Spiegelneuronen auf der Spur: Nicht jede Technik kann sie erkennen

Das überraschende Ergebnis der Studie, die im Fachjournal Nature Communications erschienen ist: Spiegelneurone vermindern ihr Antwortverhalten nicht. Das widerspricht der ursprünglichen Annahme der Forscher, dass Spiegelneurone – so wie andere Nervenzellen auch – auf die häufige Wiederholung ein und desselben Reizes mit einer verminderten Aktivität (Adaptation) reagieren.

Die Studienergebnisse machen es nun notwendig, auf genau dieser Annahme beruhende, bereits durchgeführte Neuro-Imaging-Studien neu zu interpretieren. Verblüffenderweise hatten diese Studien eine Adaptation gezeigt. Für diese scheinbar im Widerspruch stehenden Ergebnisse, haben die Forscher des Hertie-Instituts für klinische Hirnforschung (HIH) und des Centrums für Integrative Neurowissenschaften (CIN) der Universität Tübingen eine Erklärung gefunden.

Spiegelneurone reagieren auf zielgerichtete Handlungen

Spiegelneurone sind, wie alle anderen Nervenzellen auch, erregbar und können diese Erregung an andere Nervenzellen weitergeben. Das geschieht mit Hilfe von elektrischen Impulsen. Sie „feuern“ bis zu mehrere Hundert Mal pro Sekunde. Dieses „Feuern“ ist direkt mit einer Elektrode messbar. Bereits in der Vergangenheit hatten Forscher herausgefunden, dass Spiegelneurone Handbewegungen steuern, die auf ein bestimmtes Ziel hin, wie zum Beispiel ein Stück Apfel, ausgerichtet sind. Das Besondere der Spiegelneurone liegt jedoch darin, dass sie gleichermaßen aktiv sind, wenn solche zielgerichteten Handlungen nur beobachtet werden. Dadurch könnten sie eine entscheidende Rolle für das Verständnis der Handlungen anderer Menschen spielen.

Unerwartetes Entladungsmuster verblüfft Forscher

„Überraschenderweise zeigte sich nun jedoch, dass zwei Drittel der Spiegelneurone ihr Entladungsmuster nicht, wie bisher angenommen, adaptieren“ sagt Dr. Jörn Pomper, Wissenschaftler am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) und der Universität Tübingen. Studien, die mit der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) durchgeführt wurden, hatten das Gegenteil erwarten lassen: hier hatte sich eine Anpassung der Aktivität gezeigt, das heißt sie nahm bei der Wiederholung desselben Reizes ab.

Nicht jede Technik erkennt sie

Die mittels fMRT gemessene Aktivität misst nur indirekt das „Feuern“ von Nervenzellen. Sie bestimmt lediglich Änderungen im Blutfluss über den Sauerstoffgehalt der roten Blutkörperchen. Experten sprechen dann von einem BOLD-Effekt. Dieser wird durch den Energiebedarf aktiver Nervenzellen hervorgerufen. Dazu tragen auch Eingangssignale, bestimmte Verarbeitungsschritte in den Zellfortsätzen (Dendriten) und Zellkörpern von Nervenzellen sowie die Aktivität von Gliazellen, ein weiterer Bestandteil des Nervensystems bei. „Folglich lassen sich keine Rückschlüsse über das Verhalten einzelner Zellen aus BOLD-Signalen ziehen“, sagt Dr. Vittorio Caggiano, bislang Wissenschaftler am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und dem Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) der Universität Tübingen(1). Die bisherige Annahme hatte darin bestanden, dass der experimentell beobachteten Verminderung des BOLD-Effektes, wenn die gleiche Handlung zunächst ausgeführt und danach beobachtet wird, eine Adaptation von Nervenzellen zugrunde liegt. Aufgrund der aktuellen Studienergebnisse kann die bisherige Interpretation der BOLD-Adaptation nicht aufrechterhalten werden, so die Studienautoren.

Nur wie erklärt sich dann die BOLD-Adaptation? Eine Antwort darauf können die Forscher anhand der zusätzlich erhobenen lokalen Feldpotentiale (LFP) des Gehirns geben: Diese zeigen tatsächlich die erwartete Adaptation und könnten damit die Daten aus der funktionellen MRT erklären. Bei allen Nervenzellen verläuft die Signal-Übertragung über Eingangs- und gegebenenfalls Ausgangsignale, sogenannte Aktionspotentiale. Wird ein Eingangssignal in ein Ausgangssignal übertragen, führt das zur Ausschüttung von Neurotransmittern. Diese wiederum regen als Übertragungssignal die nächsten Nervenzellen an. Lokale Feldpotentiale sind, so die Vermutung der Forscher, Ausdruck von Eingangssignalen aus anderen Hirnarealen und ihrer lokalen Verarbeitung.

Neue Interpretation bestehender Studien

„Eine 1:1 Übertragung von fMRT-Daten auf die Aktivität von Spiegelneuronen ist damit nicht möglich. Dadurch ergibt sich aus unserer Sicht die Notwendigkeit, die auf Adaptation beruhenden fMRT-Studien neu zu interpretieren“, resümiert Professor Peter Thier, Vorstand des Hertie-Instituts für klinische Hirnforschung und Sprecher des Centrums für Integrative Neurowissenschaften (CIN) der Universität Tübingen.

(1) Aktuelle Adresse: McGovern Institute for Brain Research, Massachusetts Institute of Technology (MIT)

Originaltitel der Publikation
Mirror neurons in monkey area F5 do not adapt to the observation of repeated actions; Vittorio Caggiano, Joern K. Pomper, Falk Fleischer, Leonardo Fogassi, Martin Giese & Peter Thier; Nature Communications 4, Article number: 1433 doi:10.1038/ncomms2419; Received 31 May 2012, Accepted 20 December 2012, Published 05 February 2013; http://www.nature.com/ncomms/journal/v4/n2/full/ncomms2419.html

Pressekontakt bei Rückfragen
Silke Jakobi
Leiterin Kommunikation
HIH Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
Zentrum für Neurologie, Universitätsklinikum Tübingen
Otfried-Müller-Str. 27
72076 Tübingen
Tel. 07071/29-88800
silke.jakobi(at)medizin.uni-tuebingen.de

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