Astronomen entdecken einzigartiges Relikt aus der frühen Phase der Milchstraße

Ein internationales Team aus Astronomen nahm die dicken Staubwolken des galaktischen Bulges genauer unter die Lupe und fand eine ungewöhnliche Mischung an Sternen im Sternhaufen Terzan 5. Diese neuen Ergebnisse sind ein Hinweis darauf, dass es sich bei Terzan 5 tatsächlich um einen primordialen Baustein des galaktischen Bulges und damit höchstwahrscheinlich um ein Relikt aus den frühen Tagen der Milchstraße handelt. Dieses Bild stamt vom Multi-Conjugate Adaptive Optics Demonstrator (MAD), einem Prototypen für ein System Adaptiver Optik, mit dem die Machbarkeit verschiedener Techniken für das E-ELT und die zweite Generation von VLT-Instrumenten. Die Sternfarben entsprechen der Hubble-Aufnahme desselben Sternfelds. Herkunftsnachweis: ESO/F. Ferraro

Terzan 5 ist 19.000 Lichtjahre von der Erde entfernt und liegt in Richtung des galaktischen Zentrums im Sternbild Schütze (lat. Sagittarius). In den mehr als vierzig Jahren seit seiner Entdeckung ist das Objekt stets als Kugelsternhaufen klassifiziert worden. Wie ein Astronomen-Team unter italienischer Leitung jetzt herausfand, unterscheidet sich Terzan 5 allerdings von jedem bisher bekannten Kugelsternhaufen.

Das Team nutzte sowohl Daten vom Multi-Conjugate Adaptive Optics Demonstrator [1], der am Very Large Telescope angebracht ist, als auch von einer Reihe anderer bodengebundener und weltraumbasierter Teleskope [2]. Sie fanden überzeugende Hinweise darauf, dass es zwei unterschiedliche Sterntypen in Terzan 5 gibt, die sich nicht nur in den enthaltenen Elementen unterscheiden, sondern auch einen Altersunterschied von etwa 7 Milliarden Jahren besitzen [3].

Der enorme Altersunterschied zwischen den beiden Sternpopulationen ist ein Hinweis darauf, dass der Sternentstehungsprozess in Terzan 5 nicht kontinuierlich stattfand, sondern durch zwei verschiedene Epochen geprägt wurde, in denen Sternentstehung explosionsartig stattgefunden hat. „Damit das möglich ist, muss der Vorfahre von Terzan 5 große Mengen Gas für eine zweite Generation an Sternen besessen haben und sehr massereich gewesen sein. Mindestens 100 Millionen mal massereicher als die Sonne“, erklärt Davide Massari vom vom INAF in Italien und der Universität Groningen in den Niederlanden, einer der Koautoren des Fachartikels.

Seine ungewöhnlichen Eigenschaften machen Terzan 5 zum idealen Kandidaten für ein lebendiges Fossil aus den frühen Tagen der Milchstraße. Gängige Theorien zur Sternentstehung basieren auf der Annahme, dass der primoridale Bulge der Milchstraße durch die Wechselwirkung von riesigen Klumpen aus Gas mit Sternen entstanden ist

Wir gehen davon aus, dass einige Überreste dieser gasförmigen Klumpen vergleichsweise unbeschadet überleben konnten und eingebettet in der Milchstraße weiterexistieren“, erklärt Erstautor Francesco Ferraro von der Universität Bologna in Italien. „Solche galaktischen Fossile ermöglichen es Astronomen, einen bedeutenden Teil der Geschichte der Milchstraße zu rekonstruieren.“

Während die Eigenschaften von Terzan 5 für einen Sternhaufen ungewöhnlich sind, ähneln sie sehr denen der Sternenpopulation, die in der dichten Region im Zentrum der Milchstraße zu finden ist, dem galaktischen Bulge Diese Ähnlichkeiten könnten Terzan 5 zu einem fossilen Überbleibsel der Sternentstehung machen, das die frühesten Bausteine der Milchstraße darstellt.

Gestützt wird diese Annahme von der ursprünglichen Masse von Terzan 5, die notwendig gewesen wäre, um zwei Sternpopulation zu ermöglichen: eine Masse, die im Bereich der Masse der riesigen Gasklumpen liegt, von denen man annimmt, dass sich aus ihnen zur Zeit der Entstehung der Galaxie vor etwa 12 Milliarden Jahren auch der Bulge bildete. Auf irgendeine Weise schaffte es Terzan 5 für Milliarden von Jahren nicht zerrissen zu werden und als Überrest der fernen Vergangenheit der Milchstraße zu überdauern.

Manche Eigenschaften von Terzan 5 ähneln denen, die in den riesigen Klumpen in Sternentstehungsgalaxien bei hoher Rotverschiebung beobachtet wurden, was nahelegt, dass während der Epoche der Entstehung von Galaxien ähnliche Prozesse im nahen und fernen Universum stattfanden“, fährt Ferraro fort.

Demzufolge ebnet diese Entdeckung den Weg zu einem besseren und vollständigeren Verständnis über die Entstehung von Galaxien. „Terzan 5 repräsentiert möglicherweise eine interessante Verbindung zwischen dem nahen und dem fernen Universum, da es den Entstehungsprozess des Galaxienbulges miterlebt hat“, erklärt Ferraro die Bedeutsamkeit der Entdeckung. Für Astronomen bietet sich dank dieser Forschungsergebnisse ein möglicher Weg, die Geheimnisse der Galaxienentstehung zu enträtseln und einen einzigartigen Blick in die komplexe Geschichte der Milchstraße zu werfen.

[1] Der Multi-Conjugate Adaptive Optics Demonstrator (MAD) ist ein Prototyp für ein mehrfach-konjugiertes System Adaptiver Optik, welches dafür gedacht ist, die Realisierbarkeit verschiedener MCAO-Rekonstruktionstechniken im Rahmen des E-ELT-Entwurfs und der zweiten Generation an VLT-Instrumenten zu demonstrieren.

[2] Die Forscher nutzten ebenfalls Daten der Wide Field Camera 3 an Bord des Hubble-Weltraumteleskops der NASA/ESA und der Near Infrared Camera 2 am W.-M.-Keck-Observatorium.

[3] Die zwei beobachteten Sternpopulationen besitzen Alter von 12 Milliarden bzw. 4.5 Milliarden Jahren.

Die hier präsentierten Forschungsergebnisse erscheinen demnächst unter dem Titel „The age of the young bulge-like population in the stellar system Terzan 5: linking the Galactic bulge to the high-z Universe“ in der Fachzeitschrift The Astrophysical Journal.

Die beteiligten Wissenschaftler sind F. R. Ferraro (Dipartimento di Fisica e Astronomia, Università degli Studi di Bologna, Italien) , D. Massari (INAF – Osservatorio Astronomico di Bologna, Italien & Kapteyn Astronomical Institute, Universität Groningen, Niederlande), E. Dalessandro (Dipartimento di Fisica e Astronomia, Università degli Studi di Bologna, Italien; INAF – Osservatorio Astronomico di Bologna, Italien) , B. Lanzoni (Dipartimento di Fisica e Astronomia, Università degli Studi di Bologna, Italien), L. Origlia (INAF – Osservatorio Astronomico di Bologna, Italien; Kapteyn Astronomical Institute, Universität Groningen, Niederlande), R. M. Rich (Department of Physics and Astronomy, University of California, Los Angeles, USA) und A. Mucciarelli (Dipartimento di Fisica e Astronomia, Università degli Studi di Bologna, Italien).

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Dies ist eine Übersetzung der ESO-Pressemitteilung eso1630.

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