Strahlentherapie normalisiert lebensbedrohlichen Speichelfluss bei Amyotropher Lateralsklerose

Eine gezielte Bestrahlung der Speicheldrüsen kann helfen, den Speichelfluss zu normalisieren, betont die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) anlässlich einer aktuellen französischen Studie. Die DEGRO empfiehlt die Therapie auch für Menschen mit anderen Nervenerkrankungen wie den Morbus Parkinson, die ebenfalls mit Schluckstörungen einhergehen.

Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine seltene, aber sehr ernste Erkrankung des zentralen und peripheren Nervensystems. Pro Jahr erkranken in Deutschland etwa ein bis zwei von 100.000 Personen an ALS, deren motorisches Nervensystem durch die Krankheit beeinträchtigt wird. Zu den Auswirkungen der ALS gehören auch Schluckstörungen, durch die der Speichel schnell in die Atemwege gelangt. Das kann zu einer Lungenentzündung führen, die häufig tödlich endet.

„Mehr als die Hälfte aller Patienten mit ALS sterben an den Folgen der übermäßigen Speichelbildung, noch häufiger ist sie Anlass für einen Luftröhrenschnitt oder eine Beatmung“, berichtet Professor Dr. med. Michael Baumann, Direktor der Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radioonkologie am Universitätsklinikum Dresden und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO).

Medikamente oder krankengymnastische Übungen zeigen nur eine begrenzte Wirkung. Einige Ärzte schalten die Speicheldrüse durch Injektion des Nervengifts Botox aus. „Die Behandlung kann jedoch sehr schmerzhaft sein, und es besteht die Gefahr, dass das starke Nervengift die für die ALS typische Lähmung der Gesichtsmuskulatur verstärkt“, warnt der DEGRO-Präsident. Selbst eine Verstärkung der Schluckstörungen sei möglich, wenn das Nervengift die Schlundmuskeln erreicht.

Eine Bestrahlung kann die Speichelproduktion bei Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose dagegen auf Dauer vermindern, wie eine Studie aus Frankreich belegt. „Unsere Kollegen haben 50 Patienten aus einem Behandlungszentrum in Paris betreut, die alle seit Jahren an einer starken Sialorrhö, also an einem übermäßigen Speichelfluss, litten“, berichtet DEGRO-Pressesprecher Professor Dr. med. Frederik Wenz, Direktor der Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie am Universitätsklinikum Mannheim.

Um die Sialorrhö zu mindern, haben die Ärzte die Bestrahlung auf die Speicheldrüsen im Unterkieferbereich und die unteren zwei Drittel der beiden Ohrspeicheldrüsen beschränkt. „Die restlichen Anteile der Ohrspeicheldrüsen und zwei weitere Drüsen unterhalb der Zunge produzierten nach der Bestrahlung genügend Speichel, um eine zu starke Mundtrockenheit zu verhindern“, erklärt der DEGRO-Pressesprecher.

Die Bestrahlung wurde mit sogenannten Linearbeschleunigern durchgeführt, die eine punktgenaue Bestrahlung mit Photonen erlauben. „Auf diese Weise konnte die Strahlung auf einzelne Abschnitte der Ohrspeicheldrüse begrenzt werden“, sagt Professor Wenz. Rückenmark und Hirnstamm befanden sich dagegen außerhalb des Strahlenfelds. Dies sei wichtig, da ein Untergang von Nervenzellen in diesem Bereich Ursache der ALS ist und eine Beschädigung den Krankheitsverlauf beschleunigen würde. Durch die Bestrahlung normalisierte sich bei 46 Patienten der Speichelfluss. Bei den anderen vier Patienten kam es zu einer deutlichen Besserung.

Eine Bestrahlung mit Linearbeschleunigern ist auch an vielen Zentren in Deutschland möglich. Die Therapie eignet sich nach Ansicht der beiden DEGRO-Experten auch zur Behandlung des Morbus Parkinson, der wie die Amyotrophe Lateralsklerose mit Schluckstörungen einhergeht.

Literatur:
Assouline A1, Levy A2, Abdelnour-Mallet M3, Gonzalez-Bermejo J4, Lenglet T5, Le Forestier N6, Salachas F5, Bruneteau G5, Meininger V5, Delanian S7, Pradat PF8. Radiation therapy for hypersalivation: a prospective study in 50 amyotrophic lateral sclerosis patients. Int J Radiat Oncol Biol Phys. 2014 Mar 1;88(3):589-95. doi: 10.1016/j.ijrobp.2013.11.230. Epub 2014 Jan 7.
(http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24411632)

Zur Strahlentherapie:
Die Strahlentherapie ist eine lokale, nicht-invasive, hochpräzise Behandlungsmethode mit hohen Sicherheitsstandards und regelmäßigen Qualitätskontrollen. Bildgebende Verfahren wie die Computer- oder Magnetresonanztomografie ermöglichen eine exakte Ortung des Krankheitsherdes, sodass die Radioonkologen die Strahlen dann zielgenau auf das zu bestrahlende Gewebe lenken können. Umliegendes Gewebe bleibt weitestgehend verschont.

Pressekontakt für Rückfragen:

Dagmar Arnold
Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie e. V.
Pressestelle
Postfach 30 11 20
70451 Stuttgart
Telefon: 0711 8931-380
Fax: 0711 8931-167
E-Mail: arnold@medizinkommunikation.org
Internet: http://www.degro.org

http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24411632
http://www.degro.org

Media Contact

Medizin - Kommunikation idw - Informationsdienst Wissenschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Medizin Gesundheit

Dieser Fachbereich fasst die Vielzahl der medizinischen Fachrichtungen aus dem Bereich der Humanmedizin zusammen.

Unter anderem finden Sie hier Berichte aus den Teilbereichen: Anästhesiologie, Anatomie, Chirurgie, Humangenetik, Hygiene und Umweltmedizin, Innere Medizin, Neurologie, Pharmakologie, Physiologie, Urologie oder Zahnmedizin.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neues topologisches Metamaterial

… verstärkt Schallwellen exponentiell. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am niederländischen Forschungsinstitut AMOLF haben in einer internationalen Kollaboration ein neuartiges Metamaterial entwickelt, durch das sich Schallwellen auf völlig neue Art und Weise…

Astronomen entdecken starke Magnetfelder

… am Rand des zentralen schwarzen Lochs der Milchstraße. Ein neues Bild des Event Horizon Telescope (EHT) hat starke und geordnete Magnetfelder aufgespürt, die vom Rand des supermassereichen schwarzen Lochs…

Faktor für die Gehirnexpansion beim Menschen

Was unterscheidet uns Menschen von anderen Lebewesen? Der Schlüssel liegt im Neokortex, der äußeren Schicht des Gehirns. Diese Gehirnregion ermöglicht uns abstraktes Denken, Kunst und komplexe Sprache. Ein internationales Forschungsteam…

Partner & Förderer