Auf frischer Tat ertappt: Herschel entdeckt gigantische Stürme, die ganze Galaxien leerfegen

Diese Illustration zeigt eine sehr leuchtstarke Infrarot-Galaxie (ULIRG) mit massereichen Winden aus molekularem Gas. Bild: ESA/AOES Medialab <br>

Die Beobachtungen zeigen, dass Galaxien mit den aktivsten Kernen die stärksten Winde haben, die den gesamten Gasnachschub einer Galaxie wegblasen können und so sowohl der weiteren Sternentstehung als auch dem Anwachsen des Schwarzen Lochs im Zentrum einen Riegel vorschieben. Dieses Ergebnis ist der erste systematische Nachweis der Bedeutung galaktischer Winde für die Entwicklung von Galaxien.

Weit entfernte Galaxien im frühen Universum zeigen viel mehr Aktivität als unsere Milchstraße heute. Erklärt wird dies in gängigen Entwicklungsmodellen dadurch, dass gasreiche Galaxien verschmelzen, was nicht nur zu erhöhter Sternentstehung führt (so genannte „Starburst“-Galaxien) sondern auch das Schwarze Loch im Zentrum anwachsen lässt. Plötzlich hört diese erhöhte Aktivität aber auf; in nur wenigen Millionen Jahren sinkt die Sternentstehungsrate rapide und auch das Schwarze Loch wächst nicht mehr weiter. In dieser – für kosmische Verhältnisse – kurzen Zeitspanne müssen gewaltige Mengen Rohmaterial, etwa eine Milliarde Sonnenmassen, aus der Galaxie entfernt werden; doch welche physikalischen Prozesse sind hierfür verantwortlich?

Eine Lösung für dieses Rätsel könnten extrem starke, massereiche Winde sein, die das Gas förmlich aus den Zentren der Galaxien herausblasen. Angetrieben von neu gebildeten Sternen, den Schockfronten von Sternexplosionen oder auch dem Schwarzen Loch im Zentrum einer Galaxie könnten sie den Gasnachschub praktisch vollständig aus einer Galaxie entfernen und so genau die Aktivitäten zum Erliegen bringen, durch die sie überhaupt erst entstanden sind.

„Dass Galaxien molekulares Gas – und damit das Rohmaterial für die Sternentstehung – in gewaltigen Winden regelrecht wegblasen, ist ein essentieller Bestandteil in den Modellen zur Galaxienentstehung und -entwicklung, aber vor unseren Beobachtungen gab es keine eindeutigen Beweise dafür“, erklärt Eckhard Sturm vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE). Ein internationales Wissenschaftlerteam unter der Leitung von Sturm beobachtete einige besonders leuchtkräftige Infrarot-Galaxien mit dem PACS-Instrument an Bord des Herschel-Weltraumobservatoriums und entdeckte dabei die starken Winde aus kaltem, molekularem Gas. Bisherige Beobachtungen beschränkten sich weitgehend auf neutrales und ionisiertes Gas, das nicht direkt an der Sternentstehung beteiligt ist.

„Mit diesem Nachweis von starken galaktischen Winden, die das kalte, molekulare Gas aus der Galaxie entfernen, können wir endlich direkt ihren Einfluss auf die Entstehung von Sternen beobachten“, ergänzt Sturm. „Der Nachschub für weitere Sternentstehung gerät damit sehr schnell ins Stocken – die Winde blasen bis zu tausend Sonnenmassen pro Jahr aus den Zentren der Galaxien heraus.“

Diese Beobachtungen zeigen damit nicht nur einen Zwischenschritt in der Galaxienentwicklung, von Scheibengalaxien mit vielen jungen Sternen und einem hohen Gasanteil hin zu elliptischen Galaxien mit alten Sternpopulationen und wenig Gas. Sie erklären auch eine weitere empirische Beobachtung: Die Masse des Schwarzen Lochs im Zentrum einer Galaxie und die Masse der Sterne im inneren Bereich der Galaxie scheinen korreliert zu sein. Eine solche Korrelation wäre eine natürliche Folge der jetzt gefundenen galaktischen Winde, da diese das gemeinsame Gasreservoir entfernen und somit sowohl die Sternentstehung als auch das Wachstum des Schwarzen Lochs unterbinden.

„Die Empfindlichkeit von Herschel erlaubt es uns zum ersten Mal diese gewaltigen galaktischen Stürme nachzuweisen“, sagt Mitautor Albrecht Poglitsch, der die Entwicklung des PACS-Instruments am MPE leitete. „Damit können wir nun auch zeigen, dass sie stark genug sein könnten, um die weitere Produktion von Sternen komplett einzustellen.“

Die Beobachtungen reichen noch nicht aus, die treibende Kraft hinter diesen Winden definitiv zu bestimmen. Allerdings scheint es zwei Kategorien zu geben: Galaxien mit starker Sternentstehung („Starburst“-Galaxien) verlieren bis zu einigen hundert Sonnenmassen an Gas pro Jahr, einer Menge, die ungefähr auch ihrer Sternentstehungsrate entspricht. Mit Geschwindigkeiten von einigen hundert Kilometern pro Sekunde werden diese Winde wahrscheinlich vom Strahlungsdruck der Sterne und Sternexplosionen angetrieben. Galaxien, die durch das Schwarze Loch in ihrem Zentrum dominiert werden, verlieren sehr viel mehr Material, bis zu tausend Sonnenmassen pro Jahr und mehr; ihre Winde mit Geschwindigkeiten von etwa tausend Kilometern pro Sekunde werden wahrscheinlich hauptsächlich durch den Strahlungsdruck des aktiven Galaxienkerns verursacht. Um diese ersten Ergebnisse zu bestätigen und andere Eigenschaften der Winde zu klären, werden die Herschel-PACS Beobachtungen bei einer größeren Anzahl Galaxien fortgesetzt.

Originalveröffentlichung:
„Massive molecular outflows and negative feedback in ULIRGs observed by Herschel-PACS”, E. Sturm et al., ApJL, Vol. 733, page L16

http://iopscience.iop.org/2041-8205/733/1/L16

Anmerkungen:
Geleitet vom MPE in Garching, wurde PACS durch ein Konsortium entwickelt, dem auch folgende Institute angehören: UVIE (Österreich); KU Leuven, CSL, IMEC (Belgien); CEA, LAM (Frankreich); MPIA (Deutschland); INAF-IFSI/OAA/OAP/OAT, LENS, SISSA (Italien); IAC (Spanien). Diese Instrumentenentwicklung wurde gefördert durch BMVIT (Österreich), ESA-PRODEX (Belgien), CEA/CNES (Frankreich), DLR (Deutschland), ASI/INAF (Italien), und CICYT/MCYT (Spanien).

Kontakt:

Dr. Hannelore Hämmerle
Pressesprecherin
Max-Planck-Institut für exterrestrische Physik
Tel: 089 30000 3980
Hannelore.haemmerle@mpe.mpg.de
Dr. Eckhard Sturm
Infrarot-/Submillimeter-Astronomie Gruppe
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik
Tel.: 089 30000-3806
E-Mail: sturm@mpe.mpg.de
Dr. Albrecht Poglitsch
Infrarot-/Submillimeter-Astronomie Gruppe
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik
Tel.: 089 30000-3293
E-Mail: alpog@mpe.mpg.de

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Dr. Hannelore Hämmerle Max-Planck-Institut

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