Die Milchstraße frisst ihre Begleiter

Anziehend wirkt die Milchstraße auch auf ihre Nachbarn. Der in der Grafik dargestellte Monoceros-Gezeitenstrom besteht aus Sternen und Materie, die vermutlich von der Canis-Major-Zwerggalaxie abgesaugt wurden. Bild: MPI für Astronomie

Astronomen entdecken Spuren von galaktischem Kannibalismus / Neue Ausgabe von MaxPlanckForschung erschienen


Lange Zeit galten Galaxien, und so auch unsere Milchstraße, als abgeschlossene Gebilde, die sich seit Jahrmilliarden nur aus ihrer eigenen Substanz wandeln und entwickeln. Diese herkömmliche Vorstellung muss grundlegend revidiert werden: Unsere Milchstraße verleibt sich noch heute Sterne und Materie von umgebenden Zwerggalaxien oder Kugelsternhaufen ein. Forscher um Hans-Walter Rix, Direktor am Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie, haben eindeutige Spuren dieser „kannibalischen“ Prozesse nachgewiesen. Darüber berichtet die neuste Ausgabe des Wissenschaftsmagazins MaxPlanckForschung (4/2005).

Das Problem dieser Spurensuche besteht darin, unter den vielen Millionen Sternen in jeder umschriebenen Region der Milchstraße jene zu identifizieren, die einst zu einer Satellitengalaxie gehörten und von dieser „abgezogen“ wurden. Solche Neuzugänge an Sternen können sich durch ein einheitliches, von der Umgebung abweichendes Bewegungs- und Geschwindigkeitsmuster verraten, aber auch durch ein abweichendes Alter oder durch eine ungewöhnliche chemische Zusammensetzung.

So entdeckten die Astronomen vor rund zehn Jahren erstmals einen Strom von Sternen, der sich vollständig um das Zentrum der Milchstraße windet – und der nach inzwischen einhelliger Meinung von der Sagittarius-Zwerggalaxie stammt, einem kleinen Nachbarn unserer Milchstraße.

Darüber hinaus stießen Forscher des Heidelberger Max-Planck-Instituts im Rahmen einer internationalen Zusammenarbeit auf einen ringförmigen Sternstrom, der sich über etwa hundert Winkelgrade um das Sternbild Einhorn (Monoceros) erstreckt: Verraten hatte sich diese Sterngruppe durch einen ungewöhnlich geringen Anteil an schweren Elementen, kenntlich an der Farbverteilung ihrer Spektren. Weitere Analysen der Kinematik dieses Sternstroms mit Hilfe von Computermodellen wiesen auf eine Zwerggalaxie in der Konstellation Großer Hund (Canis Major) als Ursprung des Monoceros-Stroms hin – ein Befund, der derzeit noch im Detail überprüft wird.

Eindeutig liegen die Dinge hingegen bei Palomar 5, einem Kugelsternhaufen. Er weist innerhalb eines Volumens von 156 Lichtjahren Durchmesser Sterne mit insgesamt 5000 Sonnenmassen auf – und ist damit einer der masseärmsten seiner Art. Inzwischen konnten die Heidelberger Forscher nachweisen, dass von Palomar 5 zwei Gezeitenarme von jeweils rund 15 000 Lichtjahren Länge ausgehen, die mehr Materie enthalten als der Kugelsternhaufen selbst: Diese Schweife bildeten sich, als Palomar 5 vor etwa 150 Millionen Jahren die Ebene der Milchstraße durchquerte; durch Gezeitenkräfte der Sterne in der galaktischen Scheibe wurden vor allem massearme Sterne aus dem Haufen herausgesogen, und sie folgen nun dessen Bahn, ohne aber noch an ihn gebunden zu sein.

Palomar 5 hat seit rund zehn Milliarden Jahren, in denen er auf seiner Bahn immer wieder die Milchstraßen-Ebene querte, rund 50 000 Sonnenmassen verloren, etwa das Zehnfache seiner heutigen Restmasse. Und beim nächsten Durchtritt durch die Milchstraße, in 110 Millionen Jahren, trifft er in nur 23 000 Lichtjahren Entfernung vom galaktischen Zentrum in ein Gebiet hoher Sterndichte – und wird dann vermutlich vollständig aufgerieben und von der Milchstraße aufgesogen: als das nächste, aber wohl nicht letzte Opfer unserer „gefräßigen“ Heimatgalaxie.

Eine ausführliche Version des Textes dieser Pressemitteilung finden Sie im Fokus der neuesten Ausgabe von MaxPlanckForschung (4/2005). Der Fokus trägt den Titel „Galaktische Streiflichter“ und berichtet über radioaktive Gammastrahlung und kosmischen Kannibalismus, über All-Chemie in organischen Molekülwolken und die Suche nach den dunklen Seiten der Milchstraße. Wie kommt das Neue in die Wissenschaft? Dieser Frage widmet sich der Essay unter der Rubrik „Zur Sache“. In dem 92 Seiten umfassenden Heft lesen Sie außerdem ein Porträt des Nobelpreisträgers Theodor W. Hänsch sowie einen Kongressbericht zum aktuellen Stand der Stammzellforschung („Das Wunder wird noch dauern“). Was den Zebrafisch für Evolutionsbiologen so interessant macht, erfahren Sie in dem Beitrag „Ein Fisch steht Modell“. Und die Rubrik „Forschung & Gesellschaft“ berichtet über „Die DDR – bildlich gesehen“ und damit über die Aufarbeitung eines Stücks Zeitgeschichte.

Dem Heft liegt der BIOMAX „Das Ticken in unseren Genen“ bei.

MaxPlanckForschung erscheint viermal pro Jahr. Das Wissenschaftsmagazin kann bei der Pressestelle der Max-Planck-Gesellschaft oder über unser Webformular abonniert werden. Der Bezug ist kostenfrei.

Originalveröffentlichung:

Penarrubia, J., D. Martinez-Delgado, H. W. Rix, M. A. Gomez-Flechoso, J. Munn, H. Newberg, E. F. Bell, B. Yanny, D. Zucker, E. K. Grebel
A comprehensive model for the Monoceros tidal stream
The Astrophysical Journal 626, 128 – 144, 2005

Media Contact

Dr. Andreas Trepte Max-Planck-Gesellschaft

Weitere Informationen:

http://www.mpg.de

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