Eine Frage der Anziehung

Wasser ist mehr als H2O – zumindest auf atomarer Ebene. Einige der Moleküle scharen sich in Gruppen zusammen, andere zerfallen in kleinere, elektrisch geladene Einheiten.

Eine Verbindung, die bisher nur in Rechnungen vorhergesagt wurde, hat ein Team von Wissenschaftlern vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, dem Elektronenspeicherring BESSY, der Universität in Uppsala, sowie dem Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie und der Freien Universität in Berlin erstmals nachgewiesen. Sie fanden heraus, wie sich OH-Ionen aus Sauer- und Wasserstoff mithilfe ihres Wasserstoff-Atoms an benachbarte Wassermoleküle hängen können.

Wassermoleküle gruppieren sich in der Regel zu dritt oder zu viert. Verantwortlich für dieses Verhalten ist in erster Linie die elektrische Anziehung. Denn obwohl ein Wassermolekül als Ganzes keine Ladung trägt, ist sein Sauerstoff-Atom negativer geladen als die beiden Wasserstoff-Atome. Das Molekül besitzt deshalb ausgeprägte elektrische Pole – und somit die Fähigkeit, andere Wassermoleküle anzuziehen. Wissenschaftler bezeichnen solche Verbindungen als Wasserstoffbrücken.

Doch Wassermoleküle neigen nicht nur zur Grüppchenbildung. Einige zerfallen in ein positiv geladenes Wasserstoff-Ion und eine negativ geladenes Molekül aus einem Wasserstoff- und einem Sauerstoff-Atom, das Hydroxid-Ion. Dieses Teilchen gibt Forschern seit Jahrzehnten Rätsel auf.

„Das Hydroxid-Ion bewegt sich etwa fünfmal so schnell durch das umgebende Wasser wie gelöste Salz-Ionen“, sagt Manfred Faubel vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation. Eine Erklärung für dieses Phänomen gab es bisher nicht. Seit einigen Jahren jedoch vermuten Wissenschaftler, dass die Art, wie das Hydroxid-Ion Wasserstoffbrücken knüpft, entscheidend sein könnte.

Einer Theorie zufolge kann das Hydroxid-Ion eine Wasserstoffbrücke nur über sein Sauerstoff-Atom eingehen. Das nötige Wasserstoff-Atom liefert das Wassermolekül. Die Forscher um Emad F. Aziz vom BESSY haben jetzt mit ihrem Experiment den umgekehrten Mechanismus entdeckt: Das Hydroxid-Ion kann auch sein eigenes Wasserstoff-Atom für eine solche Bindung zur Verfügung stellen.

Auf diese Weise entsteht ein ganzer Verbund von Wassermolekülen, die sich um das Hydroxid-Ion gruppieren. Innerhalb dieser Struktur kann sich das Ion blitzschnell fortbewegen – ohne wirklich seinen Platz zu verlassen. Denn nicht die Atome selbst bewegen sich. Nur die Bindungen zwischen Wasserstoff und Sauerstoff verlagern sich so, dass das ursprüngliche Hydroxid-Ion zum Wassermolekül und ein Wassermolekül zum Hydroxid-Ion wird.

Um diese Struktur aufzuspüren, lenkten die Forscher in ihrem Experiment die intensiven Röntgenstrahlen, die im Elektronenspeicherring BESSY entstehen, auf einen dünnen Wasserstrahl. In einer Art Kettenreaktion, die nur den Billiardsten Teil einer Sekunde dauert, katapultieren die Röntgenstrahlen mehrere Elektronen aus den Molekülen heraus. Diese Elektronen waren der Schlüssel zum Erfolg: Denn ihre Energie verrät Details über das Molekül oder Ion, zudem sie zuvor gehörten, und ermöglicht den Forschern somit einen Blick tief in die atomare Struktur des Wassers.

„Entscheidend bei dem Versuchsaufbau war es, einen Wasserstrahl zu erzeugen, der etwa 20-mal so dünn war wie ein einzelnes Haar“, erklärt Faubel. Denn nur so konnten die Forscher Elektronen untersuchen, die direkt an der Wasseroberfläche entstanden waren und somit nicht die Gelegenheit hatten, mit anderen Molekülen zu reagieren. Dies hätte die Messwerte verfälscht.

Das Verhalten des Hydroxid-Ions in Wasser ist für fast alle Anwendungen aus Chemie und Biochemie von entscheidender Bedeutung. Zusammen mit seinem Gegenspieler, dem positiv geladenen Wasserstoff-Ion, bestimmt es etwa den pH-Wert von Lösungen und ist somit selbst im Alltagsleben in Seifen, Säften und im sauren Regen allgegenwärtig.

Media Contact

Dr. Birgit Krummheuer idw

Weitere Informationen:

http://www.ds.mpg.de/

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