Sehen mit den Ohren

Mit Hilfe dieses Systems konnten die Forscher zeigen, dass die normalerweise beim Lesen aktivierten Bereiche der Großhirnrinde bei Blindgeborenen auch durch Stimulationen aktiviert werden können.

Die Ergebnisse dieser Studie, die mit Unterstützung französischer Forscher des Instituts für Gehirn und Rückenmark (Inserm / UPMC / AP-HP) und des Forschungszentrums NeuroSpin (CEA-Inserm) durchgeführt wurde, wurden am 8. November 2012 im Wissenschaftsblatt Neuron veröffentlicht.

Es ist allgemein bekannt, dass sich bei Blindgeborenen der visuelle Kortex (Sehrinde) nicht normal entwickelt, und dass es auch unmöglich ist, zu einem späteren Zeitpunkt das Sehvermögen wiederzuerlangen, selbst wenn ihre Blindheit geheilt wird. Dank eines Geräts für „sensorische Substitution“ (SSD), das Bilder in Töne umwandelt, wird den Blinden das „Sehen“ ermöglicht; er kann Objekte beschreiben und sogar Buchstaben und Wörter erkennen.

Das Gerät besteht aus einer Brille, auf der eine Kamera angebracht ist. Die Kamerasignale werden dann von einem kleinen tragbaren Computer (oder Smartphone) in Töne umgewandelt, die über einen Kopfhörer abgespielt werden. So wird zum Beispiel eine geneigte Linie in einen immer heller (oder dunkler) werdenden Ton umgewandelt. Das gleiche Prinzip ermöglicht auch die auditive Darstellung viel komplexerer Bilder. Blinde erreichen mit diesem System eine höhere Sehschärfe als die, die nach WHO-Kriterien für Blinde definierte.

Nach nur 70 Unterrichtstunden sind Blinde in der Lage, Bilder verschiedener Kategorien (Gesichter, Häuser, usw.) richtig einzuordnen. Die Tonlandschaften vermitteln ihnen noch weitere wichtige Informationen, wie die Positionsbestimmung der im Raum anwesenden Personen oder einige Gesichtsausdrücke. Sie können sogar Buchstaben und Wörter lesen.

Über die durch dieses SSD-System gewonnenen Möglichkeiten hinaus wollten die Forscher verstehen, was im Gehirn von Blinden passiert, wenn sie durch Töne zu „sehen“ lernen. Zu diesem Zweck haben sie eine funktionelle MRT-Studie mit einem bestimmten Paradigma erarbeitet. Sie konnten insbesondere nachweisen, dass die normalerweise bei der visuellen Wahrnehmung aktivierten Regionen des Kortex (deren Nutzen bei Blinden bislang ungewiss war) auch während des „akustischen Sehens“ von Gesichtern, Häusern, Wörtern, etc. stark aktiv sind.

Aber der visuelle Kortex wird nicht nur aktiviert, er zeigt auch eine für die verschiedenen Kategorien von Objekten „normale“ funktionelle Spezialisierung. Diese Ergebnisse untermauern die Annahme, dass der sogenannte visuelle Kortex in Wirklichkeit auf die Analyse von Formen von Objekten spezialisiert ist, und dass er diese Funktion entweder über eine Information in bildlicher Form (wie es normalerweise der Fall ist) ausüben kann, aber auch wenn nötig über eine Information in auditiver oder taktiler Form.

Quellen:
Pressemitteilung der Behörde für Atomenergie und alternative Energien (CEA) – 12.11.2012 –

http://www.cea.fr/presse/liste-des-communiques/un-systeme-de-vision-sonore-pour-les-aveugles-de-95795

Veröffentlichung im Wissenschaftsblatt für Neurowissenschaften Neuron (Band 76, Ausgabe 3, Seiten 640–652): „Reading with Sounds: Sensory Substitution Selectively Activates the Visual Word Form Area in the Blind“ – Ella Striem-Amit, Laurent Cohen, Stanislas Dehaene, Amir Amedi. – 08.11.2012 – http://www.cell.com/neuron/abstract/S0896-6273%2812%2900763-5

Redakteurin: Hélène Benveniste, helene.benveniste@diplomatie.gouv.fr

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Marie de Chalup idw

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