Von kleinen Wirbelflecken zur Turbulenz

Turbulente Szenen in einem Wasserrohr: ein Wirbelfleck spaltet sich in zwei (von links nach rechts). MPI for Dynamik und Selbstorganisation<br>

Turbulenz ist ein bislang weitgehend ungeklärtes Phänomen, das von immenser Bedeutung für eine Vielzahl von Anwendungen ist. Eine besonders wichtige Anwendung ist der Transport von Flüssigkeiten und Gasen durch Rohre. Hier sind Turbulenzen unerwünscht, denn sie kosten viel Energie, beispielsweise beim Transport von Öl durch Pipelines.

An der grundlegenden Frage, bei welcher Fließgeschwindigkeit sich erstmalig Turbulenzen in einer gleichmäßig strömende Flüssigkeit ausbreiten können, haben sich Fluiddynamiker seit über einem Jahrhundert die Zähne ausgebissen. Nun haben Forscher um Björn Hof vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen dieses Rätsel gelöst.

Sie untersuchten kleine Wirbel, die entweder absterben oder sich teilen und so als Keime für größere Turbulenzen wirken. Die Forscher bestimmten die Geschwindigkeit der Flüssigkeit, bei der mehr Wirbel neu entstehen als wieder verschwinden und somit den Umkipppunkt zur Turbulenz.

Für viele Typen von Strömungen haben Wissenschaftler im letzten Jahrhundert herausgefunden, bei welchem Fließtempo die gleichmäßige Strömung anfällig für kleinste Störungen wird und plötzlich in eine turbulente Strömung umkippt. Bei Rohrströmungen allerdings funktioniert diese Methode nicht, da hier Turbulenzen nur auftreten, wenn schon eine kleine Verwirbelung in der Strömung vorhanden ist. Solche Wirbelflecken entstehen schon an kleinen Unebenheiten der Rohrwand und können sich dann entweder ausbreiten oder auch wieder absterben.

Wirbelflecken, müssen über eine weite Fließstrecke im Rohr beobachtet werden, um ihr Werden und Vergehen zu studieren. Das Umkippen ist ein zudem statistischer Prozess, was das Experiment erschwert. „Es ist vergleichbar mit der Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit“, sagt Björn Hof vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen. Bei einer Epidemie gibt es zwei gegenläufige Effekte: die Häufigkeit, mit der Menschen sich gegenseitig anstecken und andererseits das Tempo der Heilung. Je nachdem, welcher der beiden konkurrierenden Prozesse stärker ist, breitet sich die Epidemie aus oder nicht. Dies ist bei der Turbulenzentstehung ähnlich. Die konkurrierenden Effekte sind das Aufspalten von Wirbelflecken, deren Anzahl dadurch zunimmt und das selbstständige Verschwinden der Flecken.

Wegen der statistischen Natur der Turbulenzentstehung müssen sehr viele Beobachtungen gemacht werden, um eine quantitative Aussage machen zu können. Beide Probleme haben die Göttinger Forscher gelöst. Zum einen haben sie die Wirbel in einem 15 Meter langen Rohr mit vier Millimeter Durchmesser beobachtet. Zum anderen haben sie rund 1000000 Messungen gemacht. Sie erzeugten am Anfang der Strecke einen Wirbel-Fleck und bestimmten mit Hilfe von Drucksensoren bei verschiedenen Fließgeschwindigkeiten, ob sich dieser Wirbel auf der Messstrecke aufspaltete oder ob er von selbst wieder verschwand.

Für jede dieser Geschwindigkeiten konnten sie jeweils die Wahrscheinlichkeit angeben, mit der sich ein Wirbelfleck teilt oder mit der er verschwindet.

Erstere Wahrscheinlichkeit wächst mit dem Tempo, letztere nimmt mit der Fließgeschwindigkeit ab. Es gibt einen Punkt, wo die beiden Wahrscheinlichkeiten sich gleichen. Geht man von dort zu größeren Geschwindigkeiten, entstehen deutlich mehr neue Wirbel als alte verschwinden. Es ergibt sich eine Art Lawineneffekt und die Turbulenz bricht sich ihre Bahn. Dieser Punkt ist der gesuchte Umkipppunkt. Die Forscher simulierten ihr Experiment darüber hinaus im Computer, wobei sie eine exzellente Übereinstimmung mit den Messergebnissen feststellten.

Aus dem Durchmesser, der Fließgeschwindigkeit und der Viskosität des Wassers, einem Maß für die innere Reibung der Flüssigkeit, ergibt sich eine Kennzahl, die so genannte Reynolds-Zahl. Die Reynolds-Zahl wächst mit der Fließgeschwindigkeit an. Dem Umkipppunkt entspricht ein bestimmter Wert dieser Zahl, den Experten die kritische Reynolds-Zahl nennen. Diesen Wert bestimmten die Göttinger Forscher mit einer Genauigkeit von 10 auf 2040. Mithilfe des Wertes für die kritische Reynolds-Zahl lässt sich der Umkipppunkt auch für andere Flüssigkeiten ermitteln. „Unsere Ergebnisse sind ein wichtiger Schritt hin zu einem besseren Verständnis, wie Turbulenzen im allgemeinen in Scherströmungen, die nicht nur in Rohren, sondern auch um Autos oder Flugzeuge auftreten, entstehen“, sagt Hof. Ein solches Verständnis könnte genutzt werden, um Techniken zu entwickeln, die Turbulenzen mit geringem Energieaufwand im Keim ersticken.

Dies könnte viel Energie sparen. So könnte etwa der Druck, mit dem Öl durch Pipelines gepresst wird, beim Ausbleiben von Turbulenzen deutlich vermindert werden. „Allerdings müssen wir den Mechanismus wie sich Wirbelflecken aufspalten noch besser verstehen, damit wirksame Kontrolltechniken entwickelt werden könnten“, räumt Hof ein. „Aber wir arbeiten mit Nachdruck daran, diese Mechanismen besser zu verstehen“, so Hof. Als sehr wichtig stuft er eine grundlegende Erkenntnis ein, die das Experiment gebracht habe. „Wir konnten zeigen, dass die Turbulenzentstehung im Rohr zu einer bestimmten Klasse von Übergängen, den so genannten Nichtgleichgewichts-Phasenübergängen, gehört“, sagt Hof.

Originalveröffentlichung:
Kerstin Avila, David Moxey, Alberto de Lozar, Marc Avila, Dwight Barkley,
Björn Hof
The Onset of Turbulence in Pipe Flow
Science, 10.1126/science.1203223
Kontakt:
Dr. Björn Hof
Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen
Tel.: +49 551 5176-510
E-Mail: bjoern.hof@ds.mpg.de

Media Contact

Dr Harald Rösch Max-Planck-Institut

Weitere Informationen:

http://www.ds.mpg.de

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