einer derartigen Konstellation gefunden. Entweder hatten die Wissenschaftler phänomenales Glück, oder aber Starburst-Zwerggalaxien sind viel häufiger als bisher angenommen – was die Theoretiker zwingen würde, ihre Modelle für die Galaxienentstehung und -entwicklung zu überdenken.

„Die Entdeckung verbindet zufällig zwei ganz unterschiedliche Themen meiner Forschungsarbeit – alte, massereiche Galaxien, und junge Starburst-Zwerge. Und das Ergebnis könnte unsere Vorstellungen von der Galaxienentwicklung im frühen Universum tüchtig aufrütteln“, meint denn auch Arjen van der Wel.

Ansprechpartner

Dr. Arjen van der Wel
Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg
Telefon: +49 6221 528-461
E-Mail: vdwel@­mpia.de
Dr. Markus Pössel
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg
Telefon: +49 6221 528-261
E-Mail: pr@­mpia.de
Originalpublikation
Arjen van der Wel et al.
Discovery of a quadruple lens in CANDELS with a record lens redshift z=1.53
Astrophysical Journal Letters, 17 October 2013

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Dr. Arjen van der Wel Max-Planck-Institut

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