Ein Sehtest für Mäuse – Neue Methode könnte helfen, Behandlungsansätze gegen Blindheit schnell und zuverlässig zu bewerten

Dieser Frage geht die Arbeitsgruppe von Dr. Thomas Münch am Centrum für Integrative Neurowissenschaften der Universität Tübingen nach. Dr. Münch beschäftigt sich unter anderem mit der Wiederherstellung von verloren gegangener Sehfunktion.

Mäuse leiden teilweise unter ähnlichen Erblindungskrankheiten wie Menschen, so lassen sich neue Therapieansätze bei ihnen entwickeln und anwenden.

Da die behandelten Tiere selbst keine Auskunft geben können, versucht man über Verhaltensbeobachtungen Rückschlüsse auf die Sehfähigkeit zu ziehen. Üblicherweise werden hierfür Tiere mit Futter darauf dressiert, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen, sobald sie beispielweise Farben oder Muster erkennen.

Dieser Versuchsansatz ist allerdings zeitaufwändig und die Dressur bei erblindenden Tieren nahezu unmöglich. Die Forscher machen sich daher einen einfachen Reflex zu Nutze: den Augenfolgereflex. Man kennt dies zum Beispiel vom Zugfahren: beim Beobachten der Landschaft aus einem fahrenden Zug heraus folgen die Augen periodisch der vorbeiziehenden Landschaft.

Dieser Effekt hält das Abbild bewegter Objekte kurzfristig auf der Netzhaut konstant. Dieses Phänomen, bekannt als optokinetischer Reflex, tritt auch bei den meisten Tieren auf.

Auf diesem Effekt beruht der Versuchsansatz, der diese Woche in der Fachzeitschrift „Behavioral Neuroscience“ veröffentlicht wurde. Die Sehleistung von Mäusen wird in einer Kammer untersucht, deren Wände aus vier Computerbildschirmen bestehen. Auf den Monitoren wird ein sich drehendes Streifenmuster gezeigt.

Durch diese simulierte Bewegung der kompletten Umgebung wird der optokinetische Reflex ausgelöst, und die Maus folgt dem Muster mit Kopfbewegungen – aber nur, wenn das Tier die Streifen voneinander unterscheiden kann. So lässt sich die individuelle Sehleistung jedes Tieres bestimmen. Wie bei einer Sehprüfung beim Augenarzt kann das gezeigte Muster feiner gemacht werden, bis das Tier es nicht mehr erkennt und daher der Reflex ausbleibt.

Die Verwendung von Computermonitoren erlaubt es, das Muster in fast beliebiger Weise in Kontrast oder Auflösung zu verändern. Außerdem hat der Doktorand Boris Benkner in der Arbeitsgruppe von Thomas Münch eine Software entwickelt, die das Verhalten des Tieres, anders als bei früheren Studiendesigns, automatisch auswertet und so die Sehfähigkeit in kürzester Zeit bestimmen kann. „In früheren Studien musste man mühsam und von Hand das Verhalten der Tiere auswerten“, so Benkner. „Unsere automatische Methode ist nicht nur schneller, sondern auch objektiver, da man bei manueller Auswertung auch selbst durch das sich drehende Streifenmuster beeinflusst wird.“

Der Studienleiter Dr. Thomas Münch sieht in der neu entwickelten Methode ein großes Potenzial, um neue Behandlungsformen gegen Blindheit zu untersuchen. „Gegenwärtig werden viele neue Wege entwickelt, wie Blindheit geheilt werden kann“, erläutert Münch. „Dies reicht von Nahrungsergänzungsmitteln über Optogenetik bis hin zu Stammzelltherapie. Es ist wichtig, dass bei diesen neuen Ansätze von Anfang an kritisch getestet wird, ob dem behandelten Tier wirklich geholfen werden kann und ob seine Sehleistung tatsächlich steigt.“

Publikation:
Boris Benkner, Marion Mutter, Gerrit Ecke, and Thomas A. Münch (2013) “Characterizing Visual Performance in Mice: An Objective and Automated System Based on the Optokinetic Reflex.”
Behavioral Neuroscience, Online First Publication, Aug. 20, 2013
DOI: 10.1037/a0033944
Kontakt:
Dr. Thomas Münch
Universität Tübingen ∙ Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften
AG Retinal Circuits and Optogenetics
Otfried-Müller-Str. 25 ∙ 72076 Tübingen
Telefon +49 7071 29-89182
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Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN)
Das Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) ist eine interdisziplinäre Institution an der Eberhard Karls Universität Tübingen, finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern. Ziel des CIN ist es, zu einem tieferen Verständnis von Hirnleistungen beizutragen und zu klären, wie Erkrankungen diese Leistungen beeinträchtigen. Das CIN wird von der Überzeugung geleitet, dass dieses Bemühen nur erfolgreich sein kann, wenn ein integrativer Ansatz gewählt wird.

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Myriam Hönig idw

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