Neue Chancen für Mars-Astronauten

Behutsames Aufrichten nach acht Wochen Dauerliegen

Zur Vorbereitung zukünftiger bemannter Marsmissionen rekrutiert man in Berlin derzeit weitere „terrestrische Astronauten“. Für die vierte und fünfte Liegestaffel der Berliner BedRest-Studie werden noch „Raumfahrer“ gesucht. Die Bettruhestudie wird vom Berliner Zentrum für Muskel- und Knochenforschung (ZMK) in Zusammenarbeit mit der Europäischen Weltraumorganisation ESA durchgeführt. Die Wissenschaftler untersuchen, wie sich Schwerelosigkeit auf Skelett und Muskeln auswirkt sowie der Muskel- und Knochenabbau im All aufzuhalten ist.

Dauerhafte irdische Bettruhe hat vergleichbare körperliche Folgen wie ein Langzeitaufenthalt im All. Dies gilt insbesondere für den Bewegungsapparat: Bei Bettlägerigen stellt sich – wie bei Astronauten – wegen seiner Minderbelastung nach einiger Zeit Muskel- und Knochenschwund ein. Wissenschaftler machen sich diese Parallelität zunutze, um in Bettruhestudien Schwerelosigkeit zu simulieren. Sie studieren die auftretenden physiologischen Veränderungen an „terrestrischen Astronauten“, denen zu diesem Zweck wochen- oder monatelanges Leben im Liegen verordnet wird.

Seit die Berliner Studie im Februar 2003 angelaufen ist, haben zwölf „terrestrische Astronauten“ den achtwöchigen Liegemarathon von ZMK und ESA erfolgreich absolviert: Die dritte Vierer-Crew hat die Betten des Berliner Universitätsklinikums „Benjamin Franklin“ Ende September verlassen. Das vierte Test-Quartett soll am 8. Januar 2004 an den Start gehen. Und voraussichtlich Mitte März soll dann die fünfte und vorerst letzte virtuelle Marscrew der Studie zu ihrer Liegemission im Dienst der Weltraummedizin aufbrechen.
Eine Nachrekrutierung nunmehr in ganz Deutschland wurde notwendig, weil trotz der annähernd 660 Bewerbungen aus dem Berliner Raum schließlich nur geeignete Kandidaten für drei Liegestaffeln übrig blieben. Nach einer Vorauswahl nahmen 110 Bewerber an einem psychologischen Auswahlinterview teil. In den Gesprächen konnten sich dann 30 Anwärter für die abschließende medizinische Auswahl qualifizieren. Am Ende wurden zwölf Berliner Astronauten ausgewählt, die inzwischen alle an der Studie teilgenommen haben.

„Um statistisch relevante Informationen zu erhalten, müssen wir die Studie aber mit 20 Testpersonen durchführen“, erläutert Renate Bowitz vom ZMK. Deshalb wird jetzt besonders in den an Berlin grenzenden neuen Bundesländern nach geeigneten Testpersonen gesucht. Gefragt sind körperlich stabile und durchhaltestarke Männer zwischen 20 und 45 Jahren mit der Fähigkeit zur realistischen Selbsteinschätzung. Den Studienteilnehmern winkt eine Aufwandsentschädigung von 5000 Euro, allerdings nur, wenn sie die Studienbedingungen strikt einhalten.

Das Auswahlverfahren ist streng, hat sich aber bewährt. Trotz der enormen Herausforderung – zwei Monate strikte Bettruhe auf der Isolierstation kombiniert mit einer intensiven medizinischen Dauerbeobachtung – hat bislang keiner der hoch motivierten Erdastronauten aufgegeben. „Alle Teilnehmer haben durchgehalten“, so Renate Bowitz. „Die erste Staffel ist – auch wegen des Medienrummels – noch etwas unruhig verlaufen. Bei der zweiten und dritten Staffel lief dann alles völlig reibungslos. Größere Durchhänger bei den Testpersonen gab es überhaupt nicht.“

Ein Hauptanliegen der Berliner BedRest-Studie ist die Erprobung eines neuen Trainingsverfahrens, mit dem Astronauten dem Muskel- und Knochenabbau im All entgegenarbeiten können. Das Zauberwort heißt Vibrationsmuskeltraining: Die Hälfte der Studienteilnehmer trainiert mit dem „Galileo Space“. Das Gerät erzeugt starke Vibrationen, die zu reflexhafter Muskelarbeit in den Beinen führen. Dabei wirken hohe Kraftspitzen auf den Knochen ein, die den Aufbau von Knochensubstanz fördern. Das Training stärkt also Muskulatur und Knochen zugleich. „Um letztgültige Ergebnisse zu präsentieren, ist es noch zu früh“, erklärt Professor Dieter Felsenberg, der die Berliner Studie leitet. „Bislang erfüllen die Resultate aber alle Erwartungen.“

Schon in der ersten Staffel beobachteten die Wissenschaftler, dass bei den Testpersonen, die täglich nur einige Minuten mit dem Vibrationsgerät trainiert hatten, praktisch kein Muskel- und Kraftverlust und nur minimaler Knochenschwund auftrat. „Diese Tendenz hat sich bisher durch alle Staffeln fortgesetzt“, so Felsenberg. „Was Muskel- und Knochenerhalt sowie Trainingseffizienz anbelangt, erscheint das Vibrationstraining am günstigsten, zumindest verglichen mit den bislang eingesetzten Trainingsmethoden.“ Jetzt gilt es auch, technische Schwierigkeiten zu bewältigen. Das Gerät muss leichter und kompakter werden und es ist zu prüfen, wie der Apparat in einem Raumfahrzeug optimal aufgehängt werden kann. „Wenn auch die Ergebnisse der vierten Staffel die bisherigen Tendenzen bestätigen, beginnt die konkrete Planung für einen Parabelflug im Herbst 2004, entweder mit der ESA oder mit der DLR“. Beim Parabelflug wird das Gerät an Bord eines Flugzeugs im Sturzflug unter Schwerelosigkeitsbedingungen getestet.

Auch der terrestrischen Medizin kommen die Ergebnisse zugute. Im Frühjahr 2004 soll eine Studie anlaufen, in der untersucht wird, wie mit dem Vibrationsgerät auch halbseitig gelähmte Schlaganfallpatienten und Querschnittsgelähmten trainiert werden können.

Bewerbungen

Ernsthafte Interessenten können sich beim zentralen Rekrutierungsbüro des Zentrums für Muskel- und Knochenforschung (ZMK) bewerben:

Telefon: 030 / 8445 4261, E-Mail: bbr_kontakt@medizin.fu-berlin.de

Media Contact

European Space Agency

Weitere Informationen:

http://www.medizin.fu-berlin.de/zmk

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