Größe von Bor-Isotopen bestimmt – Forschung zwischen Kern- und Atomphysik

Ionisationsregion, in der der Atomstrahl mit dem Laser überlagert und ionisiert wird, mit eingeschaltetem Lasersystem. Kristian König

Die Qualität von Kernmodellen wird am besten getestet, indem ein Experiment die theoretische Vorhersage überprüft. Je präziser ein Experiment und die entsprechende Theorie sind, desto signifikanter wird die Aussage:

Übereinstimmungen zwischen Experiment und Theorie weisen auf ein korrekteres Modell hin; Abweichungen hingegen können Indizien liefern, welche Effekte in der Theorie möglicherweise noch nicht ausreichend berücksichtigt wurden.

Die Berechnung der Eigenschaften eines Atomkerns stellt ein hochkomplexes Problem dar. Lösungsansätze dazu befinden sich noch immer in rasanter Entwicklung. Nur für die leichtesten Kerne können vollständige Rechnungen ausgehend von individuellen Kernbausteinen (ab initio) durchgeführt werden.

In dem jüngst durchgeführten hochpräzisen atomphysikalischen Experiment an der TU Darmstadt wurde erstmals die Isotopieverschiebung der Ladungsradien der beiden stabilen Bor-Isotope 10B und 11B gemessen, also die Verschiebung zwischen den charakteristischen Spektrallinien, die die beiden Isotope aussenden. Der so gewonnene Wert ist etwas größer, als der, den theoretische Kernphysiker der TU Darmstadt und des Argonne National Laboratory (ANL) in Chicago in präzisen Berechnungen ermittelt hatten.

Die Experimente wurden im Rahmen des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1245 am Institut für Kernphysik der TU Darmstadt von einem Team um Professor Wilfried Nörtershäuser durchgeführt. Dabei wurden mit hochpräzisen Lasersystemen Atome der stabilen Borisotope, deren Kerne entweder aus 10 (10B) oder 11 (11B) Kernbausteinen aufgebaut sind, ionisiert.

Ein winziger Teil (5*10-9) der für die Laseranregung benötigten Frequenz hängt von der Größe des Atomkerns ab. Die präzise Messung des Frequenzunterschieds zwischen Bor-10 und Bor-11 erlaubt es, den Unterschied von deren Kerngrößen zu bestimmen. Dazu ist es jedoch notwendig, alle anderen Einflüsse, welche 99.9 Prozent des Frequenzunterschiedes verursachen, sehr genau zu berechnen. Ein Forscherteam aus Polen hat sich dieser Aufgabe angenommen und erstmals die Isotopieverschiebung für Systeme mit fünf Elektronen präzise theoretisch ermittelt.

Professor Robert Roth von der TU Darmstadt und ein weiteres Team von theoretischen Kernphysikern am Argonne National Laboratory in den USA haben ihre fortschrittlichen Kernmodelle verwendet, um parallel die Radien der beiden Isotope zu berechnen und mit den neuen experimentellen Werten zu vergleichen.

„Unsere Arbeit demonstriert in besonderer Weise, wie die Verzahnung verschiedener Fachgebiete der Physik neue Erkenntnisse hervorbringt“, erläutert Bernhard Maaß, Doktorand am SFB 1245 und Erstautor der Studie: „Ohne die präzisen atomphysikalischen Berechnungen unserer polnischen Kollegen wäre die Genauigkeit unseres Experiments wertlos gewesen, und die Fortschritte in der theoretischen Kernstrukturphysik machen das Resultat auch für die Kernphysik interessant.“

Die Ergebnisse sind ermutigend für ein weiteres, wesentlich umfangreicheres Experiment, welches derzeit von der Forschergruppe mit weiteren Kollegen am ANL aufgebaut wird. Dieses hat zum Ziel, analoge Messungen an dem exotischen Borisotop 8B durchzuführen, welches nicht in der Natur vorkommt, da es bereits nach wenigen Millisekunden radioaktiv zerfällt.

Dieses Radioisotop, das nur am ANL in ausreichenden Mengen erzeugt werden kann, besitzt eine besondere Struktur: Eines der Protonen umkreist den Kern in einem großen Abstand. Dadurch wird der Kernradius vergrößert, was sich im Experiment in einer starken Verschiebung der Übergangsfrequenz zeigen sollte. Die genaue Bestimmung dieses Radius wird es den theoretischen Kernphysikern erlauben, ihre Berechnungen an einem exotischen Atomkern zu testen, dessen Struktur gegenwärtig noch nicht gut verstanden ist.

Die Veröffentlichung:
https://bit.ly/2HgwHpR

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MI-Nr. 29/2019, Nörtershäuser/sip

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Tel.: 06151/16-23575
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https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.122.182501

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