Verbraucher-Ampel kann falsche Sicherheit vortäuschen

Eine Studie Münchner und französischer Wissenschaftler zeigt nun erstmals, dass dies nicht nur für Lebensmittel, sondern auch für Finanzprodukte gilt – allerdings nicht immer in der Weise, die von den Befürwortern des Systems gewünscht ist. So achteten Probanden weniger auf die Unsicherheiten beim Ertrag einer Geldanlage, wenn den Produktinformationen eine Ampel hinzugefügt wurde. Bei Nahrungsmitteln sank die Aufmerksamkeit für andere Kennzeichnungen wie das Bio-Siegel.

Zucker: rot, Fett: gelb, Salz: grün. In Großbritannien zeigen sogenannte Lebensmittel-Ampeln die Menge bestimmter Nährstoffe mit farbigen Punkten auf den Verpackungen an. Verbraucher sollen so auf den ersten Blick die Vor- und Nachteile eines Produkts erkennen können. Das Kennzeichnungssystem wird europaweit kontrovers diskutiert – seit der Finanzkrise auch für Geldanlagen.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) und des Institut national de la recherche agronomique (INRA) haben nun die erste Studie veröffentlicht, die die Wirkung der Ampel-Kennzeichnung auf das Verbraucher-Verhalten auch bei Finanzprodukten untersucht. In zwei Erhebungen konnten sich je 250 deutsche Teilnehmer mehrmals zwischen zwei Geldanlagen beziehungsweise zwei Tiefkühlpizzen mit unterschiedlichen Merkmalen entscheiden.

Ein Ampelpunkt zeigt den durchschnittlichen Gewinn

Bei den Finanzprodukten war die Flexibilität, aus der Geldanlage auszusteigen, unterschiedlich groß, und manche Varianten hatte eine Staatsgarantie gegen Totalausfall. Mit Balkendiagrammen zeigten die Produktinformationen, wie wahrscheinlich mögliche Ertragssummen bei einer Investition von 100 Euro waren, also beispielsweise wie sicher die Anleger mit einem Ertrag von 90, 110 oder 130 Euro rechnen konnten. Die Pizzen unterschieden sich nach dem Preis, teils war eine Alternative ein Bio-Produkt. Zudem informierte eine Tabelle, wie viel Prozent der empfohlenen Tagesration an Zucker, Fett und gesättigten Fettsäuren enthalten waren (sogenannte GDA-Kennzeichnung).

Für die verschiedenen Kaufentscheidungen zeigten die Forscher den Probanden die jeweiligen Produktinformationen zuerst ohne, dann mit einer zusätzlichen Ampel-Kennzeichnung.. Dabei wurden bei den Geldanlagen alle drei Produktmerkmale (Flexibilität, Staatsgarantie, Ertrag) mit einer Farbe versehen. Die Farbe für den Ertrag richtete sich nach dem Mittelwert der möglichen Summen. Bei den Pizzen signalisierte die Ampel nach britischem Vorbild die Nährstoffmengen.

Ampel lenkt Aufmerksamkeit auf bestimmte Produktmerkmale

Die Konsumenten vertrauten offenbar in beiden Fällen der Ampel, sodass die Kennzeichnung ihre Entscheidungen beeinflusste: Bei den Geldanlagen wurden diejenigen Merkmale, die grün markiert waren, noch wichtiger für ihre Entscheidung. Beispielsweise legten die Testpersonen auch ohne Ampel-Kennzeichnung großen Wert auf die Staatsgarantie, mit dem grünen Signal stieg dieser Wert noch. Bei den Pizzen spielte der geringe Fettgehalt eines Produktes für die Konsumenten eine geringe Rolle, wenn nur die Tabelle über das Verhältnis zum empfohlenen Fettverzehr informierte. Kam die Ampel hinzu, erhöhte sich die Bereitschaft zum Kauf der fettarmen Pizza deutlich.

„Die Ampel steigert die Sensibilität der Konsumenten für bestimmte Merkmale eines Produkts“, sagt Prof. Jutta Roosen vom Lehrstuhl für Marketing und Konsumforschung der TUM. „Die Studie zeigt, dass diese Wirkung bei Finanzprodukten nicht anders ist als bei Lebensmitteln.“

Verbraucher kaufen Geldanlagen, die sie zuvor unsicher fanden

Die verstärkte Aufmerksamkeit für die in der Ampel angezeigten Eigenschaften kann allerdings zu einer verringerten Aufmerksamkeit für andere Charakteristika der Produkte führen. So war das Bio-Siegel der Pizza für die Konsumenten zunächst von großer Bedeutung für die Kaufentscheidung. Kam aber die Nährwert-Ampel hinzu, verlor das Label deutlich an Relevanz.

Eine weitere unbeabsichtigte Wirkung droht, wenn im Ampel-System komplexe Informationen vereinfacht auf den Punkt gebracht werden: Zunächst schreckten die Probanden vor der Geldanlage zurück, wenn die möglichen Ertragssummen eine große Bandbreite hatten. Das Investment war ihnen offenbar zu unsicher. Wurde jedoch der Mittelwert der möglichen Erträge zusätzlich mit der Ampel bewertet, waren die Verbraucher eher zum Kauf bereit – obwohl dieselben Informationen zur Verfügung standen.

Heiligenschein-Effekt: ein positives Merkmal überstrahlt alles

„Die Kennzeichnung wirkt in diesem Fall simplifizierend“, sagt Roosen. „Die Ampel täuscht Sicherheit vor und verleitet dazu, komplexere Produktinformationen zu vernachlässigen. Wir sprechen in der Forschung von einem Heiligenschein-Effekt: Ein positives Merkmal überstrahlt alles andere.“

Die Forscher empfehlen deshalb eine möglichst differenzierte Systematik, sollte die Ampel in weiteren Ländern und für weitere Branchen eingeführt werden. „Die Verbraucher vertrauen den Ampeln. Umso mehr sollte darauf geachtet werden, dass die Kennzeichnung nicht zu verzerrenden Wirkungen führt, die die Konsumenten einseitig beeinflussen“, sagt Roosen. „Dies gilt besonders für komplexe Produkte wie Geldanlagen.“

Die Studie ist im International Journal of Consumer Studies erschienen. Sie wurde gefördert vom Bayerisch-Französischen Hochschulzentrum (BFHZ) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Publikation:
Larissa S. Drescher, Jutta Roosen and Stéphan Marette: The effects of traffic light labels and involvement on consumer choices for food and financial products. International Journal of Consumer Studies 38 (2014) 217–227, DOI: 10.1111/ijcs.12086

Kontakt:
Prof. Dr. Jutta Roosen
Technische Universität München
Lehrstuhl für Marketing und Konsumforschung
Tel: +49 8161 71 3316
E-Mail: jroosen@tum.de
http://www.mcr.wi.tum.de

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