In US-Atomlabor verschwinden die Geheimnisse

Amerikas führendes Atomwaffenlabor in Los Alamos (New Mexico) ist seit Tagen geschlossen. Expertenteams suchen in den 2000 Safes der Einrichtung, in der die erste Atombombe gebaut wurde, nach zwei vermissten Disketten mit geheimen Informationen. Zugleich stellen sie eine Inventarliste auf – denn wer weiß, was sonst noch alles an hochsensiblen Unterlagen verschwunden ist. Es ist nämlich nicht das erste Mal, dass die Forschungseinrichtung auf einem einsam gelegenen Plateau rund 50 Kilometer von der Landeshauptstadt Albuquerque entfernt wegen «Geheimnisverlusts» in die Schlagzeilen geraten ist. Allein in den vergangenen acht Monaten hat es drei Fälle von verlorenen Disketten gegeben. So verschwanden Ende 2003 gleich zehn auf Nimmerwiedersehen.

Der neue Fall wird jedoch als besonders schwerwiegend eingestuft, auch wenn natürlich niemand sagt, was auf den Disketten gespeichert wurde. Jedenfalls ist es in der jüngeren Vergangenheit nur einmal vorgekommen, dass im Los Alamos National Laboratory der Betrieb über Tage gänzlich eingestellt werden musste. Das war im Jahr 2000, als sich ein Buschfeuer der Einrichtung mit ihren rund 12 000 Beschäftigten gefährlich näherte.

Dieses Mal sind außerdem US-weit rund 20 weitere Stätten mit geheimen Forschungsprojekten mitbetroffen: Das Energieministerium hat dort alle Abteilungen, die wie Los Alamos Disketten verwenden, bis zum Abschluss von Inventuren geschlossen. «Das hat es noch nie gegeben und zeigt, dass die Lage noch ernster ist als angenommen», sagt ein Vertreter der Vereinigung amerikanischer Wissenschaftler.

Damit ist das Ansehen des Labors in Los Alamos, das die Hauptverantwortung für die sichere Lagerung und Instandhaltung amerikanischer Atomwaffen trägt, auf einen neuen Tiefpunkt gesunken – und das will etwas heißen. Im vergangenen Jahrzehnt hat es immer wieder schwere Verstöße gegen Sicherheitsauflagen gegeben, dazu Geldbetrug, Missmanagement und einen möglichen Fall von Spionage. Neben Disketten verschwanden Geheimpapiere, und erst vor Kurzem wurden für ein Experiment benötigte Computerfestplatten im Privatauto eines Angestellten entdeckt. Außerdem flog auf, dass Wissenschaftler geheime E-Mails über ungesicherte Systeme verschickten.

Spionage wird hinter diesen Fällen nicht vermutet, sondern vielmehr weit verbreitete notorische Schlamperei und eine «Du kannst mich mal»-Mentalität gegenüber Vorschriften. Viele Wissenschaftler behandelten die Sicherheitsbestimmungen wie einen Scherz, schreibt zum Beispiel die «Los Angeles Times» und spricht von einer unbegreiflichen «Cowboy-Kultur». So sieht es auch der Direktor der von der Universität von Kalifornien im Auftrag des Energieministeriums betriebenen Einrichtung, Peter Nanos. Er übernahm den Posten 2003, nachdem sein Vorgänger wegen der Skandalserie zurückgetreten war. Bemühungen, Änderungen durchzusetzen, scheiterten bisher am Widerstand der angestellten Wissenschaftler selbst und an Kongressabgeordneten und Senatoren aus New Mexico, die sich immer wieder schützend vor den Mitarbeiterstab gestellt haben.

Diese politische Protektion und dazu das feste innere Gefüge der Forschungsstätte sind nach Meinung der Experten die Hauptgründe für die schweren Sicherheitsprobleme. 20 000 Einwohner zählt die Ortschaft von Los Alamos, und fast alle haben mit dem Labor zu tun – als Angestellte oder deren Ehepartner. Man geht in dieselben Kirchen und Geschäfte, jeder kennt jeden. Diese «Inzucht», so die «Los Angeles Times», habe zu einer Kultur geführt, die Reformen und interne Kritik im Keim ersticke: «Wer ausschert, ist isoliert.»

Nanos will damit nun endgültig aufräumen. Er hat bereits 19 Mitarbeiter vom Dienst suspendiert und in einer E-Mail an die Belegschaft gewarnt: «Diese Verstöße müssen enden, und es ist mir egal, wie viele Leute ich feuern muss, um sie zu beenden.»

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