Hightech im Alltag: Simulationstool für effiziente Produktion von Vliesstoffen

Hightechmaterial Vlies: Projektleiterin Dr. Simone Gramsch hat mit ihrem Team das Simulationstool FIDYST entwickelt. Fraunhofer ITWM

Vliesstoffe sind meistens gut versteckt und deshalb unsichtbar. Doch wer sie sucht, findet sie überall: als Futter in der Winterjacke, als Polsterung in der Couch, als Schallschutzmatte im Auto, als Dämmstoff in der Hauswand, als Filter in der Dunstabzugshaube, als Kosmetik-Pad im Badezimmer oder als Trennschicht im Elektrokabel.

Sogar in den Windeln unserer Kleinen findet sich hochsaugfähiges Vlies. Ein extrem vielseitiges und leistungsfähiges Material, das aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken ist. Dementsprechend sind Textilhersteller und Maschinenbauer daran interessiert, die Produktion möglichst effizient und gleichzeitig flexibel zu halten.

Genau dafür hat das Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern eine spezielle Software entwickelt, das Tool FIDYST (Fiber Dynamics Simulation Tool). Es simuliert die Bewegung von Fäden oder Endlosfasern, sogenannten Filamenten, in turbulenten Luftströmungen. Bei der Herstellung von Vliesstoffen werden die Fasern oder Fäden jeweils mit Hilfe von Luft gestreckt und auf einem Transportband abgelegt.

Je nach Geschwindigkeit und Temperatur der Luftströmung entsteht ein Vliesprodukt mit der gewünschten Struktur, Dichte und Festigkeit. Weit verbreitet sind beispielsweise Wirrvliese, bei denen die einzelnen Fasern ganz unterschiedlich ausgerichtet sind und so ein voluminöses und zugleich festes Vlies bilden.

Wie genau die Fasern sich in der Luftströmung bewegen und in welcher Ausrichtung sie auf dem Transportband landen, das berechnet die von den Forschern entwickelte Simulationssoftware FIDYST. Nach einer Simulation der Luftströmung muss der Nutzer lediglich die Materialeigenschaften der Fasern in der Software eingeben. Diese simuliert dann das dynamische Verhalten von Tausenden Fäden. Sogar Fadengemische sind mit der Software simulierbar. Das Ergebnis lässt sich in einer dreidimensionalen Darstellung visualisieren.

Ausgestattet mit diesen Daten kann der Hersteller dann beispielsweise die Luftströmung gezielt optimieren. So entsteht ein Vlies mit der gewünschten Spezifikation bei gleichzeitig niedrigerem Energie- und Rohstoffverbrauch. Die Software-Simulation kann errechnen, dass durch eine veränderte Konfiguration der Maschine weniger Fasern nötig sind, um ein Vlies mit der gewünschten Struktur und Festigkeit zu produzieren.

Von dem Fraunhofer-Tool profitieren nicht nur die Textilhersteller, die ihre Maschinen für jedes gewünschte Vliesprodukt präzise konfigurieren wollen. »Auch Maschinenbauer können es nutzen, um möglichst effizient arbeitende und gleichzeitig flexible Anlagen zu konstruieren«, erklärt Dr. Simone Gramsch, FIDYST-Projektleiterin am ITWM.

Trotz der komplexen Rechenoperationen ist FIDYST nicht auf teure High-Performance-Rechner oder Rechenzentren angewiesen, das Tool begnügt sich mit handelsüblichen PCs der oberen Leistungsklasse und läuft sowohl unter Windows als auch Linux.

Alleinstellungsmerkmal von Fraunhofer

Nach der Berechnung lassen sich die Daten im Format »EnSight Gold Case« exportieren und anschließend visualisieren und analysieren. Das Format gilt als Standard bei Anwendungen, die sich mit der Visualisierung und Analyse von Strömungsdynamiken aller Art beschäftigen, etwa im Flugzeug- oder Automobilbau, aber auch im Sport oder in der Medizin.

Hinter FIDYST steckt eine echte Weltpremiere. Erstmals ist es gelungen, die Fadendynamik in Luftströmungen genau zu simulieren und vorherzusagen. »In der Entwicklung stecken mehrere Jahre Forschung und daneben noch einige Doktorarbeiten. Aber es hat sich gelohnt, mit FIDYST verfügen wir über ein Alleinstellungsmerkmal«, freut sich Projektleiterin Simone Gramsch.

Das ITWM lizenziert die Software an Maschinenbauer oder Textilhersteller. »Bei Bedarf bieten wir FIDYST auch als Service an, dann werden alle Simulationen auf unseren Rechnern nach den Vorgaben des Kunden ausgeführt«, sagt Gramsch. Das ist sinnvoll, wenn es um besonders komplexe und daher rechenintensive Projekte geht.

Für Mathematik-Liebhaber dürfte das Thema noch aus einem anderen Grund interessant sein. Bereits vor mehr als 100 Jahren haben die französischen Mathematiker Eugène und François Cosserat an Gleichungen zur Beschreibung des Verhaltens von elastischen Stoffen gearbeitet. Die nach ihnen benannte Theorie der Cosserat-Rods bildete letztlich die Grundlage für die Fraunhofer-Forscher.

Eine Demo von FIDYST präsentieren die Fraunhofer-Forscher auf der Vliesstoff-Messe INDEX in Genf (4.4. – 7.4.2017).

https://www.fraunhofer.de/de/presse/presseinformationen/2017/maerz/simulationsto…

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