Erklärung für rätselhafte Quantenoszillationen gefunden

Zehn Atome schwingen zwischen dem Grundzustand (schwarz) und dem angeregten Zustand (weiß) hin und her. Oben: verschiedenen Wahrscheinlichkeiten der individuellen Konfigurationen im Laufe der Zeit. IST Austria/Maksym Serbyn

Forschern der Harvard Universität und des MIT war es vor kurzem gelungen, eine Rekordzahl von 53 Atomen einzufangen und ihren Quantenzustand einzeln zu steuern, wodurch sie einen so genannten Quantensimulator realisierten. Ihre Experimente mit diesem System, die im Juli 2017 auf einer Konferenz in Triest vorgestellt wurden, zeigten periodische Oszillationen in der Dynamik der wechselwirkenden Atome, die völlig unerwartet waren.

Nun hat ein internationales Forscherteam das Geheimnis dieser bisher unerklärlichen Oszillationen gelöst. Die Forscher, darunter Alexios Michailidis und Maksym Serbyn vom Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) sowie ihre Kollegen von der Universität Leeds und der Universität Genf, schlugen eine theoretische Erklärung vor, die das Konzept von Quanten-Vielteilchen -„Scars“ einführt. Sie verändern damit unsere Auffassung der Dynamik, die in Quanten-Vielteilchensystemen möglich ist.

Stellen Sie sich einen Ball vor, der in einem ovalen Stadion herumspringt. Er wird chaotisch durch den verfügbaren Raum springen, und da seine Bewegung zufällig ist, wird er früher oder später jeden Ort im Stadion besucht haben. In all dem Chaos kann jedoch Ordnung herrschen: Trifft der Ball zufällig an der richtigen Stelle und im richtigen Einfallswinkel auf die Wand, kann er in einer periodischen Umlaufbahn landen.

Auf ihr besucht er immer wieder dieselben Stellen und lässt die anderen aus. Solch eine periodische Bahn ist extrem instabil, da bereits die geringste Störung ausreichen kann, um den Ball von seiner Bahn abzulenken und ins Chaos zurückzuschicken.

Dasselbe Prinzip ist auch auf Quantensysteme anwendbar, nur dass anstelle des Balls eine Welle vorliegt, und statt der Bahn eine Wahrscheinlichkeitsfunktion. Klassische periodische Umlaufbahnen können nun bewirken, dass eine Quantenwelle in der Nähe des Orbits konzentriert wird, und das führt in der ansonsten gleichförmigen Wahrscheinlichkeit zu einer charakteristischen Struktur.

Solche Prägungen klassischer Bahnen auf die Wahrscheinlichkeitsfunktion werden “quantum scars”, also „Quantennarben“ genannt. Bisher ging man davon aus, dass das Phänomen nur bei einzelnen Quantenteilchen auftritt, da die Komplexität des Systems mit jedem zusätzlichen Teilchen dramatisch ansteigt und periodische Umlaufbahnen dabei immer unwahrscheinlicher werden.

„Im Allgemeinen nahm man an, dass es für Vielteilchensysteme unmöglich sei, Quantennarben zu haben, und als man die Schwingungen zum ersten Mal sah, konnten niemand sie erklären“, sagt Maksym Serbyn, Professor am IST Austria und Co-Autor der Studie. „Indem wir das Konzept der Quantennarben auf Quanten-Vielteilchensysteme erweitert haben, konnten wir erklären, warum diese Oszillationen da sind“, fügt er hinzu.

In der Studie, die heute in Nature Physics veröffentlicht wurde, erklären die Forscher die experimentelle Beobachtung mit dem Auftreten von Quanten-Vielteilchen-Scars. Sie identifizieren auch den instabilen periodischen Vielteilchen-Orbit, der hinter dem Verhalten steckt: es ist die kohärente Oszillation von Atomen zwischen dem angeregten Zustand und dem Grundzustand.

Man kann man sich die Quanten-Vielteilchen-Scars als einen Teil des Raums vorstellen, der gewissermaßen vom Chaos „abgeschirmt“ ist, was zu einer viel langsameren Relaxation, also einer langsameren Rückkehr zum Chaos führt. Mit anderen Worten: Das System braucht länger, um zum Chaos zurückzukehren.

„Wir wissen immer noch nicht, wie häufig Quanten-Vielteilchen-Scars sind, aber wir haben ein Beispiel gefunden, und das ist ein Paradigmenwechsel“, sagt Serbyn. Aber es gibt noch viel zu klären. „Wir verstehen noch nicht alle Eigenschaften von Vielkörper-Quanten-Narben, aber es ist uns gelungen, die Daten zu erklären. Wir hoffen, dass eine bessere Kenntnis der Quantennarben eine Möglichkeit bietet, Quantensysteme vor der Relaxation zu schützen.“

Originalpublikation:
Weak ergodicity breaking from quantum many-body scars, C. J. Turner, A. A. Michailidis, D. A. Abanin, M. Serbyn & Z. Papić, Nature Physics (2018), doi:10.1038/s41567-018-0137-5
https://www.nature.com/articles/s41567-018-0137-5

Über das IST Austria
Das Institute of Science and Technology (IST Austria) in Klosterneuburg ist ein Forschungsinstitut mit eigenem Promotionsrecht. Das 2009 eröffnete Institut widmet sich der Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften, Mathematik und Computerwissenschaften. Das Institut beschäftigt ProfessorInnen nach einem Tenure-Track-Modell und Post-DoktorandInnen sowie PhD StudentInnen in einer internationalen Graduate School. Neben dem Bekenntnis zum Prinzip der Grundlagenforschung, die rein durch wissenschaftliche Neugier getrieben wird, hält das Institut die Rechte an allen resultierenden Entdeckungen und fördert deren Verwertung. Der erste Präsident ist Thomas Henzinger, ein renommierter Computerwissenschaftler und vormals Professor an der University of California in Berkeley, USA, und der EPFL in Lausanne, Schweiz. www.ist.ac.at

Über die University of Leeds
Die University of Leeds ist mit mehr als 33.000 Studenten aus mehr als 150 verschiedenen Ländern eine der größten Hochschuleinrichtungen in Großbritannien. Sie ist ein Mitglied der Russell Group of research-intensive universities.

Dem Research Excellence Framework 2014 zufolge gehört sie zu den zehn besten Universitäten für Forschung und Impact Power in Großbritannien und rangierren unter den Top 100 für akademische Reputation im QS World University Rankings 2018. Darüber hinaus erhielt die Universität eine Goldbewertung von das „Teaching Excellence Framework“ der Regierung im Jahr 2017, durch die das „durchweg herausragende“ Lehr- und Lernangebot anerkannt wurde. 26 der Wissenschaftler haben National Teaching Fellowships erhalten – mehr als jede andere Institution in England, Nordirland und Wales -, was die Exzellenz der Lehre widerspiegelt. www.leeds.ac.uk

https://www.nature.com/articles/s41567-018-0137-5 Link zum Paper
https://qdyn.pages.ist.ac.at/ Webseite der Forschungsgruppe um Maksym Serbyn

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Dr. Elisabeth Guggenberger idw - Informationsdienst Wissenschaft

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