Komplexe Organische Moleküle in jungem Sternsystem entdeckt

Künstlerische Darstellung der protoplanetaren Scheibe um den jungen Stern MWC 480 Illustration: B. Saxton (NRAO/AUI/NSF)

Die neuen Beobachtungen mit ALMA lassen erkennen, dass die protoplanetare Scheibe, die den jungen Stern MWC 480 [1] umgibt, große Mengen Methylcyanid (CH3CN) enthält, ein komplexes kohlenstoffbasiertes Molekül. Um MWC 480 ist genug Metylcyanid vorhanden, um alle Ozeane auf der Erde damit zu füllen.

Sowohl dieses Molekül als auch sein einfacherer Verwandter Cyanwasserstoff (HCN) wurden in den kalten Außenbereichen der neugeformten Scheibe des Sterns gefunden, in einer Region, von der Astronomen glauben, dass sie dem Kuipergürtel ähnelt – dem Bereich in unserem eigenen Sonnensystem jenseits von Neptun, der voller Planetesimale und Kometen ist.

Kometen stellen eine Art Aufzeichung der Phase der Planetenentstehung dar, da sie die frühe Chemie des Sonnensystems wiedergeben. Man geht davon aus, dass die Kometen und Asteroiden aus den Außenbereichen des Sonnensystems Wasser und organische Moleküle auf die Erde brachten und damit die Voraussetzung für die Entwicklung von primitivem Leben schafften.

„Untersuchungen von Kometen und Asteroiden zeigen, dass der solare Urnebel, der die Sonne und Planeten hervorbrachte, reich an Wasser und komplexen organischen Verbindungen war“, erklärt Karin Öberg, Astronomin vom Harvard-Smithsonian Center für Astrophysik in Cambridge (Massachusetts) in den USA und Erstautorin der neuen Veröffentlichung.

„Wir haben jetzt sogar genauere Beweise dafür, dass diese selben chemischen Eigenschaften auch anderorts im Universum, in Regionen enthält, in denen Sternsysteme entstehen könnten und die unserem Sonnensystem nicht unähnlich wären. Das ist besonders verblüffend, da die Moleküle, die in MWC 480 gefunden wurden, in ähnlicher Konzentration auch in den Kometen in unserem Sonnensystem zu finden sind“, merkt Öberg an.

Der Stern MWC 480, der eine Masse hat, die etwa zweimal so groß ist wie die der Sonne, befindet sich 455 Lichtjahre entfernt im Taurus-Sternentstehungsgebiet. Seine umgebende Scheibe ist in den sehr frühen Phasen der Entwicklung – sie ist erst vor kurzem aus einem kalten, dunklen Nebel aus Staub und Gas hervorgegangen. Beobachtungen mit ALMA und anderen Teleskopen müssen noch irgendein offensichtliches Zeichen der Planetenentstehung in ihr nachweisen, obwohl hochauflösendere Beobachtungen Strukturen zum Vorschein bringen könnten, die denen von HL Tauri ähnlich sind, der etwa gleich alt ist.

Astronomen wissen bereits seit geraumer Zeit, dass kalte, dunkle interstellaren Wolken sehr effiziente Fabriken für die Bildung von komplexen organischen Moleküle darstellen – einschließlich einer Gruppe von Molekülen, die man Cyanide nennt. Cyanide, und ganz besonders Methylcyanid, sind wichtig, da sie Kohlenstoff-Stickstoff-Verbindungen enthalten, die für die Bildung von Aminosäuren unerlässlich sind und als Grundlage für Proteine und die Bausteine des Lebens dienen.

Bis heute ist jedoch noch unklar, ob sich diese komplexen organischen Moleküle tatsächlich in der energiereichen Umgebung eines jeden neu gebildeten Sternsystems bilden können, da Stöße und Strahlung chemische Verbindungen leicht aufbrechen können.

Dank ALMAs außerordentlicher Empfindlichkeit [2], können Astronomen anhand der neuen Beobachtungen sehen, dass diese Moleküle nicht nur überleben, sondern weiter zunehmen.

Die Moleküle, die ALMA nachwies, sind bedeutend reichlicher vorhanden, als wenn man sie in interstellaren Wolken gefunden hätte. Das zeigt Astronomen, dass protoplanetare Scheiben sehr effizient komplexe organische Moleküle bilden und dass sie in der Lage sind, dies innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne zu tun [3].

Die Astronomen nehmen daher an, dass organische Moleküle, die in Kometen und anderen Eiskörpern sicher eingeschlossen werden, auch in andere, lebensfreundlichere Umgebungen transportiert werden können, während sich das System weiterentwickelt.

“Aus den Beobachtungen von Exoplaneten wissen wir, dass das Sonnensystem in ihrer Anzahl an Planeten und Reichhaltigkeit an Wasser nicht einzigartig ist“, schließt Öberg ab. „Jetzt wissen wir, dass wir mit unseren organischen Eigenschaften nicht einzigartig sind. Ein weiteres Mal haben wir gelernt, dass wir nicht besonders sind. Aus Sicht des Lebens im Universum sind das tolle Neuigkeiten.“

Endnoten

[1] Dieser Stern ist gerade einmal eine Million Jahre alt. Zum Vergleich: Die Sonne ist mehr als vier Milliarden Jahre alt. Der Name MWC 480 bezieht sich auf den Mount-Wilson-Katalog von B- und A-Sternen, die helle Wasserstofflinien in ihren Spektren haben.

[2] ALMA ist in der Lage lichtschwache Strahlung mit Wellenlängen im Millimeterbereich zu erfassen, die normalerweise von Molekülen im Weltraum emittiert wird. Für diese jüngsten Beobachtungen nutzten die Astronomen nur einen Teil von ALMAs 66 Antennenschüsseln, als sich das Observatorium in einer Konfiguration mit niedrigerer Auflösung befand. Weitere Beobachtungen von dieser und anderen protoplanetaren Scheiben mit ALMAs voller Leistungsfähigkeit werden zusätzliche Details über die chemische und strukturelle Evolution von Sternen und Planeten zutage bringen.

[3] Diese schnelle Bildung ist vonnöten, um den Kräften zuvorzukommen, die ansonsten die Moleküle auseinanderbrechen lassen würden. Diese Moleküle wurden außerdem in einem relativ ruhigen Teil der Scheibe nachgewiesen, schätzungsweise etwa 4,5 bis 15 Milliarden Kilometern vom Zentralgestirn entfernt. Obwohl das verglichen mit unserem Sonnensystem sehr weit von Stern entfernt wäre, würde dieser Bereich im Maßstab von MWC 480 genau in der Zone liegen, in der sich Kometen bilden.

Zusatzinformationen

Die hier vorgestellten Ergebnisse von K.I. Öberg et al. erscheinen am 9. April 2015 unter dem Titel „The Cometary Composition of a Protoplanetary Disk as Revealed by Complex Cyanides ” in der Zeitschrift Nature.

Die beteiligten Wissenschaftler sind Karin I. Öberg (Harvard-Smithsonian Centre for Astrophysics, Cambridge, Massachusetts, USA), Viviana V. Guzmán (Harvard-Smithsonian Centre for Astrophysics), Kenji Furuya (Leiden Observatory, Leiden University, Leiden, Niederlande), Chunhua Qi (Harvard-Smithsonian Centre for Astrophysics), Yuri Aikawa (Kobe University, Kobe, Japan), Sean M. Andrews (Harvard-Smithsonian Centre for Astrophysics), Ryan Loomis (Harvard-Smithsonian Centre for Astrophysics) und David J. Wilner (Harvard-Smithsonian Centre for Astrophysics).

Das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) ist eine internationale astronomische Einrichtung, die gemeinsam von der ESO, der US-amerikanischen National Science Foundation (NSF) der USA und den japanischen National Institutes of Natural Sciences (NINS) in Kooperation mit der Republik Chile betrieben wird. Getragen wird ALMA von der ESO im Namen ihrer Mitgliedsländer, von der NSF in Zusammenarbeit mit dem kanadischen National Research Council (NRC), dem taiwanesischen National Science Council (NSC) und NINS in Kooperation mit der Academia Sinica (AS) in Taiwan sowie dem Korea Astronomy and Space Science Institute (KASI).

Bei Entwicklung, Aufbau und Betrieb agiert die ESO für ihre Mitgliedsländer, das National Radio Astronomy Observatory (NRAO), das seinerseits von Associated Universities, Inc. (AUI) betrieben wird, für den nordamerikanischen Beitrag und das National Astronomical Observatory of Japan (NAOJ) für den ostasiatischen Beitrag. Dem Joint ALMA Observatory (JAO) obliegt die übergreifende Projektleitung für den Aufbau, die Inbetriebnahme und den Beobachtungsbetrieb von ALMA.

Die Europäische Südsternwarte (engl. European Southern Observatory, kurz ESO) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch 16 Länder: Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz und die Tschechische Republik. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO verfügt über drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Chile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf dem Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts und zwei Teleskope für Himmelsdurchmusterungen: VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt, arbeitet im Infraroten, während das VLT Survey Telescope (VST) für Himmelsdurchmusterungen ausschließlich im sichtbaren Licht konzipiert ist. Die ESO ist einer der Hauptpartner bei ALMA, dem größten astronomischen Projekt überhaupt. Auf dem Cerro Armazones unweit des Paranal errichtet die ESO zur Zeit das European Extremely Large Telescope (E-ELT) mit 39 Metern Durchmesser, das einmal das größte optische Teleskop der Welt werden wird.

Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsländern (und einigen weiteren Staaten) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.

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Dr. Carolin Liefke Max-Planck-Institut für Astronomie

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