Ein neuer Weg zum Herzen

Das Universitätsklinikum Ulm übernimmt hier eine wichtige Vorreiterrolle in der Region. So werden in der Klinik für Innere Medizin II Herzkatheteruntersuchungen jetzt standardmäßig über das Handgelenk durchgeführt. 2010 wurden mehr als 600 Notfalleingriffe mit dieser Methode erfolgreich vorgenommen.

Bislang war es bei einer Herzkatheteruntersuchung üblich, in der Leiste des Patienten einen Zugang zur Beinschlagader zu schaffen und über eine so genannte Schleuse die Katheter zum Herzen zu führen. Außer diesem bewährten Weg zum Herzen gibt es seit einiger Zeit jedoch eine weitere Möglichkeit, die vor allem weniger Komplikationen und mehr Patientenkomfort verspricht – der Zugang über das Handgelenk, genauer gesagt über die Speichenarterie, die Arteria radialis. „Die Hand wird durch zwei Arterien versorgt. Wenn an einem Gefäß ein Problem auftreten sollte und das andere Gefäß entsprechend gut ausgebildet ist, wird die Hand immer noch ausreichend durchblutet“, erläutert Prof. Dr. med. Wolfgang Rottbauer, Ärztlicher Direktor der Klinik für Innere Medizin II am Universitätsklinikum Ulm, und nennt damit einen wichtigen Vorteil.

Darüber hinaus sei die Gefahr einer Nachblutung deutlich reduziert; auch deshalb hat das Universitätsklinikum Ulm den neuen aber auch technisch anspruchsvolleren Standard forciert. Während herzkranke Patienten früher nach einem Zugang über die Leiste nicht selten mehrere Stunden mit einem Druckverband liegend verbringen mussten, können diese mit der fortschrittlicheren Methode heute sofort wieder aufstehen. Die Zugangsstelle am Handgelenk wird mittels einer Manschette abgedrückt, die lediglich drei bis maximal fünf Stunden getragen werden muss.

Studien belegen Vorteile des Zugangs über das Handgelenk
„Grundsätzlich können Komplikationen bei Herzkatheteruntersuchungen nie ganz ausgeschlossen werden. Aber der Oberschenkel fasst im Vergleich zum Unterarm sehr viel mehr Blut, und Nachblutungen nach einem Leistenzugang sind häufiger und problematischer als am Unterarm“, verdeutlicht Prof. Dr. med. Jochen Wöhrle, Leitender Oberarzt an der Klinik für Innere Medizin II.

Beide Mediziner sind sich einig: „Insbesondere beim akuten Herzinfarkt, bei dem das Blut sehr stark verdünnt werden muss, kann durch die neue Technik das Blutungsrisiko drastisch gesenkt werden. Mehrere große Studien haben das in den vergangenen Jahren eindrucksvoll nachgewiesen. Heutzutage gibt es insgesamt gesehen nur noch wenige Gründe, eine Standarduntersuchung am Herzen nicht mit der modernen Methode eines Handgelenkzugangs durchzuführen.“

Was genau wird mittels Katheter zum Herzen gebracht?
Prof. Rottbauer und sein Team setzen ihren Patienten zum Beispiel medikamentenbeschichtete Stents in die verengten Herzkranzgefäße ein. Darunter sind medizinische Implantate in Form eines Röhrchens zu verstehen. Dieses Röhrchen ist wie ein Gittergerüst aufgebaut und fungiert quasi als Gefäßstütze. Neben Ballondilatationen und Stentimplantationen können Engstellen in stark verkalkten Herzkranzgefäßen auch mittels eines rotierenden Fräskopfs – der so genannten Rotablation – behandelt werden.
Wie läuft der Eingriff genau ab?
Nach einer örtlichen Betäubung wird die Handgelenksarterie mit einer kleinen Nadel punktiert und darüber ein weicher Draht in das Gefäß vorgeschoben. Wie beim Leistenzugang wird dann eine Schleuse eingelegt, die es erlaubt, über ein angeschlossenes Ventil die benötigten Katheter über die Arm- und Schulterarterie bis zum Herzen vorzuschieben. Es werden Medikamente zur Blutverdünnung gegeben, um Gerinnsel zu vermeiden und die Blutgefäße zu erweitern. Der darauf folgende Untersuchungsgang unterscheidet sich nicht wesentlich von dem über die Leiste.
Es gebe jedoch auch Patienten und bestimmte Spezialuntersuchungen, bei denen sich die neue Methode nicht eigne, so beispielsweise bei Herzklappenfehlern oder wenn die Gefäße am Handgelenk zu klein seien. „Wir prüfen die notwendigen Voraussetzungen bei der Vorbereitung zur Herzkatheteruntersuchung sorgfältig und legen dann die geeignete Methode fest“, versichert der Leiter des Herzkatheterlabors PD Dr. med. Armin Imhof und ergänzt: „Jeder Patient soll mit der für ihn besten Methode untersucht und behandelt werden, und das ist heutzutage in den allermeisten Fällen die Herzkatheteruntersuchung über das Handgelenk.“

Der Ärztliche Direktor Prof. Rottbauer betont aber auch, dass der untersuchende Arzt in jedem Fall über ausreichend Erfahrung mit der Methode verfügen müsse. Dies sei die wichtigste Voraussetzung für einen reibungslosen Untersuchungsgang und unterstreiche seine generelle Forderung nach guter und ausreichender Ausbildung durch sehr erfahrene Spezialisten, bevor man sich guten Gewissens an die Technik wagen könne.

WEITERE INFORMATION:
An der Klinik für Innere Medizin II garantieren neben Prof. Rottbauer sieben Ober- und mehrere Fachärzte zusammen mit erfahrenem Assistenz- und Pflegepersonal rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr die kompetente Behandlung von Patienten mit akuten, lebensbedrohlichen aber auch chronischen Erkrankungen des Herzens. Dafür stehen in drei Herzkatheterlaboren, auf der Intensivstation, der im Sommer 2010 neu eingerichteten Chest Pain Unit (englisch für „Brustschmerz-Einheit“), den Normalstationen und falls erforderlich in der klinikeigenen Rehabilitationseinrichtung alle modernen Möglichkeiten unter einem Dach zur Verfügung.
Historie:
Werner Forßmann erhielt 1956 den Nobelpreis für die erste Untersuchung des Herzens mit einem dünnen Gummischlauch. Im Selbstversuch schob er sich 1929 einen so genannten Katheter über eine Armvene bis zum Herzen und machte eine Röntgenaufnahme davon. Fast 50 Jahre später war es Andreas Grüntzig, der 1977 die erste Aufdehnung mittels Ballonkatheter an einem verengten Herzkranzgefäß erfolgreich vornahm. Damit war der Grundstein gelegt für die weitere Entwicklung eines der wichtigsten medizinischen Verfahren der Gegenwart – die Herzkatheteruntersuchung.

Media Contact

Jörg Portius idw

Weitere Informationen:

http://www.uniklinik-ulm.de

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