Freiburger Teilchenphysiker belohnt für jahrzehntelange Arbeit

Ein Bild vom Atlas-Detektor als Kunst am Bau in leuchtenden Farben auf einer Wand des Gebäudes zum Atlas-Experiment. Foto: Universität Freiburg

Bei der heutigen Pressekonferenz am europäischen Forschungszentrum für Elementarteilchenphysik CERN in Genf/Schweiz wurde deutlich, dass es aufgrund neuester Ergebnisse von den ATLAS- und CMS-Experimenten bei der Suche nach dem Higgs-Teilchen starke Anzeichen für die Existenz eines neuen Teilchens mit einer Masse von etwa 126 Giga-Elektronenvolt gibt.

Die neuen Ergebnisse am ATLAS-Experiment beruhen auf jahrzehntelangen, sehr erfolgreichen Anstrengungen aller 3.000 Mitglieder aus 38 Ländern bei Konzeption, Bau und Betrieb des ATLAS-Detektors und der Datenverarbeitung und -analyse.

Die Arbeitsgruppen der Physikprofessoren Gregor Herten und Karl Jakobs haben seit Beginn des ATLAS-Projekts in den 1990er Jahren mit dem Myonspektrometer und dem hochauflösenden Siliziumspurdetektor maßgebliche Beiträge zum Bau und zur Inbetriebnahme zweier sehr wichtiger Detektorkomponenten geleistet. Die enorme Datenflut von drei PetaByte pro Jahr wird mit Hilfe des GRID-Computing verarbeitet, bei dem die Freiburger Universität unter Verantwortung von Prof. Dr. Markus Schumacher ein so genanntes TIER2-Zentrum betreibt.
Die beobachteten Daten können nicht durch Fluktuationen des Untergrunds erklärt werden. Die entsprechende Wahrscheinlichkeit ist kleiner als eins zu einer Million. Einiges spricht dafür, dass es sich um das seit langem gesuchte Higgs-Teilchen handelt. Der 4. Juli 2012 markiert einen Meilenstein in der Geschichte der Teilchenphysik und ist der Aufbruch in eine neue Ära des Verständnisses der fundamentalen Struktur der Materie, darüber sind sich die Freiburger Professoren für Teilchenphysik einig.

Die Freiburger Teilchenphysiker Karl Jakobs und Markus Schumacher suchen mit ihren Arbeitsgruppen bereits seit vielen Jahren nach dem Higgs-Teilchen und haben die Forschungsarbeiten innerhalb der internationalen ATLAS-Kollaboration viele Jahre geleitet. Ihre 27 Postdocs, Doktorandinnen und Doktoranden sowie Diplomandinnen und Diplomanden haben auf unterschiedlichen Gebieten essentiell zu der Suche beigetragen. „Es ist großartig und bewegend, wenn man nach so vielen Jahren am Ziel ankommt und gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen Anzeichen für ein neues Teilchen sieht. Unabhängig davon, ob es sich um das lange gesuchte Higgs-Teilchen oder gar um etwas gänzlich Unerwartetes handelt. Beides wären große Entdeckungen“, sagt Karl Jakobs. „Die faszinierende Entdeckung eines neuen Phänomens ist sehr aufregend, aber nur der erste Schritt. Nun müssen die Eigenschaften des neuen Teilchens genau erforscht werden, um zu klären, ob man wirklich einem Higgs-Teilchen und falls ja, dem der Standardtheorie oder eines erweiterten Modells auf der Spur ist“, sagt Markus Schumacher „Nach dem jetzigen Meilenstein liegt wiederum eine sehr spannende und richtungsweisende Zeit in den nächsten Jahren vor uns.“

Für diese weiterführenden Untersuchungen sind weitere Messdaten und mehr Zeit notwendig. In den beiden Freiburger Gruppen wird schon länger intensiv an dieser Thematik geforscht. Somit sind sie hervorragend positioniert, die Natur des neu entdeckten Teilchens in der Zukunft aufzuklären. Durch die Beobachtung des neuen Teilchens eröffnet sich für die Teilchenphysik ein neues Fenster zur Suche nach Phänomenen, die über das Standardmodell hinausgehen. Eine mögliche Erweiterung ist die Theorie der Supersymmetrie (SUSY), die ein leichtes Higgs-Teilchen und eine Vielzahl neuer Teilchen vorhersagt.

Nach Hinweisen auf diese SUSY-Teilchen suchen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arbeitsgruppen Herten und Jakobs bereits seit mehreren Jahren. Für die Interpretation des beobachteten Überschusses und zur Klärung der Frage der Natur des neuen Teilchens ist eine enge Zusammenarbeit mit theoretischen Physikern unerlässlich. Die Freiburger Theoretiker Prof. Dr. Stefan Dittmaier und Prof. Dr. Jochum van der Bij liefern Präzisionsvorhersagen für die Erzeugung und den Zerfall des Higgs-Teilchens und entwickeln alternative Higgs-Modelle jenseits der Standardtheorie. „Die Entdeckung ist richtungsweisend, gerade im Hinblick auf die Suche nach einer allumfassenden Theorie. Handelt es sich bei der Beobachtung wirklich um das Higgs-Teilchen, so wäre dies ein Triumph der Präzisionsphysik an Teilchenbeschleunigern, die in den vergangenen Jahrzehnten von experimentellen und theoretischen Teilchenphysikern zusammen betrieben wurde“, sagt Dittmaier. „Nach rund 40 Jahren würde das Higgs-Postulat zum Faktum. Um dies zu zeigen, war ein langer Atem nötig.“

Kontakt:
Prof. Dr. Markus Schumacher
Physikalisches Institut
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: +49(0)761/203-7612
E-Mail: markus.schumacher@physik.uni-freiburg.de

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