Planetologen erforschen Saturnmond Phoebe

Die Planetensonde Cassini/Huygens befindet sich gegenwärtig auf dem Weg zum Saturn und soll am 1. Juli 2004 in eine Umlaufbahn um den Ringplaneten einschwenken. Auf seiner letzten Etappe dorthin wird Cassini/Huygens am Freitag, dem 11. Juni 2004 in nur 2.000 Kilometer Entfernung am Saturnmond Phoebe vorbeifliegen. Planetenforscher der Freien Universität Berlin sind für die Aufnahmen der Mondoberfläche und der anschließenden Datenauswertung zuständig. Die ersten Daten werden bereits für Freitag früh erwartet. Denn schon einen Tag vor dem gezielten Vorbeiflug an Phoebe kann seine Oberfläche beobachtet werden.

Cassini wird in den Abendstunden des 11. Juni 2004 in nur 2.000 Kilometer Distanz an Phoebe vorbeiziehen. „Sollten die Beobachtungen gelingen, wäre anschließend der größte Teil der Oberfläche mit einer Detailgenauigkeit von zwei Kilometer bekannt, zum Großteil sogar genauer als ein Kilometer“, sagt FU-Planetenforscher Prof. Dr. Gerhard Neukum. Die Aufnahmen und Messungen lassen erwarten, dass zahlreiche neue Aussagen über die geologische Entwicklung, physikalische Eigenschaften und die chemische Zusammensetzung der Oberfläche gemacht werden können. Insbesondere die Kamera von Cassini, die in einem Wellenlängenbereich von 0,25 bis 1,1 Mikrometer sensitiv ist, kann hier einen Beitrag leisten. „Wenn der Vorbeiflug glückt, wäre Phoebe für viele Monate der besterforschte Saturnmond“, sagt Neukum.

Die primären Ziele der Raumsondenmission Cassini/Huygens sind die Erforschung des Planeten Saturn, seines Ringsystems sowie seiner Magnetosphäre und Monde. Die Freie Universität (FU) Berlin ist mit Prof. Dr. Gerhard Neukum und den wissenschaftlichen Mitarbeitern Tilmann Denk und Stephan van Gasselt an der Mission beteiligt. Sie arbeiten mit dem Cassini Imaging Team zusammen und haben die Aufgabe, die Planung der Kamera-Beobachtungen der Saturnmonde Iapetus, Dione, Rhea und Phoebe durchzuführen. Dabei arbeiten die Planetenforscher eng mit dem Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin-Adlershof zusammen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt das Forschungsprojekt. Das FU-Team wird unter anderem die geologischen Alter der Oberflächen aller Saturnmonde durch Messungen der Häufigkeitsverteilungen der Einschlagskrater ermitteln. Durch die Auswertung der Daten wollen die Forscher ferner die Oberflächenmaterialien und deren Verteilung bestimmen sowie die geologischen Prozesse auf den Monden analysieren und somit Rückschlüsse auf die Entstehung und geologische Geschichte der Saturnmonde ziehen.

Cassini-Vorbeiflug an Phoebe

Die Ankunftszeit Cassinis am Saturn wurde mit Absicht auf den 1. Juli 2004 gelegt, um den Phoebe-Vorbeiflug zu ermöglichen. „Tatsächlich kann man es als gut gezielt bezeichnen, dass Phoebe und Cassini fast zusammentreffen, wenn man bedenkt, dass Phoebe nur etwa alle 550 Tage an derselben Stelle ihrer Umlaufbahn vorbeikommt“, sagt FU-Planetologe Tilmann Denk. Die geringste Distanz zur Phoebe-Oberfläche soll dabei nur noch 2.000 Kilometer betragen. Im Verlauf der gesamten restlichen Mission wird Cassini im Juli 2004 nie mehr näher als 5,8 Millionen Kilometer an Phoebe herankommen, danach sogar nie mehr näher als acht Millionen Kilometer. Vor einigen Jahren noch war eine Vorbeiflugdistanz von 57.000 Kilometer vorgesehen. „Da es sich aber um eine „once-in-a-lifetime opportunity“ – also jetzt oder nie – handelt, und da im bisherigen Verlauf der Mission weniger Treibstoff zur Bahnregelung verbraucht wurde als geplant, konnte der vorgesehene Vorbeiflugabstand abgesenkt werden“, erläutert Denk weiter.

Für die Kameraplanung des Phoebe-Vorbeifluges haben die FU-Planetologen ein Schema erarbeitet, nach dem die Beobachtungen ablaufen sollen. Der Plan sieht vor, dass Phoebe zunächst eine volle Rotation (neun Stunden und 16 Minuten) beobachtet wird, anschließend in der Phase der größten Annäherung Bildmosaike des Saturnmondes gemacht werden, und dann nach einer längeren RADAR-Beobachtung erneut eine volle Rotation lang beobachtet wird. So wird gewährleistet, dass die gesamte im Vorbeiflugszeitraum von der Sonne beschienene Oberfläche auch beobachtet werden kann. Außerdem haben die Wissenschaftler vorgeschlagen, Phoebe bereits anderthalb Tage vor dem Vorbeiflug über fast zwölf Stunden hinweg zu beobachten.

„Die nächste Aufgabe bestand für uns dann darin, die Ausrichtung der Sonde während der Zeiten zu planen, in denen die Kamera das Prime-Instrument ist, also das wissenschaftliche Experiment, das die Ausrichtung der Sonde steuert“, sagt Tilmann Denk. Diese Aufgabe beinhaltet insbesondere die Planung von Bildmosaiken. Schließlich musste auch noch die Kamerakommandierung durchgeführt werden, das heißt, für jedes der geplanten 516 Bilder mussten Parameter wie Belichtungszeit, Filter, Empfindlichkeit usw. festgelegt werden. „Die Planungsarbeiten waren sehr umfangreich, so dass wir diesem Ereignis natürlich mit ganz besonderen Erwartungen entgegen sehen und auf die Inhalte der Bilder in wissenschaftlicher wie in ästethischer Hinsicht sehr gespannt sind“, erklärt Denk.

Geplanter Ablauf (Zeiten in MESZ)

Donnerstag, 10.06.2004
03:53 Uhr: Die Phoebe-Beobachtungssequenz vor dem eigentlichen Vorbeiflug beginnt
15:37 Uhr: Abschluss dieser ersten kompletten Rotationssequenz

Freitag, 11.06.2004
07:25 Uhr: Diese Daten haben vollständig die Erde erreicht
07:23 Uhr: Erste Phoebe-Aufnahme am Vorbeiflug-Tag
16:03 Uhr: Beginn der ersten RADAR-Beobachtung
17:35 Uhr: RADAR Ende, weiter mit Fernerkundung
20:00 Uhr: Phoebe erscheint Cassini größer als das Bildfeld der Kamera
21:33 Uhr: Größte Annäherung (ca. 2.000 km), letzte Aufnahmen vor der Drehung, höchste Bildauflösung
22:01 Uhr: Erste Aufnahmen nach der Drehung
23:33 Uhr: RADAR übernimmt zum zweiten Mal

Samstag, 12.06.2004
04:33 Uhr: Beginn der dritten Beobachtung einer kompletten Rotation
13:25 Uhr: Letzte Phoebe-Aufnahme des Vorbeiflugs
15:32 Uhr: Beginn der Datenübertragung
16:55 Uhr: Die ersten Daten erreichen die Erde
13.06.2004: 01:55 Uhr: Alle Daten vom Vorbeiflug sind auf der Erde eingetroffen, unterdessen widmet sich Cassini bereits wieder anderen Aufgaben
11:15 Uhr: Ein Teil der Phoebe-Daten wird ein zweites Mal auf der Erde empfangen
20:15 Uhr: Abschluss der Datenübertragung vom Sonntag

Hintergrundinformationen zum Saturnmond Phoebe

Phoebe ist ein sehr ungewöhnlicher Saturnmond. Sie kreist in einem Abstand von fast 13 Millionen Kilometer um Saturn und ist damit über 3,5 Mal weiter vom Ringplaneten entfernt als der Mond Iapetus, der die äußere Grenze des „regulären“ Mondsystems von Saturn bildet. Ihre Umlaufzeit beträgt 550 Tage; für eine Saturnumkreisung braucht Phoebe also zwanzig Mal länger als unser Mond für eine Erdumkreisung. Mit etwa 220 Kilometer Durchmesser gehört sie zu den größeren Körpern im Sonnensystem, auch wenn sie mit „Riesenmonden“ wie Ganymed oder Titan nicht mithalten kann: Deren Durchmesser beträgt jeweils über 5.000 Kilometer. Ungewöhnlich ist auch der Richtungssinn der Bahn. Während sich die meisten Körper im Sonnensystem (von Norden aus betrachtet) entgegen dem Uhrzeigersinn bewegen und drehen („prograd“), umkreist Phoebe Saturn „retrograd“, also entgegen dem üblichen Umlaufsinn. Bei ihrer Entdeckung im Jahr 1899 durch William H. Pickering waren erst ganz wenige Monde im Sonnensystem bekannt, die sich nicht prograd bewegen. Die merkwürdige Bahn ließ den Schluss zu, dass Phoebe nicht mit den anderen Saturnmonden zusammen entstanden ist, sondern erst später von Saturn eingefangen wurde; eine Theorie, die auch heute noch vertreten wird.

Über hundert Jahre lang war Phoebe der einzige „irreguläre“ Saturnmond, bis im Jahr 2000 gleich zwölf Monde auf einmal entdeckt wurden – und im vergangenen Jahr noch einmal ein weiterer Mond. Phoebe ist also kein Einzelfall mehr, sondern lediglich der größte einer ganzen Familie von Monden, die in großer Entfernung Saturn umkreisen.

Das Wissen über Phoebe ist sehr gering. Die Rotationsperiode (Dauer einer Eigenumdrehung oder ein „Phoebe-Tag“) wurde Anfang 2004 von der Erde aus zu neun Stunden und 16,4 Minuten bestimmt, wobei die Drehrichtung entgegen der retrograden Umlaufrichtung orientiert ist und somit wieder prograd ist. Die Oberfläche ist bei einem Rückstrahlvermögen von sieben bis zwölf Prozent recht dunkel und steht im Kontrast zu den meist sehr hellen Oberflächen der regulären Saturnmonde. Phoebes Farbe ist grau, und die bislang gewonnenen Spektren zeigen kaum signifikante Strukturen. Es wird spekuliert, dass das Oberflächenmaterial kohlenstoffhaltig ist.

Bis Juni 2004 stammten die einzigen Aufnahmen, die die Oberfläche von Phoebe zeigen, von der Raumsonde Voyager 2. Sie wurden am 5. September 1981 aus zwei Millionen Kilometer Distanz gewonnen. Die Größe des Phoebe-Scheibchens betrug dabei in den Bildern nur elf Bildpunkte (Pixel); das reichte immerhin zur Bestimmung des Durchmessers und der Rotationsperiode aus. Zudem ist bekannt, dass Phoebe nicht homogen dunkel ist, sondern ein paar hellere Flecken besitzt, die vielleicht einen höheren Wassereisanteil aufweisen. Tatsächlich wurden vor einigen Jahren in Phoebes Spektrum Hinweise auf Wassereis auf der Oberfläche entdeckt.

Phoebe wurde als Ursache für die ungewöhnliche Helligkeitsdichotomie auf dem weiter innen kreisenden Mond Iapetus ins Feld geführt. Demnach würden kleinste Staubteilchen durch Mikrometeoriten-Bombardement von der Oberfläche losgeschlagen und anschließend nach und nach spiralförmig nach innen in Richtung Saturn wandern. Iapetus als das „erste Hindernis“ würde sie vor allem auf seiner Bugseite wieder aufsammeln. Ob diese bereits 1974 vorgeschlagene Theorie jedoch tatsächlich der Wahrheit entspricht, ist bislang unklar. Ein Problem ist beispielsweise, dass das dunkle Material auf Iapetus rot und nicht grau ist. Auch lassen sich die komplexen Strukturen an der Hell-Dunkel-Grenze auf Iapetus nur schwer auf diese Weise erklären. Vielleicht werden die Daten der Cassini-Sonde zur Lösung dieses Rätsels beitragen.

Weitere Informationen erteilen Ihnen gern:

Prof. Dr. Gerhard Neukum, Institut für Geologische Wissenschaften der Freien Universität Berlin, Tel.: 030 / 838-70579, Mobil: 0171 / 764 71 77, E-Mail: gneukum@zedat.fu-berlin.de

Tilmann Denk, Institut für Geologische Wissenschaften der Freien Universität Berlin, Tel.: 030 / 838-70560, E-Mail: denk@zedat.fu-berlin.de

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Ilka Seer idw

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